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Seit Sommer 2014 sind Asylbewerber die Gäste im Bautzener Spreehotel.

© Matthias Hiekel/dpa

Flüchtlingsheim in Bautzen: Flüchtlinge statt Hotelgäste im Vier-Sterne-Ressort

Was ihn qualifiziere, ein Flüchtlingsheim zu führen, fragte einer. „Ich bin ein Mensch“, war seine Antwort. Peter Kilian Rausch verwandelte sein Viersternehotel in eine Unterkunft für Asylbewerber. Mitten in Sachsens rechtester Region.

Eine wichtige Stadt, ein maßgebliche Stadt, eine große Stadt, eine mehrsprachige Stadt an der Spree mit B vorn? Bautzen. Budysin. Wer kennt Bautzen?

Peter Kilian Rausch kannte es nicht, als er kam. Das war im Jahr 2000, er übernahm das Vier-Sterne-Spreehotel am Stausee. Vierzehn Jahre später, im vergangenen Juni, ging sein letzter Gast aus der Tür. Um elf Uhr checkte er aus, es war ein Bayer. Rausch sieht es noch wie heute.

Als er weg war, lief Peter Kilian Rausch durch sein leeres Hotel, er schaute in den japanischen Garten des Innenhofs, in die verlassenen Zimmer, in die verwaisten Konferenzräume, in die Hotelbar. Das war es also, das Ende. Das Ende des Spitzenhoteliers Peter Kilian Rausch aus Donaueschingen im Schwarzwald.

Tränen in den Augen des Herbergsvaters

Er hatte sein Berufsleben in den Luxushotels dieser Welt verbracht, manches hat er geleitet. Natürlich kamen ihm die Tränen, wozu es verbergen? Ein Monat noch, und sein Viersternehotel würde ein Asylbewerberheim sein. Mit ihm selbst als Herbergsvater. Es war seine eigene Idee. Er musste sich und sein Haus auf ein etwas anderes Publikum vorbereiten. Die Hotelbar würde er wohl rausnehmen müssen. Und die Sauna? Es gibt kein Upgrade in Flüchtlingsheimen. Fahrstühle? Profi-Gastronomie-Herde? Im vergangenen Juli eröffnete Rauschs Spreehotel am Stausee neu als Asylbewerberheim. Im August war Landtagswahl. Elf Prozent stimmten für die NPD, fast 15 Prozent für die AfD. Jeder Vierte im Landkreis Bautzen wählte eine Partei rechts von der CDU. Und seit Oktober hielten die Bautzener an den Pegida-Montagen Transparente hoch, auf denen voll Trotz der Name ihrer Stadt steht. Der Landkreis Bautzen löste die Sächsische Schweiz als rechteste Region Sachsens ab. Oder sind „links“ und „rechts“ die falschen Begriffe, um das zu begreifen, was man auch regionale Gleichgewichtsstörungen nennen könnte?

208 Menschen, die mit diesem Ort nichts verbindet

Die kleine Gemeinde am See, zu der das „Spreehotel“ gehört, heißt Burk. Man braucht von Bautzen eine knappe Dreiviertelstunde zu Fuß. Burk hatte bislang etwa 300 Einwohner. Jetzt hat es 508. Die 208 Neu-Burker sind fast alle Muslime. Der Islam ist die stärkste Religion am See, schon weil die meisten Alt-Burker der religiösen Minderheit der Atheisten angehören, einer Glaubensrichtung, die der Islam nicht vorsieht.

Peter Kilian Rausch.
Peter Kilian Rausch.

© imago/Metodi Popow

Und was in den Augen der Alt-Burker schwerer wiegt: Es sind 208 Menschen, die mit diesem Ort nichts verbindet. Abgeworfen am See von der anonymsten, unbelangbarsten aller Mächte, der Bürokratie. Für die Ankömmlinge ist Burk ein Zufall, eine Transitstation, aber kleine Orte, gerade im Osten, sind Bleibeorte, zumindest für die Älteren. Und dies ist gar Naherholungsgebiet. Da darf laut Bebauungsplan keine soziale Einrichtung stehen, also auch kein Asylbewerberheim. Macht es aber trotzdem, von „oben“ verordnet. Die Sachsen neigen zu Unverträglichkeitsreaktionen gegen diesen Absender, das ist eine alte Geschichte, eine DDR-Geschichte.

Ein Januarsturm umheult das Spreehotel. Man hat einen 360-Grad-Rundblick von hier oben über das Lausitzer Hügelland. An der früheren Rezeption steht noch immer „Rezeption“, doch ist sie jetzt vollkommen verglast, dahinter befinden sich mehrere Monitore, die das Hotel wie einen Hochsicherheitstrakt rundum im Blick haben. Rausch ließ auch einen dazu passenden Quasi-Gefängnis-Zaun setzen. Vor der Rezeption sitzen drei Syrer mit dem Gesichtsausdruck derer, die der Zeit beim Vergehen zuschauen.

Rauschs neue Identität

Merkwürdig still ist es in dem früheren Viersternehaus, gemessen an der Tatsache, dass hier 208 Menschen wohnen. Das täuscht, sagt der frühere Spitzenhotelier, das Leben beginne hier nur etwas später, so etwa gegen acht Uhr abends, wenn wieder ein Tag geschafft ist. Wenn die Hoffnungen wieder wach werden.

Rausch bittet in sein Büro. Wer von seinen neuen Nicht-Vier-Sterne-Gästen hier zum Einzelgespräch erscheinen muss, hat ein Problem. An der Tür klebt ein Zettel, darauf steht „Chef“, jemand hat mit der Hand „Guter“ darübergeschrieben. „Guter Chef“. Das ist Rauschs neue Identität.

Unten in der Stadt müsste gleich die „Bautzen-bleibt-bunt“-Demo losgehen. Danach hat sich „Die Rechte“ angekündigt. Rausch hofft, dass sie zu faul ist, hier oben persönlich vorbeizukommen. Nicht bei dem Wetter.

Der Mann hat nicht ein Gramm Fett am Leib, er gehört, das sieht man sofort, zum Typus der Selbstverbraucher. Zu den Menschen, die keine Rücksicht nehmen auf sich. Mit einer gewissen Geringschätzung besieht er das Metallrohr, das er immer wieder zum Mund führt.

Die Sachsen gehören zu den Tiefwurzlern, das ist wohl so

Lächerlich, nicht wahr? Das sei eine elektronische Zigarette. „Ich gewöhne mir das Rauchen ab“, erklärt Rausch. „Seit einer Stunde“, fügt er mit dem Ernst derer hinzu, die sich in ein großes Wagnis begeben. Aus der E-Zigarette kommt statt Rauch Dampf. Nikotin soll trotzdem drin sein. „Ich merk nichts!“, flüstert Rausch mit leichter Panik in der Stimme.

Im Oktober 2013 suchte die Stadt Bautzen in einer europaweiten Ausschreibung geeignete Immobilien für ein Flüchtlingswohnheim. Und plötzlich, sagt er, war die Idee da. Das Hotel lief schon lange nicht mehr gut. Anfang der neunziger Jahre war es das erste, nun ja, West-Hotel der Stadt, die Zahlen waren fantastisch, aber seit Bautzen so schön geworden ist und seine Hotels auch, bekam er Probleme. Er fragte die Stadtväter, was sie davon hielten, wenn er, also sein Hotel, also er, rein theoretisch … Großartig, riefen sie, und Rausch beauftragte ermutigt ein Planungsbüro.

Für 14 000 Euro legte es dar, wie man aus einem Viersternehotel ein Asylbewerberheim ohne Fehl und Tadel macht. Rausch bekam den Zuschlag. Er war der Einzige, der sich auf die europaweite Ausschreibung gemeldet hatte.

„Ich bin schockiert!“ Das war im April Brigitte Haubners erste Reaktion, als sie von Rauschs neuer Unternehmensidee erfuhr. Seit 2008 betreibt sie gleich nebenan den Fünf-Sterne-Natur-und-Abenteuer-Campingplatz; die Haubners haben viel investiert. Camper sind Menschen, die sich freiwillig im provisorischen Wohnen üben. Flüchtlinge sind Menschen, die das unfreiwillig tun. Am Bautzener Stausee herrscht seit vergangenem Sommer ein wenig verkehrte Welt.

Die Sachsen sind Tiefwurzler

Ein Unterschied aber bleibt: Die freiwilligen Nomaden können wieder gehen, wenn die Nähe der eher unfreiwilligen Nomaden sie irritiert. Urlaub ist vor allem eins: Urlaub von den Zumutungen der Zivilisation. Im Urlaub bevorzugen die meisten heile Welten. In heilen Welten teilt man das gleiche Vorverständnis der Wirklichkeit.

Welche Erfahrungen hat Brigitte Haubner in diesem Sommer gemacht? Sie erklärt, darüber nicht sprechen zu wollen, auch wünsche sie nicht, etwas über ihren Campingplatz in der Zeitung zu lesen.

Peter Kilian Rauschs Mit-Burker haben streng genommen nichts falsch gemacht. Sie gründeten eine Bürgerinitiative. Fast alle haben gegen Rauschs Heim unterschrieben. An den Tennisplatz hängten sie Transparente mit Aufschriften wie „Standort für Asylbewerber nicht geeignet“ oder „Schützt private Investoren im Naherholungsgebiet!“ Ohne Zweifel: Es gibt schönere Parolen.

Der Sturm biegt die Bäume vorm Hotel. Ihre Äste sehen aus wie Arme, als wollten sie sich irgendwo festhalten. Was für ein Bild der Existenz! Stehen bleiben, sich nicht entwurzeln lassen.

Zum Beispiel Bautzen. Zu einer sozialistischen Musterstadt sollte es werden. Weg mit den alten Häusern! Einen riesigen Betonriegel schob der sozialistische Städtebau vor die Altstadt, die mehr und mehr zerfiel. Es gab in Bautzen wie überall in der DDR diese tiefe Solidarität mit den alten Häusern. Sie kamen von weiter her als der Sozialismus, sie wussten mehr vom Menschen als er. Die Sachsen gehören zu den Tiefwurzlern, das ist wohl so. Und wer von Berlin nach Dresden kommt, muss schon blind sein, um nicht zu sehen, dass dort ein anderes Sein beginnt. Die Landschaft, die Häuser, alles verliert seine Nüchternheit.

Was für den einen Heimat ist, ist für andere nur ein Standort

Vielleicht, überlegt Rausch, war es falsch, die Bautzener nie wirklich kennengelernt zu haben. Aber wie denn? Wenn er da war, war er in seinem Hotel. Wenn er zu Hause war, war er in Donaueschingen. Es ist, nun ja, Heimat, Tiefwurzlergebiet. Er hätte nie gedacht, dass er das mal sagen würde. Er, der Transitbürger Rausch, der sein Leben jenseits von Donaueschingen verbrachte. Aber da ist so ein Grün, so ein fettes Grün, das ist das Schwarzwald-Grün, das gibt es woanders nicht.

Manche Dinge scheinen so selbstverständlich, dass man glatt vergisst, sie zu denken. Die Erklärung der leicht absurden Offerte des Schwarzwälders an die Stadt schien den Bautzenern auf der Hand zu liegen: Der ist nicht von hier. Dem sind wir schnurzpiepegal. Was für den einen Heimat ist, ist für andere nur ein Standort.

Es stimmt nicht, dass Rausch keinen Freund hat in Bautzen. Einen hat er auf jeden Fall: Lutz Hillmann. Die Bescheidenheit ist weg, sagt Lutz Hillmann. Und die Hemmschwellen liegen tiefer. Er beobachtet die Bautzener nun schon seit 25 Jahren, er ist der hauptberufliche Seelenkundler der Stadt, denn er ist Intendant des deutsch-sorbischen Theaters. Die Sorben waren die einzige nationale Minderheit der DDR, die Lausitz war schon immer zweisprachig.

Selbst im eigenen Freundeskreis traf er auf "Pegida"-Sympathisanten

Wer ist das denn?, fragte er sich bei den Bildern der ersten Pegida-Umzüge. Doch dann traf Lutz Hillmann selbst im eigenen Freundeskreis auf "Pegida"-Sympathisanten. Hat er sich 25 Jahre lang in der Stadt geirrt? Wenn er das schon höre: Wir verteidigen das Abendland! Was bitte weiß der Durchschnittsbautzener denn vom Abendland?

Weiß er, dass die Lausitz im 17. Jahrhundert während der Gegenreformation 30 000 böhmische Flüchtlinge aufgenommen hat? 30 000! Andererseits: Es waren Glaubensbrüder und -schwestern! Das heißt, sie teilten schon eine Heimat, bevor sie sich kannten. Nachdenken über die Religion im Intendantenbüro.

Die DDR war eine nachreligiöse Gesellschaft. Menschen, die sich von ihrer Religion vorschreiben lassen, was sie essen und wie oft sie am Tag beten, kommen ihr vor wie von einem anderen Stern. Schwerer aber wiegt: Ihr Wirklichkeitsbegriff ist religiös. Als ob irgendeine Religion die moderne Wirklichkeit fassen könnte. Der europäische Gesellschaftsvertrag lautet: Wir leben miteinander, als ob es Gott nicht gäbe. Das ist kein Befund über seine Existenz. Es klammert ihn bloß aus.

"Flüchten Sie bitte weiter! Es gibt hier nichts zu wohnen!"

Lutz Hillmann kommt aus Neukirch, einem typischen Lausitzer Straßendorf. In Neukirch formierte sich der erste Protest gegen ein Asylbewerberheim. Neukirch teilt das Schicksal vieler Dörfer im Osten. In vielen der früher so lebendigen Häusern wohnt nur noch ein alter Mann, eine alte Frau, allein, die Kneipe ist weg, der Dorfladen auch. Das Dorf stirbt. Dörfer sind Gemeinschaften. Religionen sind auch Gemeinschaften. Und jetzt kommen die Flüchtlinge in diese sterbenden Orte, nicht als Einzelne, sondern als Großgruppen. Was ängstigt, ist ihre Zahl.

Auch die Neukircher haben gegen das Asylbewerberheim demonstriert. Eine junge Mutter hatte auf ihr Plakat geschrieben „Flüchten Sie bitte weiter! Es gibt hier nichts zu wohnen!“ Was originell gemeint war, klingt bloß zynisch. Alles kam, wie es die Anwohner befürchtet hatten. Die NPD marschierte auf. Am See zerschlugen ein paar Nordafrikaner einem Mann die Bierflasche auf dem Kopf. Sie teilten nicht das gleiche Vorverständnis der Wirklichkeit. Seitdem gehen Rentner, wenn sie am See wandern wollen, zur Sicherheit in Gruppen. Das Naherholungsgebiet ist zum Nahverunsicherungsgebiet geworden. Und die Asylbewerber wiederum gehen vornehmlich in Gruppen einkaufen. Das ist der Status quo in Bautzen. Gerade wird das zweite Flüchtlingsheim der Stadt bezogen. Nicht mehr als sechzig Leute, bitten die Anwohner. Es wird nicht dabei bleiben.

Und Peter Kilian Rausch? 13 Euro bekommt er pro Person und pro Nacht, davon gehen die Kosten für Strom, Heizung und Wasser ab. Sein Hotel wird nicht heiler, seit die neuen Mieter da sind. Aber mit ihm durch das Haus zu gehen, heißt einen großen Respekt, fast Verehrung für diesen Mann zu spüren. Und Dankbarkeit.

Testperson des neuen Miteinanders

Ja, wenn er sein Hotel umgewidmet hätte und einfach verschwunden wäre. Aber er hat sich zur ersten Testperson des neuen Miteinanders gemacht! Der Chef der AfD hat ihn mal gefragt, was ihn eigentlich qualifiziere, so ein Heim zu führen. Ich bin ein Mensch, hat er geantwortet.

Und Weltbürger, müsste er ergänzen. Rausch spricht Französisch ebenso mühelos wie Englisch, er kennt die Herkunftsländer der meisten seiner Gäste. Außerdem macht er streng genommen nichts anderes als früher: Er managt ein Haus voller Menschen. Peter Kilian Rausch benutzt bemerkenswerte Worte, wenn er von ihnen spricht. Er sagt „meine Jungs“. Oder: „Wir haben schon vier Kinder bekommen!“ Wir!

Am Abend marschiert „Die Rechte“ durch die Stadt. Sie ruft semantischen Unsinn wie „Frei! Total! Und national!“. Kindergesichter. Am Marktplatz hängt ein großes Transparent: „Bautzen bleibt bunt! Budysin wostanje pisany.“

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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