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Forschung: Bittere Pinienkerne

Tatsache oder Hysterie – viele Leute sind beunruhigt: Es geht um Pinienkerne und den Eindruck, dass ihr Genuss einen intensiven metallisch-bitteren Geschmack im Mund verursachen kann, der bis zu zwei Wochen anhält.

Das Phänomen ist wissenschaftlich unerforscht – es könnte sich also um eine Massenhysterie oder einen Jux handeln. Doch dazu sind die Beschreibungen inzwischen längst zu konkret, und sie kommen aus zu unterschiedlichen Quellen, einschlägige Internetforen sind voll davon. Es geht um Pinienkerne und den Eindruck, dass ihr Genuss einen intensiven metallisch-bitteren Geschmack im Mund verursachen kann, der bis zu zwei Wochen anhält. Das Seltsame: Dieses Phänomen tritt nicht sofort ein, sondern oft erst am folgenden Tag oder noch später, und es wird deshalb meist nicht mit der Ursache in Verbindung gebracht. „Ich wollte gestern eine Traube essen“, schreibt ein Betroffener in einem Internetforum, „und es war so, als würde ich einen Löffel Gallenflüssigkeit trinken.“ Und ein anderer ergänzt: „Auf jeden Fall ein total beängstigendes Gefühl irgendwie.“

Entnervte Betroffene gehen mit dem Symptom oft zum Arzt, eine an sich vernünftige Entscheidung, denn permanent bitterer Geschmack kann durchaus ein Symptom schwerwiegender Erkrankungen bis hin zum Hirntumor sein. Doch die einzige Medizin in diesem Fall ist Abwarten. Auch in Berlin ist das Pinienkern-Syndrom in den letzten Wochen aufgetreten.

Erstmals beschrieben wurde es 2001 im „European Journal of Emergency Medicine“. Ein belgischer Arzt hatte die Symptome an sich entdeckt und einem Kollegen berichtet, der in einem Vergiftungszentrum arbeitete. Dort ging man der Sache nach und fand heraus, dass die Kerne oxidiert und also ranzig waren. Dies hätte erklären können, weshalb sie unmittelbar bitter schmecken, lieferte aber keinen Grund für das verzögerte Auftreten und lange Anhalten. Es wurden weder Giftstoffe noch Pilzsporen gefunden. Das Krankenhaus sammelte in den folgenden Monaten sechs weitere Fälle, ohne eine Erklärung finden zu können, wies aber darauf hin, dass die betreffenden Kerne aus China stammten und damit von einer anderen Kiefernart als die traditionell im Mittelmeerraum geernteten. Außerdem wurden ungesättigte Fettsäuren aus der Gruppe der Trigylceride gefunden, deren Rolle aber unklar blieb.

Seitdem ist wissenschaftlich nichts passiert; nur die regierungsamtliche britische „Food Standards Agency“ gab im Sommer 2009 einen Hinweis heraus, dass Pinienkerne mit einem bitteren Nachgeschmack in Verbindung gebracht werden. Man werde das Thema im Auge behalten, obwohl bleibende gesundheitliche Effekte nicht zu befürchten seien, hieß es in der Erklärung. Die deutschen Behörden haben bis heute keine Erkenntnisse – so jedenfalls die Auskunft des Karlsruher Max-Rubner-Instituts, des Bundesinstituts für Ernährung und Lebensmittel. Sein Präsident Gerhard Rechkemmer, ein Nussspezialist, äußerte den Eindruck, es könne sich nur um die Folge einer Erhitzung vor dem Verpacken oder um schlichte Ranzigkeit handeln.

Pinienkerne werden in Deutschland nicht nur wie Nüsse gegessen, sondern überwiegend zu Pesto, der äußerst beliebten italienischen Basilikumpaste verarbeitet, was die Esser oft gar nicht wissen. Traditionell stammen sie von der Mittelmeerkiefer, erkennbar an der langgestreckten Form. In letzter Zeit drängen aber aus dem fernen Osten verstärkt die rundlichen Samen der Korea-Kiefer auf den Markt, die wesentlich billiger sind; in Russland werden außerdem die Samen der Sibirischen Zirbelkiefer als „Zedernüsse“ gehandelt.

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