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Vergewaltigungsprozess: Freispruch für Kachelmann liegt in der Luft

Jörg Kachelmanns Ankläger müssen erklären, warum sie dem mutmaßlichen Opfer trotz Lüge glaubten. Verteidiger Schwenn trumpft unterdessen auf. Der Anwalt spürt einen Wechsel in der Meinung der Richter.

Die Wahrheit sollte man sagen und nichts als die Wahrheit. Nicht erst vor Gericht, auch schon, wenn einen Staatsanwälte befragen. Claudia D., das mutmaßliche Opfer von Jörg Kachelmann, hat es nicht getan. Sie hat gelogen. Und trotzdem, man ermittelte weiter, beließ man Kachelmann in Haft, erhob schlussendlich Anklage.

Dafür müssen sich Lars-Torben Oltrogge und Oskar Gattner jetzt rechtfertigen, am 36. Prozesstag im Vergewaltigungsverfahren, jene Staatsanwälte, denen Kachelmanns Verteidiger vorwirft, sich rettungslos in den Schuldvorwurf verbissen zu haben. Sie müssen es in einer für sie ungewohnten Rolle tun: im Zeugenstand. Die Richter wollen wissen, wie Oltrogge und sein Vorgesetzter Gattner sich bei den Vernehmungen von Claudia D. verhalten haben, wie diese sich gab, als man sie mit ihren Lügen konfrontierte.

Ein aufschlussreicher Moment. Das deutet der 36 Jahre alte Staatsanwalt Oltrogge an: „Das Verfahren wäre einfacher gewesen, wenn die Zeugin jetzt gesagt hätte: ,Ich habe alles erfunden‘. Aber es geht nicht darum, es uns einfach zu machen“. Die Lüge, das waren die Angaben der Nebenklägerin, wie sie von Kachelmanns anderen Liebschaften erfahren haben wollte. Claudia D. habe einen Umschlag in ihrem Briefkasten gefunden, darin Flugtickets auf den Namen Kachelmanns und der Zeugin Viola S. und der schriftliche Hinweis „Er schläft mit ihr“. Doch als die Ermittler ihren Computer auswerteten, fanden sie einen Facebook-Kontakt zu Viola S. ein paar Wochen vor der angeblichen Tatnacht im Februar 2010. Claudia D., auch das wurde klar, hatte Kachelmann vor der folgenreichen Nacht wiedergesehen – ohne ihn zur Rede zu stellen. „Frau D., könnte es sein, dass Sie nicht überall die Wahrheit gesagt haben?“, wollte Oltrogge dann von der Zeugin bei einer Vernehmung am 20. April wissen. Die Frau saß da, niedergeschlagen, zusammengesunken, zögerte, schwieg. „Ich weiß nicht“, habe sie gesagt. Und wieder eine Pause. „Sie meinen vielleicht den Chat?“ Oltrogge ermahnte sie, auch der Brief könne anders zu ihr gelangt sein. Erst nach 20 Minuten Pause und Beratung mit ihrem Anwalt sagte sie, dass der Brief mit den Tickets schon vor Monaten kam, dass sie den beigefügten Zettel selbst geschrieben hat, dass sie unter Pseudonym ins Internet-Gespräch mit Viola S. kam.

„Wenn es noch etwas zu berichtigen gibt, dann wäre jetzt der Zeitpunkt, es zu tun. Sie kommen sonst in Teufels Küche“, habe er ihr gesagt.

Aber Claudia D. blieb bei den Vorwürfen – und verteidigte ihre Lügen. „Ich hatte große Angst, dass man mir nicht glauben wird“, soll Claudia D. laut Vernehmungsprotokoll gesagt haben. „Ich hatte Bedenken, dass alles geplant wirkt.“ Warum aber hat sie Kachelmann nicht früher zur Rede gestellt? „Ich habe den Mut nicht gefunden.“ Es sei alles so gut gelaufen mit ihm, sie habe sich Hoffnungen gemacht. Und nun schäme sie sich für ihre Falschaussagen.

„Ein Einschlag“, so nennt es Oberstaatsanwalt Gattner, als die Nachricht von der Computerauswertung kam. Doch man sei sich bald klar darüber geworden, dass dies für den Wahrheitsgehalt der Aussage zur angeblichen Tatnacht nichts bedeuten müsse – und zwar noch vor der denkwürdigen Vernehmung der Zeugin.

Was folgt aus einer solchen Lüge? Hätte Claudia D. nicht ihre – nach eigenen Worten ganze – Geschichte erzählt, Kachelmann wäre wohl auf freien Fuß gekommen. So deutet es Oltrogge gegenüber den Richtern an. Aber nein, „aus meiner Sicht schien das alles plausibel“, sagt der Staatsanwalt; der dringende Tatverdacht blieb, trotz der Lüge. „Auch, weil das nicht das Kerngeschehen betraf.“

Das Kerngeschehen. Außer den beiden Beteiligten kennt es keiner. Kachelmanns Anwalt Johann Schwenn sieht hier ein dramatisches Versagen der Ankläger, sie hätten nachbohren sollen, bis das Lügengebäude zusammenfiele. Er spricht von den „Mechanismen, die die Zeugin bestärkt hätten, an ihrer Falschbelastung festzuhalten.“ Von der „Geburtsstunde“ der Aussage, die seinem Mandanten zum Verhängnis wurde. Immer wieder grätscht der Anwalt dazwischen, wenn eine Aussage Oltrogges ihm formal missfällt, fährt ihn an, er schulde mehr Respekt, weil ihm ein Satz zu frech erscheint, legt sich mit den Richtern an, weil er meint, sie guckten gelangweilt. „Manches hier kann man nur mit einem Lächeln ertragen“, entfährt es Richter Joachim Bock.

Doch insgesamt kann Schwenn so unzufrieden nicht sein, das jedenfalls lassen seine Einlassungen vom Donnerstag mutmaßen. Der Anwalt will einen Richtungswechsel auf der Richterbank ausgemacht haben. „Im Dezember lief noch alles auf eine Verurteilung zu. Heute wissen wir alle, wohin die Reise geht“, sagt der für seine Selbstgewissheit bekannte Jurist, ohne das Wort Freispruch in den Mund zu nehmen. Möglich, dass er richtig liegt, auch wenn er das eigene Verdienst daran vermutlich zu hoch ansetzt. Sollte es Zweifel an Kachelmanns Schuld geben, so wäre offen, mit welchen Zeugen oder anderen Beweismitteln sie zu beseitigen wären. In vergleichbaren Verfahren – ohne die öffentliche Aufmerksamkeit – hätte man womöglich früher einen Schlussstrich gezogen. Hier will sich das Gericht unter keinen Umständen dem Vorwurf aussetzen, es habe das Geschehen nicht gründlich aufgeklärt.

Andererseits gibt es einen großen, dunklen Faktor, und das sind die Aussagen der Ex-Geliebten unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Auf sie scheint das Gericht viel Wert zu legen. Im Fall eines Schuldspruchs werden die Richter sehr gut erklären müssen, warum.

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