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In Heringsdorf steht die längste Seebrücke Europas. Außerdem wurde hier an Pfählen die Leinwand für die Europameisterschaftsübertragung aufgestellt.

© Archivbild: Claus-Dieter Steyer

Gefahr an der Ostsee: Vor dem Baden an Buhnen wird dringend gewarnt

In Heringsdorf an der Ostsee ist ein Junge ertrunken: An Buhnen und Pfeilern der Seebrücken sackt der Sand, es entsteht ein Sog – der ist auch für gute Schwimmer eine Gefahr. Die Mutter des Jungen schwebt in Lebensgefahr.

Ganz still zeigt sich die Ostsee vor dem bekannten Badeort Heringsdorf auf der Insel Usedom. Der Wind bläst nur schwach, so dass das Meer fast glatt erscheint. Genauso muss es am späten Sonntagnachmittag gewesen sein, als sich an der langen Seebrücke eine Tragödie ereignete. Ein neunjähriger Junge ertrank keine 30 Meter entfernt vom Ufer und inmitten zahlreicher Badegäste. Auf der Intensivstation des Universitätsklinikums Greifswald kämpfen die Ärzte noch um das Leben seiner 31-jährigen Mutter. Die beiden kommen aus Pasewalk an der Landesgrenze zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg und hielten sich in der Fachklinik für Mutter-Kind-Kuren in Heringsdorf auf. Die großen Gefahren an Buhnen und Pfeilern von Seebrücken waren ihnen offensichtlich nicht bekannt gewesen. Die Wasserwacht des Deutschen Roten Kreuzes warnte gestern ausdrücklich davor, sich in die Nähe solch massiver Bauten im Wasser zu begeben.

Die EM-Leinwand in Heringsdorf ist bis heute wegen Streits nicht abgebaut

Die Polizei setzte auch gestern ihre Befragung von Zeugen vor Ort fort, um den Ablauf des Geschehens, das sich so oder ähnlich immer wieder ereignen könnte, zu ermitteln. „Wir gehen bisher davon aus, dass sich Mutter und Sohn zum Baden in die Ostsee begeben haben“, sagte die Sprecherin der Polizei in Anklam. „Es gibt keine Hinweise auf Fremdeinwirkung oder auf andere Dinge.“ Die Staatsanwaltschaft Stralsund habe eine Obduktion der Leiche des Jungen angeordnet.

Der Ort des Badeunfalls erinnert an das wichtigste Fußballereignis des vergangenen Jahres. Auf einer großen Leinwand mitten im Wasser wurden die Spiele der Europameisterschaft übertragen und von der ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohnstein und Oliver Kahn auf einer mit schweren Pfählen befestigten Bühne kommentiert. Heringsdorf und die ganze Insel Usedom hatten sich große Werbeeffekte von den Livebildern versprochen. Ursprünglich sollte die Leinwand nach den Spielen abgebaut werden, aber nach Streitigkeiten ums Geld blieb sie an Ort und Stelle und fungiert heute als Reklameträger. Zwischen der Leinwand und der mit mehr als 500 Metern längsten Seebrücke Europas müssen die 31-Jährige und ihr neunjähriger Sohn ins Wasser gegangen sein. Nach bisherigen Erkenntnissen hatten Rettungsschwimmer der Wasserwacht von ihrem Turm aus zuerst die leblos in der Ostsee treibende Mutter entdeckt. Eine Menschentraube am Strand machte die Retter aufmerksam. Kein Urlauber traute sich aber gleich ins Wasser. „Die haben nur geredet“, hieß es danach von Zeugen. Kurze Zeit später bargen die Rettungsschwimmer die Frau, die noch am Ufer wiederbelebt werden konnte. Offenbar hatte sie sofort von ihrem Sohn gesprochen, wonach dieser sich noch im Wasser befinden müsse. Als Urlauber bestätigten, dass sie die Frau zusammen mit einem Kind am Strand gesehen hatte, rief die Wasserwacht die Strandbesucher zur Bildung einer Menschenkette auf. Doch die Suche nach dem Kind blieb zunächst erfolglos. Taucher schwärmten aus.

Die Mutter trieb leblos in der Ostsee am Strand von Heringsdorf

Nur eine 61-jährige Frau hielt sich nicht an die Aufforderung zum Verlassen des Wassers. „Mir ließ das alles keine Ruhe und ich bin dann noch mal alleine zu den im Wasser stehenden Pfählen“, erzählte Erika Berlin im NDR-Fernsehen. „Dann spürte ich etwas zwischen den Beinen, konnte aber nicht mehr stehen und habe dem Taucher deshalb ein Zeichen gegeben.“ Der fand den Jungen und brachte ihn an den Strand. Hier konnte er ebenfalls reanimiert werden. Ein Rettungshubschrauber flog Mutter und Sohn ins Klinikum Greifswald, wo der Neunjährige aber kurze Zeit später verstarb. Die Zeit zwischen der Entdeckung der Mutter und dem Finden ihres Sohnes betrug rund 15 Minuten.

An Buhnen in der Ostsee gibt es immer wieder Unfälle

Wie die Wasserwacht des DRK mitteilte, ereignen sich immer wieder an Buhnen, Pfählen und Pfeilern von Seebrücken Unfälle. „Der Sand wird am Meeresboden an diesen Stellen ständig weggeschwemmt“, erklärte ein Mitarbeiter die Situation. „Dadurch entsteht ein ziemlich tiefes Loch, von dem dann eine Unterströmung und eine Sogwirkung ausgehen.“ Dieser Effekt sei sogar bei völlig ruhiger See zu beobachten. Selbst erfahrene Schwimmer hätten an diesen Stellen Probleme, sich hier über Wasser zu halten. Wer dann versuche, sich an den Holzstämmen oder Metallpfeilern festzuhalten, habe oft keine Chance. Sie seien oft mit Moos bewachsen und überaus glitschig.

Nach einer Statistik der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft DLRG ertranken im vergangenen Jahr in Deutschland 383 Menschen. Erstmals seit vielen Jahren blieb die Zahl damit unter 400, wozu aber auch der verregnete Sommer beigetragen haben dürfte. In Mecklenburg-Vorpommern kamen 30 Menschen ums Leben, neun mehr als 2011. In Berlin wurden 2012 fünf Todesfälle registriert, in Brandenburg 25. Die meisten Menschen verloren beim Baden in Bayern (75) und Niedersachsen (49) ihr Leben.

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