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Beeren

© ddp

Parasiten: Beerensammeln ohne Furcht

Früher glaubte man, der Fuchsbandwurm würde über Waldfrüchte übertragen. Heute gelten Hunde als Überträger.

Eine Frau pflückt am Waldrand Brombeeren in ein Joghurt-Eimerchen, zwischendurch steckt sie eine Beere auch mal in den Mund. Da spricht eine jüngere Frau sie an, die mit Kind und Hund spazieren geht: "Trauen Sie sich denn, diese Beeren zu essen? Es wird doch immer gewarnt, dass man sich so den Fuchsbandwurm holen und sehr krank werden kann."

"Sie haben recht. An Ihrer Stelle würde ich auch keine Wildbeeren essen oder gar dem Kind geben. Aber ich bin alt, und selbst wenn ich mich infiziere, würde ich den Ausbruch der Krankheit gar nicht mehr erleben." Die Inkubationszeit, also die Zeit, bis die Krankheit ausbricht, beträgt in der Tat über zehn Jahre. Allerdings hat nur jeder dritte Infizierte ernsthafte Beschwerden. Dennoch muss man vorsichtig sein. Früher konnte die Fuchsbandwurmkrankheit – die Echinokokkose – tödlich enden. Heute muss man lebenslang Tabletten einnehmen, weil man die Parasiten nie ganz los wird.

Das Gespräch der Beerensammlerinnen liegt einige Zeit zurück. Heute wäre die Warnung vor Waldbeeren maßlos übertrieben. Die Wissenschaft hat Entwarnung gegeben, was die Früchte des Waldes betrifft. Dafür mahnen die Experten zur Vorsicht beim Umgang mit Haustieren wie Hund und Katze.

Dem Fachblatt "Münchner Medizinische Wochenschrift" (2007, Nr. 29–30, S. 18) sagte Peter Kern, Infektionsmediziner am Uniklinikum Ulm: "Es gibt keinen Beleg dafür, dass beim Verzehr von Waldbeeren ein Risiko besteht, sich mit dem Fuchsbandwurm zu infizieren."

In Ulm dokumentiert man alle gesicherten Fälle von Erkrankungen des Menschen durch den Fuchsbandwurm (Echinokokkus multilocularis), die von den Ärzten gemeldet werden. Hier befindet sich der deutsche Stützpunkt des Europäischen Echinokokkose-Registers.

Nur 13 bis 23 Neuerkrankungen pro Jahr

Solche Register sind sehr nützlich, weil die Forscher damit Fragen wie diese klären können: In welchen Regionen häufen sich bestimmte Krankheiten? Was kann die Ursache sein? Welche Behandlung hat sich am besten bewährt? Besonders wichtig ist diese zentrale Registrierung bei seltenen Leiden wie der Fuchsbandwurmkrankheit des Menschen. Ans Robert-Koch-Institut (RKI) werden pro Jahr nur 13 bis 23 Neuerkrankungen gemeldet (es besteht Meldepflicht ohne Namensnennung). Und Kern spricht von 20 bis 25 neuen Fällen jährlich.

Der Arzt gibt bei der Registrierung auf dem Erhebungsbogen Auskunft über die Diagnostik der nicht leicht zu erkennenden Krankheit, über die befallenen Organe (meist die Leber und benachbartes Gewebe) sowie die Behandlung. Die Patienten werden dabei nach ihren bisherigen Wohnorten, beruflicher Tätigkeit und Haustieren gefragt.

Es zeigte sich, dass die meisten Echinokokkosefälle in den seit langem dafür bekannten Gebieten vorkommen: der Schwäbischen Alb, der Alb-Donau-Region, in Oberschwaben und dem Allgäu. Reisen dorthin gelten aber nicht als riskant, weil man die Wurmeier wahrscheinlich immer wieder aufnehmen muss, ehe es zur Erkrankung kommt.

Im übrigen Deutschland, auch in Berlin, "inden sich bis jetzt nur Einzelfälle im Abstand von mehreren Jahren", heißt es im "Epidemiologischen Bulletin" Nr. 15/2006 des RKI.

Dort werden auch die Ergebnisse einer RKI-Studie mit 40 Patienten und 120 vergleichbaren Kontrollpersonen mitgeteilt. Das Risiko, sich die Fuchsbandwurmkrankheit zu holen, ist demnach "deutlich höher bei Personen, die in der Landwirtschaft tätig sind oder Umgang mit Hunden haben". Ein Zusammenhang mit dem Sammeln und Essen von Wildbeeren oder -pilzen ergab sich nicht.

Heidelbeeren sammeln wie als Kind

Eine gute Nachricht. Man darf wieder Heidelbeeren sammeln wie als Kind. Richtige Blaubeeren, die Zähne und Zunge färben und nach Wald schmecken, anders als die großen Kulturheidelbeeren, die nur von außen blau sind. Die einzigen Risiken und Nebenwirkungen sind Mückenstiche.

Die schlechte Nachricht: Zu inniger Kontakt von Kind und Hund oder Katze kann riskant sein. Das müsste die erfahrene Beerensammlerin der jungen Mutter heute sagen. Denn, so der Ulmer Spezialist Peter Kern: "Der Hund ist ein guter Wirt für den Fuchsbandwurm, deshalb müssen Hunde alle drei Monate entwurmt werden." Und vor dem Essen die Hände waschen, falls doch Wurmeier dran kleben. 

In Berlin sieht man die Lage genauso wie in Ulm, sagte dem Tagesspiegel Klaus Stark, im RKI Fachgebietsleiter für Zoonosen – das sind Tierkrankheiten, die auch auf den Menschen übertragbar sind. "Null Risiko" gebe es zwar nie, aber die Wahrscheinlichkeit, sich durch Waldbeeren zu infizieren, sei äußerst gering. Worauf aber stützen sich die nun überholten Warnungen? Nur auf eine "theoretische Vermutung", sagt Stark. Die Entwarnung dagegen ist durch Register und Studie wissenschaftlich begründet (evidenzbasiert).

Selbst medizinische Wörterbücher weisen immer nur auf Hunde, nie auf Beeren als Infektionsquelle hin. Warum hält sich die Angst vor dem Ungeheuer vom Sommerloch, dem weniger als drei Millimeter kleinen Fuchsbandwurm, so hartnäckig? "Die Warnungen sind schnell raus, die Entwarnungen kommen nicht recht an", sagte Angelika Michel-Drees vom Bundesverband der Verbraucherzentralen kürzlich bei einer Tagung des Bundesinstituts für Risikobewertung.

Dessen Präsident Andreas Hensel meinte selbstkritisch: "Wir haben eine Risiko-Industrie, und daran sind nicht nur die Medien, sondern auch die Verbraucherzentralen und die Wissenschaft beteiligt." Die Furcht vor dem Fuchsbandwurm war offenbar ein besonders erfolgreiches Produkt dieser "Industrie".

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