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Halt geben. Die Palliativmedizin will das Leiden eindämmen und Beschwerden erträglicher machen. Sie kann damit auch dem Wunsch nach Sterbehilfe entgegenwirken. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Gesundheit: Lindern statt heilen

Vielen Menschen kann die letzte Phase ihres Lebens durch Palliativmedizin erleichtert werden Darauf haben sich in Berlin zahlreiche Ärzte spezialisiert. Dennoch gibt es hier keinen eigenen Lehrstuhl.

„Nicht der Tod, sondern das Sterben beunruhigt mich“, hat der französische Landedelmann und Denker Montaigne schon im 16. Jahrhundert notiert. Ein zeitloser Gedanke, der auch uns moderne Großstädter ganz unmittelbar berührt.

Jedes Jahr sterben in Berlin rund 32 000 Menschen. Die Umstände, unter denen das geschieht, haben sich seit Montaignes Zeiten allerdings beträchtlich verändert. „Der Zeitpunkt des Todes, die Art und der Ort des Sterbens werden inzwischen sehr stark von Entscheidungen bestimmt“, sagt Christof Müller-Busch, der über lange Jahre als leitender Arzt im Berliner Krankenhaus Havelhöhe tätig war und heute an der Uni in Witten-Herdecke angehende Mediziner in das Thema Medizin am Lebensende einführt.

Die Aufgaben, die sich Ärzten und Pflegekräften dann stellen, haben sich durch die Fortschritte der modernen Medizin in den letzten 50 Jahren und durch die gestiegene Lebenserwartung gewandelt, die Entscheidungen sind oft eine Herausforderung für alle Beteiligten. Als es noch keine Antibiotika gab, war es noch keine Frage, dass die Lungenentzündung eines alten, geschwächten Menschen oft tödlich verlief. Heute bestünde die Wahl, selbst eine schwer Alzheimerkranke mit einer Pneumonie zum wiederholten Male vom Heim ins Krankenhaus zu verlegen, um ihr die Mittel per Infusion geben zu können. Oder um ihr eine Magensonde zur künstlichen Ernährung anzulegen, falls sie nicht mehr schlucken kann oder das Essen verweigert. Doch nicht alles, was medizinisch machbar ist, ist deshalb auch sinnvoll und gut. Nicht allein die Erfahrung von Ärzten und Pflegekräften, sondern auch wissenschaftliche Studien zeigen, dass eine Begrenzung der Behandlung in vielen dieser Fälle der bessere, der humanere Weg ist, und auch die Leitlinien der Fachgesellschaften geben ihn vor.

Dass Schlagworte wie „aktive Sterbehilfe“, „Tötung auf Verlangen“ oder „assistierter Suizid“ (siehe Kasten) so große gesellschaftliche Beachtung finden, hat allerdings auch mit der vagen Befürchtung vieler Menschen zu tun, eines Tages dem Aktionismus der „Apparatemedizin“ ausgeliefert zu sein. „Einen ‚natürlichen Tod' im herkömmlichen Sinn gibt es ja kaum noch“, sagt Müller-Busch. Umso wichtiger sei die Entscheidung des therapeutischen Teams, sich ab einem bestimmten Punkt zurückzunehmen. „Wir Ärzte tragen hier eine große Verantwortung, die in der modernen Intensivmedizin am deutlichsten wird.“

Sich zurücknehmen: Das bedeutet keinesfalls, die Hände in den Schoß zu legen und mit der Behandlung ganz aufzuhören. Es beinhaltet allerdings, mit der Behandlung ein anderes Ziel anzusteuern. Im Gespräch mit dem Schwerkranken, seinen Angehörigen und dem gesamten Behandlungsteam. Wo Heilung nicht mehr möglich ist, bleibt doch die Linderung. Besonders häufig gehen solche Entscheidungen zur Änderung des Therapieziels heute dem Tod von Menschen voraus, die einem Krebsleiden erliegen, wie ein Viertel der Verstorbenen der letzten Jahre. Die Krankheit hat sich dann oft schon über Jahre hingezogen, Operationen, Bestrahlungen und Medikamente haben nur für einen begrenzten Zeitraum geholfen, der Krebs kam wieder, neue Behandlungen wurden angesetzt. Zuletzt nicht mehr in der Hoffnung, die Tumorerkrankung wirklich heilen zu können, sondern in der Absicht, das Leiden einzudämmen und Beschwerden zu lindern.

Palliativ, so heißt das Fachwort. Wirklich fremd ist es den meisten von uns nicht mehr. Denn die Palliativmedizin boomt in Deutschland. „In keinem Land Europas hat Palliativmedizin durch die Politik so viel Beachtung gefunden wie in Deutschland“, schreibt Müller-Busch in einem Beitrag, der gerade in „Berliner Ärzte“, der offiziellen Zeitschrift der Ärztekammer Berlin, erschienen ist. In den letzten 15 Jahren hat sich die Anzahl der Stationen und Betten in Deutschland verzehnfacht. Inzwischen haben mehr als 6400 Ärztinnen und Ärzte die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin erworben.

Beim Kongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, der vom 12. bis zum 15. September im Berliner Congress Center am Alexanderplatz stattfindet, wird es auch um den messbaren Nutzen gehen: Studien zeigen inzwischen, dass sogar Kosten gespart werden können, wenn in Kliniken palliativmedizinischer Sachverstand Einzug hält. „Nicht jedes Krankenhaus braucht eine Palliativstation, aber jedes Krankenhaus sollte einen Palliativbeauftragten oder ein palliativmedizinisches Team haben“, meint Müller-Busch.

In der Hauptstadt sind wir, was die spezialisierten Stationen betrifft, Spitzenreiter: Sieben Palliativstationen sind inzwischen in Berliner Krankenhäusern eingerichtet, neben Spandau und der Charité verfügen auch das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, die Helios-Kliniken Emil von Behring und Buch und das Malteser-Krankenhaus jeweils über eine solche Station. Die Patienten, die sich dort aufhalten, leiden nicht alle unter Krebs, einige haben auch eine schwere chronische Lungenerkrankung oder eine neurologische Krankheit.

Auf den Palliativstationen konzentriert sich alles darauf, die vielfältigen Beschwerden der Schwerkranken so gut zu behandeln, sie etwa so gut auf Schmerzmittel „einzustellen“, ihre Übelkeit oder ihre Luftnot so gut in den Griff zu bekommen, dass sie anschließend noch einmal nach Hause zurückkehren oder in ein Hospiz aufgenommen werden können. Um dort möglichst friedlich Abschied nehmen zu können und zu sterben.

Die spezialisierte palliative Versorgung muss dabei nicht zwingend im Krankenhaus erfolgen. In Berlin gibt es inzwischen auch über 80 niedergelassene Ärzte, die die Zulassung für spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) haben, dazu 19 SAPV-Pflegeteams. Auch ambulant verfügt die Hauptstadt damit über eines der dichtesten palliativmedizinischen Netze der Republik.

So weit, so beruhigend. Doch es gibt in der Hauptstadt einen Mangel, den Müller-Busch ohne Umschweife als „Skandal“ bezeichnet. Anders als in München, Erlangen, Freiburg oder Aachen fehlt bisher an Europas größtem Uniklinikum in Berlin eine eigene Professur für Palliativmedizin. Und das, obwohl das Querschnittsfach 13 „Palliativmedizin und Schmerzmedizin“ ab Oktober 2014 zum Pflichtfach mit Leistungsnachweis für alle Medizinstudenten werden soll. Die verschiedenen Lehrveranstaltungen zu diesem Gebiet werden nach Auskunft der Charité auch heute schon sehr gut angenommen. „Mit insgesamt zehn Lehrstühlen sind der Süden und Südwesten der Bundesrepublik aber bisher besser aufgestellt als der Norden und der Osten“, so Müller-Busch. Krankheit, Sterben und Tod kennen keine regionale Ungleichheit. Die Ausbildung zum Palliativmediziner schon.

Beim Bürgerforum anlässlich des 9. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin im Umweltforum, Pufendorfstraße 11, wird am 12. 9. ab 16 Uhr über das Thema „Leben und Sterben mit Demenz“ diskutiert – unter anderem mit dem Münchner Psychiater Hans Förstl und dem Journalisten Tilman Jens (www.dgp2012.de). Von Christof Müller-Busch erscheint am heutigen Montag das Buch „Abschied braucht Zeit – Palliativmedizin und Ethik des Sterbens“ (Suhrkamp Verlag).

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