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Ein Blick ins die Küche der Marzahner Musterwohnung.

© Mike Wolff

Musterwohnung für Pflegebedürftige: Die (un)heimlichen Helfer

In Marzahn versammelt eine „Ermündigungswohnung“ alles, was das Leben im Alter erleichtert. Auch der Senat unterstützt das Projekt. Ein Besuch.

Den Kran möchte niemand ausprobieren. Dabei ist er das technische Glanzstück dieser Wohnung. Draußen nieselt es, der Tag bleibt trüb, drinnen leuchten 140 Quadratmeter Zuhause, großzügig und stilbewusst eingerichtet, Fernsehsessel, Flachbildschirm, moderne Küche, automatische Schiebetüren ... Wie hoch war noch mal die Miete? Scherzfrage, auf die auch artig gelacht wird. Aber hinter diesem Lachen verbirgt sich Wachsamkeit, Distanz und auch ein wenig Beklemmung.

Hier im Marzahner Gewerbegebiet östlich der Rhinstraße wohnt niemand, dennoch wird dauernd Besuch empfangen. Gastgeberin ist Kathrin Peltsch von der gemeinnützigen Gesellschaft Wuhletal. Sie führt durch eine technisch aufgerüstete „Ermündigungswohnung“ für das Leben mit Einschränkungen. Und für das Leben als Pflegefall. Mehr als 40 Unternehmen zeigen, was sie sich ausgedacht haben, um das Leben zu erleichtern. Die „Assistenzsysteme“ tarnen sich als Uhrenradio oder Lichtschalter. Was wie ein Handtuchhalter aussieht, hält auch einen 120 Kilo schweren Menschen aus, der sich abstützen muss. Ein Küchenschrank fährt der Köchin auf Knopfdruck entgegen. Und ein Fernsehsessel nimmt seinem Sitzgast das beschwerliche Aufstehen ab. Das ist spaßig. Vor allem spaßig. Und ein bisschen beklemmend.

Sechs aufgekratzte und agile Menschen sind heute gekommen, um die „Ermündigungswohnung“ zu besichtigen. Sie sind schon älter, zwischen 70 und 80, spielen Tennis oder machen Rehasport. Sie wissen nicht, was ihnen bevorsteht, und suchen Rat. Könnte sein, dass sie die ganzen Hilfsmittel hier niemals brauchen werden. Die Wahrscheinlichkeit lehrt sie aber trotzdem, vorzubeugen. Das zögerlich auftretende Ehepaar aus Johannisthal zieht in eine kleinere Wohnung und überlegt, ein neues Bad einbauen zu lassen. Das Vorführbad hat einen Kran zum Heben auf die Toilette oder in die Badewanne. Doch das Paar interessiert sich mehr für den abgesenkten Einstieg in die Wanne. Am Rand ist ein Sitz befestigt, der auf Befehl langsam ins Wasser eintaucht. Ist das Bad beendet, fährt der Sitz wieder hoch, und eine Pumpe saugt das Badewasser ab. Kosten: rund 9000 Euro. „Eine Menge Geld“.

Sogar die Matraze lässt sich knicken.
Sogar die Matraze lässt sich knicken.

© Mike Wolff

Ist ja nur eine Anregung. Kathrin Peltsch behelligt niemanden mit Werbematerial oder Kaufangeboten. Wer fragt, bekommt einen Flyer oder einen Tipp, nach Angeboten im Internet zu suchen. Möglich ist auch, dass die Firma OTB, die das Projekt realisiert hat, einen Berater nach Hause schickt. Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) unterstützt die Initiative. In Berlin leben rund 100 000 pflegebedürftige Menschen, von denen die Hälfte von Angehörigen betreut werde, sagt er. Doch nur fünf Prozent der Wohnungen seien bislang altersgerecht ausgestattet. Da tut sich ein riesiger Markt auf.

88 technische Lösungen sind in der Musterwohnung verbaut. Oder stehen herum wie die Plastiksektkelche, die farblich für schwache Augen gestalteten Teller oder die Nasentassen. Die hat Wolfgang Böhringer, der quirlige pensionierte Maschinenbauingenieur aus Mahlsdorf, besonders ins Herz geschlossen. Eine Einbuchtung für die Nase sorgt dafür, das die Tasse weiter nach oben gegen das Gesicht gekippt werden kann als herkömmliche Fabrikate. Da muss der steife Nacken nicht mehr mithelfen.

Böhringer ist mit seiner Frau gekommen, die mal in der Badewanne probesitzt und auch die elektrische Bettmechanik testet. Mit dem Ergebnis, dass ihre Beine zu kurz sind. Oder die Mechanik. Die Matratze lässt sich in alle gewünschten Liege- und Sitzpositionen verbiegen, schwenkt um 90 Grad und entlässt ihren Bestimmer auf Wunsch in die Vertikale. Die Besucher lächeln und blicken doch reserviert auf diesen summenden Aufstehgehilfen.

Spezielle Tassen haben Aussparungen für die Nase, um das Gefäß beim Trinken weiter nach oben gegen das Gesicht kippen zu können.
Spezielle Tassen haben Aussparungen für die Nase, um das Gefäß beim Trinken weiter nach oben gegen das Gesicht kippen zu können.

© Mike Wolff

Einiges überzeugt auch die jüngeren Testpersonen. Eine Schiebetür zur Küche, die per Bewegungsmelder gesteuert wird. Eine absenkbare Gardinenstange, damit das gefährliche Stuhlmanöver zum Gardinenwechseln entfällt. Oder ein lernendes System zur Heizungsregulierung. Das Digitalhirn merkt sich, wann und wie oft welche Räume betreten werden, und passt die Steuerung entsprechend an. Das spart Energie und funktioniert in der Regel besser als klassisches Auf- und Zudrehen. Das lernende System ruft auch telefonisch nach Hilfe, wenn bestimmte Gewohnheiten wie Duschen über Gebühr lange dauern. Oder die Kühlschranktür verdächtig lange offen bleibt.

Es gibt auch kleine Dinge für wenig Geld: Aufsätze für Steckdosen, die das Stolpern über Stromkabel verhindern sollen. Lichtleisten zum Zurechtfinden in der Nacht. Und ein Wasserdetektor, der Überschwemmungen im Bad verhindert. „Das ist gut“, sagt die Frau mit den kastanienroten Haaren. Böhringer erzählt, er habe schon in den 80er Jahren in der DDR auf barrierefreies Wohnen geachtet. Sein Haus baute er überwiegend von eigener Hand. Die Garage stellte er gleich neben die Kücheneingangstür, wegen der kurzen Wege. „Ich habe zwölf Jahre bei der kommunalen Wohnungsverwaltung Friedrichshain gearbeitet.“ Da weiß einer, wovon er redet. „Haben Sie auch Fußbodenheizung?“ Haben sie nicht. Böhringer schon. „Kann man einfach an den Rücklauf anschließen.“ Beim steuerbaren Fernsehsessel monieren die Herren, es gehe zu langsam mit dem Auskippen des Sitzenden. „Das darf nicht schneller gehen. Sonst macht der Kreislauf nicht mit“, sagt Kathrin Peltsch.

Der Kran ist weiter unbenutzt. Darauf angewiesen zu sein, möchte sich keiner vorstellen. Ich teste den Kran selbst. Maximal 250 Kilo kann er heben. Ein Netzgewebe wird unter meinen Oberschenkeln und hinterm Rücken verbunden. Die Kranwinde zieht an, das Gewebe legt meine Extremitäten lahm, schließlich wuchtet der Apparat meinen gestauchten Körper langsam durch den Raum bis über das Bett. Ich fühle mich schwer und handlungsunfähig. Entmündigt.

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