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Hilfe. Eva Gummlich behandelt in der Caritas Ambulanz am Bahnhof Zoo Menschen ohne Krankenversicherung

© Georg Moritz

Private Krankenversicherung: Im Abseits

Was passiert eigentlich mit denen, die aus der privaten Krankenversicherung fliegen?  In Deutschland ist das für 137 000 Menschen ein großes Problem. Wir haben zwei von ihnen getroffen.

Niemand spricht gern darüber, in Deutschland nicht krankenversichert zu sein. Es klingt, als stünde man abseits der Gesellschaft. Und doch haben 137 000 Menschen laut statistischem Bundesamt in Deutschland keine Krankenversicherung und auch keinen Anspruch darauf. Julia Koziar (28), Sozialarbeiterin beim Deutschen Roten Kreuz Berlin-Südwest, schätzt die Dunkelziffer sogar weitaus höher ein: „Viele schämen sich, weil sie das Gefühl haben, in ihrem Leben gescheitert zu sein. Dabei verbirgt sich oft ein trauriges Schicksal dahinter, dass diese Menschen in so eine Misere gebracht hat.“ Eine Misere, in die vor allem Freiberufler und Menschen ohne Arbeit geraten.

Friedrich Krause (Name geändert) ist einer von ihnen. Der 45-jährige selbständige Fotograf aus Steglitz ist seit zehn Jahren nicht mehr krankenversichert. Davor war er bei der Halleschen privat versichert. 2003 ging sein Unternehmen in die Insolvenz: „Mir brachen die Aufträge weg und ich konnte die Beiträge für meine Krankenversicherung nicht mehr bezahlen. Am Ende flog ich aus der Kasse raus.“

Ähnlich ist es Gudrun Berger (Name geändert) ergangen. Die 79-jährige Rentnerin aus Lankwitz war acht Jahre lang nicht krankenversichert. Als Aushilfskraft bei der Messe war sie immer nur zeitweise beschäftigt. Die restliche Zeit hielt sie sich mit Nebenjobs über Wasser. Ihr blieben gerade mal 300 Euro im Monat zum Leben. „Davon sollte ich auch noch meine Krankenversicherung bezahlen. Das reichte hinten und vorne nicht, aber ich war zu stolz, um zum Amt zu gehen. Ich habe 48 Jahre hart gearbeitet und wollte mein Leben auch weiterhin alleine meistern.“ Die IKK kündigte ihr mit 70 Jahren die Mitgliedschaft. „Sie haben mir ein Schreiben geschickt, dass ich in dem Alter nie wieder in eine Krankenversicherung komme“, erinnert sich Gudrun. Die gesetzlichen Kassen nehmen Mitglieder in der Regel nur bis zum 55. Lebensjahr auf.

Seit 2009 ist es nicht mehr möglich, aus der Kasse zu fliegen, weil man seine Beiträge nicht mehr bezahlen kann. Allerdings können private Kassen ihren Mitgliedern bei Nichtzahlung der Beiträge die Leistungen auf ein Minimum kürzen, so dass nur noch eine Notversorgung gewährleistet wird. Krause ist seit einem Jahrzehnt nicht mehr krankenversichert, musste aber seitdem nicht zum Arzt. „Meine Zahnsanierung habe ich für 2000 Euro selber bezahlt“, sagt er.

Gudrun Berger hatte sich nach dem Tod ihres Mannes hoch verschuldet. „Es fiel mir so schwer, die Miete allein zu bezahlen. Ich habe doch selbst so wenig verdient“, sagt sie leise und klammert sich an den Griffen ihres Gehwagens fest. Seit einem Jahr kann sie nicht mehr alleine gehen. Ihr Leiden begann mit starken Schmerzen in der Leistengegend. „Es tat so wahninnig weh und ich konnte nicht mehr auftreten. Alle haben gesagt, jetzt geh doch endlich mal zum Arzt, aber ich war doch nicht versichert.“ Zu diesem Zeitpunkt besuchte Gudrun bereits die Seniorenbegegnungsstätte „Mittenmang“ in Steglitz. Sie half dort ehrenamtlich beim DRK in der Kleiderkammer wie auch in einem Gruppenangebot für Senioren und traf dort auf die Projektleiterin Julia Koziar. Ohne sie wäre Gudrun bis heute noch nicht krankenversichert. Sie war es auch, die dafür sorgte, dass die Rentnerin umgehend ärztlich versorgt wurde. Zunächst bei einer Berliner Ärztin, die kostenlos Obdachlose behandelt. Gudrun ist nicht obdachlos, bei ihr hatte man nur eine Ausnahme gemacht.

Ärztliche Behandlungen für Menschen ohne Krankenversicherung bieten in Berlin Hilfsorganisationen wie Malteser und Caritas an. Ursprünglich war das Projekt mal für Migranten und Obdachlose gedacht. Doch längst kommen in die Caritas-Ambulanz am Bahnhof-Zoo auch Patienten mit einem festen Wohnsitz. „Wir versorgen bis zu 32 Patienten am Tag, die nicht krankenversichert sind“, sagt Eva Gummlich. Die 62-jährige Allgemeinmedizinerin aus Ludwigsfelde ist in Altersteilzeit und arbeitet einige Tage im Monat ehrenamtlich in der Ambulanz. „Wir funktionieren wie eine herkömmliche Hausarztpraxis, sind nur nicht so gut ausgestattet. Bei sehr schwierigen Fällen kooperieren wir mit Berliner Krankenhäusern.“

Gudrun Berger war so ein Fall. „Fortgeschrittene Arthrose in der Hüfte“, lautete die Diagnose. Ohne sofortige Operation wäre Gudrun für immer auf den Rollstuhl angewiesen gewesen. Julia Koziar und eine Kollegin vom Sozialamt überredeten die Ärzte im Krankenhaus, die alte Dame auch ohne Versicherung zu behandeln. Die beiden Sozialarbeiter schafften es sogar, dass Gudrun ein halbes Jahr später rückwirkend in ihre ehemalige Krankenkasse, in die IKK, aufgenommen werden konnte. Die Beiträge zahlt das Sozialamt.

„Seit der Versicherungspflicht 2009 sind die Kassen verpflichtet, Mitglieder nach dem Rauswurf wieder aufzunehmen. Trotzdem machen sie es ihnen sehr schwer, in dem sie unmenschlich hohe Beiträge fordern. Sie verunsichern diese Menschen meistens bewusst, um eine Aufnahme zu verhindern“, sagt Koziar. Das funktioniert, weil Betroffene ihre Rechte nicht kennen und oft einen langen juristischen Prozess scheuen.

Auch Krause hat diese Erfahrung gemacht. Die Hallesche will 660 Euro monatlich für den Standardtarif mit einer Selbstbeteiligung von 3000 Euro, zusätzlich verlangt sie knapp 1000 Euro als Entschädigung für frühere nicht gezahlte Beiträge. Zusätzlich droht ein Bußgeld. „Wovon soll ich das bezahlen? Die Auftragslage für Fotografen ist schlecht. Im Schnitt verdiene ich 1000 Euro im Monat“, sagt er. In die Gesetzliche darf er wegen seiner Selbständigkeit nicht. Als er seinem Krankenversicherungsvertreter anvertraute, einen Antrag auf staatliche Unterstützung stellen zu müssen, weil er die 660 Euro nicht bezahlen könne, habe der gesagt: Wenn das Amt zahle, koste der Tarif nur 330 Euro im Monat. Im Bundesministerium für Gesundheit war man über die Beitragshöhe verwundert. Der Beitrag im Basistarif sei begrenzt, er dürfe den Höchstbeitrag in der gesetzlichen Krankenkasse nicht überschreiten, er beläuft sich derzeit auf 593 Euro im Monat, sagt eine Sprecherin des Ministeriums.

Krause leidet unter der Situation. Er liegt häufig nachts wach – mit Atemnot. Dann kriecht wieder diese Angst hoch, die ihn seit zehn Jahren verfolgt: Zu wissen, dass er im Notfall keinen Arzt bezahlen könnte und sich mit einem Krankenhausaufenthalt noch weiter verschulden würde: „Es ist ein furchtbares Gefühl, weil man in diesem Moment ganz allein ist.“

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