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Gesundheit: Station Lebensmut

Palliativklinik – der Begriff ist für viele gleichbedeutend mit Hospiz für unheilbar Kranke In Wirklichkeit finden Patienten dort häufig neue Hoffnung. Wie am Vivantes Klinikum Spandau

„Ich müsste jetzt langsam wieder Krankengymnastik für meinen Arm bekommen“, sagt Hildegard M. (Name geändert). Ganz schmal, aber im eleganten Nachthemd und schön frisiert liegt sie in ihrem Bett. Berichtet, dass die Schmerzen in ihrem linken Arm nun erträglich sind, nur sei er schwach, viel zu kraftlos. Die 90-Jährige ist nicht in der Stimmung, sich damit abzufinden, nicht in diesem Moment. Gestern war das anders. „Da hat sie noch davon gesprochen, dass sie sterben möchte“, erinnert sich Walter Würfel. „Kaum ist der Schmerz weg, so wird der Kopf frei, es entsteht wieder eine Lebensperspektive“, weiß der engagierte Krankenpfleger, der seit fast 20 Jahren auf der Palliativstation des Vivantes Klinikums Spandau arbeitet.

Die Station war die erste Palliativstation in Berlin, eröffnet wurde sie am 1. Oktober 1991. Und das ausgerechnet in dem Gebäudeteil, der direkt nach dem Bau des Krankenhauses die Entbindungsstation beherbergt hatte. Geburt und Tod, Anfang und Ende des Lebens, eng verknüpft. Aber halt: Die Formulierung verführt dazu, einem gängigen Irrtum aufzusitzen. Die Palliativstation eines Krankenhauses ist nicht, wie viele meinen, ein „Ort zum Sterben“. Es stimmt zwar: Hier werden Menschen behandelt und betreut, deren Krankheit weit fortgeschritten und nicht heilbar ist. „Doch die Krankheit muss nicht in absehbarer Zeit zum Tode führen“, erklärt Ernst Späth-Schwalbe, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, zu der auch die Palliativmedizin gehört. In einer Studie, die 2010 im New England Journal of Medicine erschienen ist, hat sich sogar gezeigt: Patienten mit unheilbarem Lungenkrebs, die palliativmedizinisch behandelt werden, leben bei ansonsten gleicher Behandlung fast drei Monate länger als andere, die diese Betreuung nicht erfahren. Die Autoren sind überzeugt, dass der Grund auch im Lebensmut zu suchen ist, der steigt, sobald die Beschwerden abnehmen.

„Pallium“ ist das lateinische Wort für „Mantel“. Den will ein Palliativmediziner schützend um seinen Patienten legen. Meist geht es heute um Krebskranke, auch Hildegard M. ist unheilbar an Krebs erkrankt. Die Stationen sind also fast immer, wie hier in Spandau, mit einer Klinik für Onkologie und Hämatologie verbunden und aus ihr heraus entstanden. Der Mantel, der hier angeboten wird, besteht bei Bedarf auch aus den bekannten „harten“ Methoden der Tumorbekämpfung. „Wenn wir glauben, dass eine Chemo- oder Strahlentherapie die Beschwerden am besten lindert, dann geben wir sie“, sagt Späth-Schwalbe. Nicht um zu heilen, aber um zu helfen. Auch wenn die Ärzte den Kampf gegen den Krebs aufgegeben haben, bleiben ihnen andere Kämpfe, die heute sehr erfolgreich geführt werden können: Gegen die Schmerzen, gegen die Übelkeit, gegen die Atemnot, gegen die Angst. „Unser Ansatz ist es, die Symptome zu behandeln“, sagt Späth-Schwalbe. „Wir versuchen, ein Netz um die Patienten und um ihre Angehörigen zu spannen.“ So beschreibt Maike de Wit die Aufgabe der Palliativmedizin. Sie ist Chefärztin der Klinik für Innere Medizin – Hämatologie und Onkologie im Vivantes Klinikum Neukölln. Dort soll im nächsten Jahr eine Palliativstation eröffnet werden. Die Chefärztin und zwei ihrer Oberärzte verfügen ebenfalls über die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin. Noch aber müssen sie diese besondere Betreuung, zu der auch Gespräche mit einer Psychoonkologin und Kunsttherapie gehören, auf den normalen Stationen anbieten.

Sechs Palliativstationen sind inzwischen in Berliner Krankenhäusern eingerichtet, neben Spandau und der Charité verfügen auch das Gemeinschaftskrankenhaus Havelhöhe, die Helios-Kliniken Emil von Behring und Buch und das Malteser-Krankenhaus über eine solche Station. Die Patienten, die sich dort aufhalten, haben nicht nur Krebs, sondern manchmal auch eine schwere chronische Lungenerkrankung oder eine neurologische Krankheit.

Obwohl sie schwer und unheilbar krank sind, obwohl ihr Leben sich dem Ende zuneigt, kommen sie, um wieder zu gehen: Wenn ein Konzept für die Behandlung der Schmerzen und der Atemnot gefunden ist, das ambulant fortgeführt werden kann, können sie nach Hause oder in ein Hospiz. Bei besonderen Problemen gibt es aber auch den Weg zurück, unter den Mantel des Krankenhauses. Möglich ist das Leben zu Hause durch die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV), die gut ausgebildete Ärzte und Pflegekräfte sicherstellen. 5000 Ärzte haben in Deutschland bisher die Zusatzweiterbildung zum Palliativmediziner gemacht. Weil jeder Arzt über Grundkenntnisse verfügen sollte, steht das Fach ab 2013 verpflichtend für alle Medizinstudenten auf dem Programm.

„Palliativmedizin darf nicht erst in der letzten Lebensendphase einsetzen, sondern muss bei unheilbaren, schwer kranken Patienten schon vorher integriert werden“, fordert Friedemann Nauck, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Bisher stünden für eine Million Einwohner 22 Betten auf Palliativstationen zur Verfügung, gebraucht würden aber 30, rechnet die Fachgesellschaft vor.

In Spandau gibt es sechs Einzel- und zwei Doppelzimmer. Eines davon ist für Angehörige reserviert. Es gibt einen Balkon, ein Wohnzimmer, einen Raum, in dem immer freitags ein gemeinsames Frühstück angeboten wird. Und es gibt sogar einen Raucherraum. Krebsmediziner Späth-Schwalbe, der selbst sehr engagiert und erfolgreich darum gekämpft hat, dass das Klinikum zum „Nichtraucher-Krankenhaus“ wurde, steht dazu, dass hier, auf der Palliativstation, eine Ausnahme gemacht wird. Es geht schließlich um die Lebensqualität der unheilbar Kranken.

Es gibt andere Ausnahmen. Im Flur hängt ein Foto, auf dem ein schwerkranker Patient zu sehen ist, der am „Tropf“ hängt, weil er sein Schmerzmittel per Infusion bekommt. Vom Nachttisch aus setzt gerade eine Katze zum Sprung auf sein Bett an. Er hat sich gewünscht, sein Haustier bei sich zu haben. „Wir erfüllen nach Möglichkeit auch außergewöhnliche Wünsche“, erklärt Walter Würfel das erstaunliche Bild. Und berichtet, dass im Lauf der Jahre auch schon einige Trauungen auf der Station stattgefunden haben.

Im Schnitt bleiben die Patienten zehn bis zwölf Tage. Die meisten können dann nach Hause oder in ein Hospiz. Auch Hildegard M. wird wohl bald entlassen werden. Im Flur, nicht weit von ihrer Zimmertür, erinnert aber eine brennende Kerze daran, dass an diesem Tag ein Mensch auf der Palliativstation gestorben ist.

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