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Gesundheit: Weihnachten im Gehirn

Gott und graue Zellen: Forscher fragen sich, wo religiöse Gefühle ihren Ursprung haben

Was bedeutet Ihnen Weihnachten? Das Familienfest mit Geschenken und gutem Essen? Eine unglückliche Verkettung zahlreicher Stressfaktoren? Erinnerung an Jesu Geburt im Stall von Bethlehem? Oder von allem ein bisschen?

Womöglich wissen Sie es selbst nicht ganz genau. Dann könnten Ihnen Hirnforscher helfen: indem sie Sie mit dem Kopf voran in einen Tomografen schieben und nachschauen, was sich so in Ihren Hirnwindungen abspielt, während Sie über Kopfhörer der biblischen Weihnachtsgeschichte lauschen: „Es begab sich aber zu der Zeit ...“

Die Psychologin Nina Azari von der Düsseldorfer Heinrich Heine-Universität stellte ein ganz ähnliches Experiment an. Sie ließ zwölf Testpersonen – sechs überzeugte Atheisten sowie sechs aktive Mitglieder einer evangelischen Freikirche – den berühmten Psalm 23 in einer Art Hirnscanner rezitieren: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird an nichts mangeln ...“ Die Wissenschaftlerin wollte herausfinden, ob Spiritualität eine Entsprechung im Gehirn besitzt.

Die Durchleuchtung von Religion und Glaube mittels bildgebender Verfahren ist das vielleicht schillerndste Unterfangen der derzeit viel diskutierten Neurowissenschaften. Biologen und Mediziner, Genetiker und Psychologen suchen die Antworten auf einige hoch aktuelle Fragen im menschlichen Gehirn: Warum sind manche Menschen felsenfest von ihrem Glauben überzeugt, während andere zweifeln? Tickt das religiöse Gehirn anders als das aufgeklärte?

Solche Forschung birgt Sprengstoff. Denn was wäre zum Beispiel, wenn am Ende herauskäme, der Glaube an ein höheres Wesen sei genetisch veranlagt oder durch bestimmte Persönlichkeitseigenschaften begünstigt? Damit würde die Wissenschaft sämtlichen Pfarrern in die Parade fahren, die auch an diesem 24. Dezember betonen, die Weihnachtsbotschaft gelte allen Menschen.

Die Suche nach der Entsprechung des Glaubens im Gehirn bildet den Ausgangspunkt einer als „Neurotheologie“ firmierenden jungen Forschungsdisziplin, zu der sich vor allem in den USA bereits Wissenschaftler bekennen.

Neurotheologie aber ist kein Zweig der akademischen Theologie, sondern eine Unterabteilung der Hirnforschung. Neurotheologen haben nie Quellenkritik studiert und können im Zweifelsfall weder Altgriechisch noch Hebräisch. Dafür verstehen sie sich auf naturwissenschaftliche Verfahren zur Erforschung unserer grauen Zellen. Mit der Religion freilich gehen Neurotheologen arg oberflächlich um: Zwischen den religiösen Praktiken von Freikirchlern, Franziskanernonnen oder Buddhisten, die sie in die KernspinRöhre schieben, machen sie kaum einen Unterschied.

Einer der Stars der Szene ist der amerikanische Neurologe Vilayanur Ramachandran, der mit der Theorie eines Gottesmoduls im Gehirn von sich reden macht. Patienten mit Schläfenlappen-Epilepsien regten den an der Universität von Kalifornien in San Diego tätigen Forscher an, sich einmal näher mit diesem Hirnbereich zu beschäftigen.

Liegt der Ausgangspunkt der gewitterartig überschießenden Erregungen in einem bestimmten, hinter dem linken Ohr im Schädel verborgenen Hirnareal des Schläfenlappens, berichten Betroffene von spirituellen Erfahrungen wie etwa Visionen. Aber auch in den Phasen zwischen zwei Anfällen outen sich manche als sehr empfänglich für religiöse Reize. Einige elektrisiert allein der Gedanke an Gott so stark, dass ihre Begeisterung auf Außenstehende fast fanatisch wirkt.

Wie Ramachandran nun im Experiment nachweisen konnte, wecken selbst Bilder mit religiösen Symbolen oder Wörter wie „Gott“ oder „heilig“ bei diesen Menschen ähnlich starke Emotionen wie Fotos mit erotischen oder grausigen Szenen auf andere Menschen. Allerdings lassen Ramachandrans Studien nicht wirklich den Schluss zu, dass auch „normaler“ Glaube einer Überaktivität im Bereich des Schläfenlappens entspringt.

Hier zeigt sich das grundsätzliche Problem neurotheologischer Forschung. Verzückung, Ekstase, das Gefühl, eins zu sein mit dem Universum, all das hat erst einmal gar nichts mit dem Festhalten an Glaubenssätzen zu tun. Wie etwa dem christlichen, dass Jesus Gottes Sohn war.

Dennoch sind neurotheologische Experimente hoch interessant, machen sie doch einzelne Aspekte von Religiosität verstehbar. So konnte der Radiologe Andrew Newberg von der Universität von Pennsylvania empirisch nachweisen, dass die Gehirne intensiv betender Franziskanerinnen und meditierender Zen-Buddhisten im Moment tiefster Versenkung sehr ähnliche Erregungsmuster zeigten: eine deutliche Abnahme von Aktivität im einem als Orientierungs-Assoziations-Areal (OAA) bekanntem Teil des Scheitellappens.

Das linksseitige OAA vermittelt das Gefühl für die eigenen physischen Grenzen, seine Entsprechung in der rechten Gehirnhälfte verarbeitet Informationen über die räumliche Orientierung des Körpers. Der neurologische Befund einer Aktivitätsabnahme passte also wunderbar zu dem von den Testpersonen beschriebenen Eindruck, während ihrer spirituellen Einkehr würden die Grenzen von Ich und Kosmos zerfließen.

Doch Glaube ist etwas anderes als geistige Versenkung. Er geht sowohl mit Gefühlen als auch mit Verstandestätigkeit einher. Für Christen ist Weihnachten eben beides: festliche Stimmung im Kerzenschein, aber auch das bewusste Erinnern an die Menschwerdung Gottes.

Interessanterweise belegt das Experiment von Nina Azari von der Uni Düsseldorf gerade die Bedeutung der Ratio in Glaubensangelegenheiten. Die Forscherin hatte ihre zwölf Probanden sehr gezielt ausgewählt. Zum Beispiel hatten alle bei einem Fragebogentest vergleichbare Werte in punkto Lebenszufriedenheit erreicht. Ein einziges Kriterium trennte die zwölf ohne Wenn und Aber in zwei Lager: der Glaube. Die bekennenden Christen schauten ohne Ausnahme auf ein Bekehrungserlebnis zurück.

Nun blickte Azari ihnen beim Ablesen dreier Texte ins Allerheiligste. Außer Psalm 23 mussten die Versuchspersonen zu Kontrollzwecken noch eine staubtrockene Anleitung zur Benutzung einer Telefonkarte sowie einen Kinderreim ohne religiösen Inhalt lesen.

Währenddessen zeichnete die Positronenemissionstomografie die Vorgänge in den Gehirnen auf. Bei dieser Methode wird den Probanden eine schwach radioaktive Substanz in die Armvene gespritzt. Sie reichert sich in Minutenschnelle im Gehirn an. Areale mit höherer Abstrahlung lassen dabei auf eine höhere Durchblutung schließen.

Das Ergebnis der Studie: Tatsächlich fielen die Gehirne der Gläubigen beim Sprechen des Bibeltextes durch besondere Aktivität auf. Und zwar in mehreren Bereichen der Stirn- und Scheitellappen, genauer: in Arealen, die für die Bewertung von Gedanken wichtig sind.

Azari interpretiert diesen Befund so: In der ungewohnten, alltagsfernen Laborsituation, in einem unbequemen Apparat liegend, versuchten sämtliche Testteilnehmer, dem Geschehen Sinn zu verleihen. Hierfür konnten die Christen den vertrauten Psalmausschnitt heranziehen, der Trost in unsicherer Lage verheißt. Wer den Text nicht auf sich beziehen konnte, dem half er auch nicht.

Zurück zur Ausgangsfrage. Vielleicht könnten Hirnforscher an der Aktivität Ihres Gehirns ablesen, ob Sie mit der Weihnachtsgeschichte mehr anfangen als der Durchschnittsbürger. Immerhin wäre die Handlung ähnlich wie der 23. Psalm bestens geeignet, ihr Unwohlsein im Tomografen zu mildern. Die Geschichte von einem liebenden Gott, der sich nicht zu schade ist, als verletzliches Kind in die Gemeinschaft der Menschen zu treten.

Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift „Gehirn & Geist“ und Herausgeber des soeben im Fischer Taschenbuchverlag erschienenen Buches „Wer erklärt den Menschen? Hirnforscher, Psychologen und Philosophen im Dialog“

Carsten Könneker

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