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Panorama: Halali für Honecker

Am Montag wird die prächtige Residenz am Drewitzer See versteigert – Anwohner erzählen von alten Zeiten

Die Autobahn zwischen Berlin und Rostock macht auf ihrem Kurs durch die Mecklenburgische Seenplatte einen ungewöhnlich weiten Linksbogen. Dabei hätte sich zwischen den Ausfahrten Malchow und Linstow, rund 80 Kilometer südlich der Hansestadt, eine schnurgerade Streckenführung angeboten. Doch die Straßenplaner in den siebziger Jahren mussten besonderen Vorgaben folgen. Weil sich östlich des Drewitzer Sees eines der bevorzugten Staatsjagdgebiete mit einer entsprechenden Residenz für Honecker und seine Staatsführung befand, sollte kein Durchreiseverkehr die Abgeschiedenheit stören. Deshalb führt die Autobahn seit ihrer Eröffnung 1980 weit geschwungen am östlichen Ufer des Drewitzer Sees entlang. Den DDR-Staatschef kümmerte der Umweg nicht. Er benutzte eine eigene und durch Wachposten und Schlagbaum gesicherte eigene Autobahnabfahrt zu seinem ab 1982 pompös umgebauten Jagdsitz. Am kommenden Montag kommt die Residenz unter den Hammer – zu einem Mindestgebot von 1,87 Millionen Euro.

Bewohner der Gegend erinnern sich an alte Geschichten. „Wir sprachen damals von der Grüneberg-Kurve“, sagt ein älterer Einwohner des kleinen Dorfes Nossentiner Hütte, „das war der Landwirtschaftsminister, der auch die Jagd regelte.“ Da die Streckenführung der Autobahn heftig diskutiert worden sei, aber sich niemand zu einem öffentlichen Widerspruch getraut habe, hätte man eben nach einem Sündenbock Ausschau gehalten und sei auf Gerhard Grüneberg gestoßen. „Honecker-Kurve“ wäre aus seiner Sicht auch ein passender Name gewesen. „Vor einer solchen Bezeichnung hatten die Leute aber vielleicht zu viel Angst“, sagt der Mann. Den eigentlichen Grund für die aufwendige Planung bekam ohnehin kein Normalsterblicher zu Gesicht. Stasi-Chef Erich Mielke wollte Honecker zu dessen 70. Geburtstag 1982 ein besonderes Geschenk machen und kam auf die Idee, die bescheidene Jagdhütte am Drewitzer See für 40 Millionen Ostmark in eine repräsentative Residenz mit Suiten, Schwimmbad, Sauna, Terrasse über dem See, Bootshaus und anderen Möglichkeiten der Zerstreuung zu verwandeln.

Das fast wie ein Schloss anmutende Gebäude mit einem dicken Reetdach wurde wegen des verspäteten Einbaus der Schwimmhalle zwar erst 1983 fertig, aber Honecker dürfte sich hier sehr wohlgefühlt haben. Gleich mehrfach im Jahr ging er von hier aus auf die Jagd, obwohl er ja auch in der näher an Berlin gelegenen Schorfheide regelmäßig seiner Leidenschaft frönte. Sein dortiger Jagdsitz Wildfang bei Groß Schönebeck wird heute von der Naturwacht genutzt. Am Drewitzer See sollen aber auch Parteichefs aus kommunistischen Bruderländern wie Ceausescu aus Rumänien, Breschnew aus der Sowjetunion oder Schiwkow aus Bulgarien kapitale Hirsche geschossen haben.

Erst drei Tage nach dem Mauerfall im November 1989 erzwangen mehrere Dutzend Einwohner aus den angrenzenden Orten die Öffnung des Tores auf der Zufahrtsstraße zur Jagdresidenz. Voller Neugierde, Empörung und Verwunderung gingen sie wie zuvor in der gleichfalls abgeschirmten Politbürosiedlung bei Wandlitz oder in Erholungsheimen der Bonzen auf Entdeckungssuche. Jahrzehntelang hatten sie keinen Fuß auf das streng bewachte Areal gesetzt. Für das bewaffnete Personal war sogar ein eigener Wohnblock in einem kleinen Dorf gebaut worden. Nun sahen die Menschen den vorher nicht für möglich gehaltenen Luxus mit eigenen Augen, wobei sich ihr Protest mehr oder weniger lautstark äußerte. Meistens verließen die Neugierigen mit recht nachdenklichen Mienen das Gelände.

Ihrer Hauptforderung, den mitten in schönster Natur gelegenen Gebäudekomplex der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, entsprach die anderswo viel gescholtene Treuhandanstalt umgehend. Das Christliche Jugenddorfwerk ermöglichte hier benachteiligten Jugendlichen einige Jahre eine handwerkliche Ausbildung. Doch bald erwies sich die idyllische Lage als Nachteil. Den Lehrlingen fiel die An- und Abreise doch zunehmend schwer. Immerhin sieben Kilometer lang zieht sich die Asphaltstraße von Nossentiner Hütte bis zu Honeckers einstigem Refugium.

Nach kurzem Leerstand übernahm 1998 der Bremer Investor Hans-Holger Hansen von der Treuhand die Immobilie. Er baute 22 Ferienhäuser in der Umgebung des Haupthauses und vermarktete sowohl die Natur als auch die Vergangenheit. „Ich halte nichts von Bilderstürmerei“, sagte der Unternehmer bei der Eröffnung im Jahre 2000. Er beließ die Jagdtrophäen an den Wänden, stellte Honeckers Jagdkutsche vor die Eingangstür und vermietete sogar eine Suite mit dem Porträt und dem Sofa des 1994 verstorbenen Parteiführers. Aber die Konkurrenz von immer neuen Ferienhausanlagen in der Mecklenburgischen Seenplatte machte die Geschäfte zunehmend schwieriger, so dass der Bremer mit dem geschichtsträchtigen Areal in die Pleite rutschte. Die holländische Van-der-Valk-Hotelgruppe, die im nahen Linstow ein Ferienresort betreibt, sprang in die Bresche und übernahm sowohl die Immobilien als auch die angehäuften Schulden.

„Nun wollen wir nicht nur Betreiber sein, sondern auch Eigentümer des Ensembles am Drewitzer See“, erklärt der Sprecher der Hotelgruppe, Volker Wünsche, „deshalb haben wir als Hauptgläubiger die Zwangsversteigerung im Amtsgericht Waren beantragt und sind recht optimistisch, da auch erfolgreich zu sein. Das Mindestgebot von 1,87 Millionen Euro schließe die Verbindlichkeiten des Vorgängers mit ein. Natürlich könne auch jeder andere Interessent mitsteigern. Wenn dieser dann am Ende den Zuschlag erhalten würde, werde man es akzeptieren.

Es dürfte also spannend im Gerichtssaal zugehen.

Zwangsversteigerung Montag, 11 Uhr im Amtsgericht in Waren, Zum Amtsbrink 4. Informationen im Internet: www.zvg.com und www.jagdresidenz.de

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