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Jetzt gibt's was auf die Ohren: I-Dosing simuliert angeblich via Kopfhörer die Wirkung von Drogen.

© dpa

Binaural Beats: I-Dosing: Drogen aus dem Kopfhörer

Joint und Co. können einpacken: Die neue Generation Droge kommt aus dem Kopfhörer und nennt sich "I-Dosing". Aber kann das wirklich sein: Audiostücke, die beim Hörer die Wirkung von Crack, LSD oder gar Heroin simulieren?

Jedes Zeitalter hat seine eigene Droge. Das Rausch-Phänomen der digitalen Welt kommt aus den USA und nennt sich "I-Dosing". Es funktioniert mit so genannten Binaural Beats - oder soll es zumindest. Die Titel kann man im Internet downloaden, das Ganze ist dabei sogar vollkommen legal. Dabei werden beide Ohren unabhängig von einander per Kopfhörer mit Tönen unterschiedlicher Frequenz bespielt. Dadurch wird angeblich eine Art Trance hervorgerufen.

Die Website, die sich selbst als Marktführer der Binaural Beats Technologie anpreist ist i-doser.com. Hier kann sich der neugierige User je nach Gusto mit verschiedenen Rauscherlebnissen eindecken. Von Opium zu Acid, Kokain und Ecstasy - der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Jede Droge hat dabei ihren eigenen Klang. Es sind keine angenehmen Klänge: eintöniges Surren, lautes Dröhnen und hohes Piepen sorgen für ein  Hörerlebnis der anstrengenden Art.

Ein harter Weg zum Drogenrausch also. Und wie das bei Drogen eben so ist: Geschenkt bekommt man auch nichts. Die meisten Titel kosten zwischen zwei und fünf Dollar. Eine immer wieder verwendbare Dosis Kokain ist beispielsweise für 3,75 $ erhältlich. Doch es geht auch noch eine Preisklasse höher, zum Beispiel mit „Hand of God“. Der Webshop von I-Doser bewirbt das 30-minütige Ton-Geschnetzelte als eigentlich "zu machtvoll, um von der Öffentlichkeit konsumiert zu werden". Skrupel hin oder her, für 199 Dollar darf trotzdem jeder probieren. Versprochen werden Einblicke ins Universum, eine VIP-Führung durch die Unendlichkeit an der Hand des Allmächtigen persönlich. Das macht neugierig. Kann da etwas dran sein? Der Webshop wirbt zwar für die Wirkung seiner legalen Drogen mit Tests von "I-Doser-Wissenschaftlern", liefert aber keinerlei Belege der Ergebnisse.

"Reine Geldmacherei", sagt Lutz Berger, Autor des Buches "Musik, Magie und Medizin". Er beschäftigt sich schon seit Jahren mit Binaural Beats und kennt ihre Wirkung auf menschliche  Hirnströme. "Mit Binaural Beats kann man Entspannungszustände, Aufmerksamkeit oder Meditation fördern. Rauschzustände zu erzeugen, halte ich dagegen nicht für möglich."

Teenager in aller Welt scheinen I-Dosing trotzdem für sich entdeckt zu haben. Videoportale im Netz sind voll von amateurhaft aufgezeichneten Selbstversuchen, die die Wirkung der Beats dokumentieren. Der Ablauf ist hier meist derselbe: Erst liegt der kleine Michael oder die kleine Sarah mit Kopfhörern auf einem Bett, die Augen geschlossen. Dann plötzlich passiert etwas. Sie springt auf, kreischt, die Augen weit aufgerissen. Er fängt an zu zucken und hysterisch zu lachen. Kann das alles gespielt sein?

"Wenn diese Musikstücke Wirkung zeigen, dann nur durch einen Placeboeffekt", so Berger. "Den darf man nicht unterschätzen. Die Tagesform und die Erwartungshaltung des Hörers sind dabei ausschlaggebend. Nur wenn alles stimmt kann - unter Umständen - ein Placeboeffekt eintreten."

Auch Michael Custodis, Musikwissenschaftler an der FU Berlin ist skeptisch. Er hält das gesamte Phänomen I-Dosing nicht für einen brandneuen Cybertrend: „Das ist einfach eine neue Variante einer uralten Idee. Der Versuch, durch Musik Trancezustände zu erreichen fasziniert Menschen schon seit geraumer Zeit. Musik ist ein wichtiges spirituelles Werkzeug und aus rituellen oder religiösen Praktiken nicht wegzudenken.“

Die Geschäftsidee, einfach diesem alten Phänomen einen neuen Anstrich zu verleihen und dafür Geld zu verlangen, findet Custodis clever. „Wenn jemand die Töne dann auch kaufen möchte, wieso denn nicht? Ich finde die Stücke musikalisch zwar sehr dürftig, aber die Marketingstrategie ist geschickt.“

Dass viele Eltern in den USA besorgt um eine mögliche Hördrogen-Sucht ihrer Sprösslinge sind, können Experten hierzulande nur bedingt nachvollziehen. „Auch diese Aufgeregtheit ist nichts wirklich Neues und als erwünschte Reaktion der beunruhigten Eltern Teil der Firmenstrategie“, meint Custodis. „Musik als Droge der Jugendkultur ist seit den 1960er Jahren immer wieder ein Aufreger für die Elterngeneration gewesen. Man denke an die Beatles oder die Stones. Rock’n’Roll war damals auch als Musik angesehen, die die Jugend enthemmt und moralisch verdirbt! Und Generationenkonflikte zum Thema Musik lassen sich sowieso schon bei Plato nachlesen.“

Das ist es also, das Phänomen I-Dosing: Keine Revolution des Drogenkonsums, sondern eher viel Lärm um nichts.

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