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Panorama: Jeder wußte von dem Rotlichtkrieg in Merseburg

Die junge Frau weiß noch nicht, daß sich ihr Leben grundlegend verändert hat, wenn sie erwacht. Noch wird die 23jährige Heike B.

Die junge Frau weiß noch nicht, daß sich ihr Leben grundlegend verändert hat, wenn sie erwacht. Noch wird die 23jährige Heike B. von ihren behandelnden Ärzten im künstlichen Koma gehalten. "In ihrem jetzigen Zustand könnte der Schock, den sie beim Erwachen sicher erleiden wird, tötliche Folgen haben", meint einer der Mediziner. Denn die Frau wird ohne Beine erwachen. Die Splitterbombe, die in der Nacht zum vergangenen Sonntag vor einer Merseburger Gaststätte explodierte, hat der lebenslustigen Frau beide Unterschenkel weggerissen. Die Bombe galt nicht Heike B., die nur über ein Freundin zufällig in die Geburtstagsfeier geraten war, die in dieser Nacht im "Desperado" gestiegen war. Und sie galt auch nicht Ingo B., einem der beiden "Desperado"-Inhaber, der in dieser Nacht in der eigenen Kneipe seinen 25. Geburtstag beging. Zu den Gästen gehörte Harald H., der Mann, dem die Bombe galt und der verletzt im Krankenhaus liegt (Siehe Foto).

Der mutmaßliche Bombenleger Herbert Thieme sitzt seit Mittwoch in einem Gefängnis im polnischen Breslau. Seine Festnahme im Haus einer Freundin war für die polnische Polizei eigentlich nichts als Routine. In der Polizeidirektion Merseburg war offenbar genau bekannt, daß Thieme in der Ortschaft unweit der deutsch-polnischen Grenze eine Freundin hat, die möglicherweise nicht nur den eigenen Lebensunterhalt als Prostituierte verdient. Und deshalb wußte die Polizei offenbar auch ganz genau, wo Thieme untergetaucht war. Sonst aber weiß sie offenbar aber sehr wenig über die Hintergründe des Bandenkrieges. Denn der Bombenanschlag war nur dramatischer Höhepunkt brutaler Auseinandersetzungen, die im Süden Sachsen-Anhalts bereits seit geraumer Zeit um die Kontrolle im Rotlichtmilieu geführt werden.

Unmittelbar nach dem Bombenanschlag durchsucht die Polizei den Nachtclub "For ever" in Leuna. Der Club, der den Ermittlern als Bordell einschlägig bekannt ist, gehört Herbert Thieme, der von den Beamten noch am Sonntag stundenlang verhört wird. Danach lassen sie ihn laufen, die Verdachtsmomente reichen nicht aus. Andere wissen längst, daß niemand anderes als der 31jährige, der auch Chef der Bikergang "Vampires" ist, hinter dem Attentat stecken kann. Die Fürsten des regionalen Rotlichtmilieus setzen ein Kopfgeld auf ihn aus. Bis in die Berliner Rotlichtszene hinein hat Klaus K., der Partner von Harald H., Fotos von Herbert Thieme verteilen lassen, sagt ein Lokalbetreiber, der nicht genannt werden will.

Einst waren die beiden befreundet. Als Herbert Thieme vor ein paar Jahren aus Speyer in den Süden Sachsen-Anhalts kam, war er zunächst beliebt im Milieu. Heute bezeichnen Insider der Rotlicht-Szene ihn als "den Wessi, der es drüben nicht geschafft hat". Die Einnahmen aus dem Sexgeschäft reichen Herbert Thieme bald nicht mehr aus. "Der hat zuviel für Koks verpraßt", sagt Klaus K. "Irgendwann hat er mit Schutzgeld und dem ganzen Kram angefangen." Und damit ein Szene-Tabu verletzt.

Irgendwann brach der Krieg offen aus. Die Generale waren Herbert Thieme auf der einen und Klaus K. mit seinem Partner Harald H. auf der anderen Seite. Die Soldaten waren Biker, Motorradgangs. Die Armee von Herbert Thieme waren die "Vampires", deren Hauptquartier im Merseburger Stadtteil Beuna erst Ende Juni von den Gegnern überfallen worden war. Nach dem Überfall nahm die Polizei zwar die Ermittlungen auf. "Aber die verliefen im Sande", räumt Polizeisprecher Siegfried Koch achselzuckend ein. Dabei kam der Überfall auf die "Vampires" nicht aus heiterem Himmel. Erst zwei Wochen zuvor vorher hatten die Biker von Herbert Thieme den "Truckstop" überfallen und geplündert. Dieser Laden wiederum gehört Klaus K. und und seinem Partner. Jetzt hat die polnische Justiz die Kontrolle über Herbert Thieme. Was ihm vielleicht das Leben rettet, nach dem ihm die übrige Unterwelt trachtet. Der Polizei reichten die Beweise gegen ihn auch nach einam Jahr Bandenkrieg noch nicht aus, seinen Gegnern im Milieu aber allemal.

EBERHARD LÖBLICH

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