zum Hauptinhalt
Eine Illustration des Architekten James Furzer zeigt die Holzkästen, die der 26-Jährige für Obdachlose an Hauswänden in London anbringen möchte.

© Illustration: Promo

London: Architekt will Obdachlose in Holzkästen an Hauswänden unterbringen

London geht zum Teil rabiat gegen Obdachlose vor. Der Architekt James Furzer will ihnen per Crowdfunding helfen. Helfer beklagen auch Härte in Deutschland.

Obdachlose im urbanen Raum – das Thema beschäftigt Metropolen weltweit. London geht mancherorts rabiat mit Metallspitzen im Boden gegen Obdachlose vor, die einen Schlafplatz suchen. Nun hat ein junger Architekt einen Gegenvorschlag präsentiert: Er möchte Obdachlose in eigens für sie gezimmerten Holzboxen einquartieren, die in einiger Höhe über den Gehsteigen an Hauswänden befestigt werden.

"Homes for the Homeless" heißt sein Projekt, für das er auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo Spenden sammelt. Die Übernachtungsmöglichkeiten könnten auch für Flüchtlinge genutzt werden. Die Obdachlosenfeindlichkeit der britischen Hauptstadt ist seit Jahren ein Streitpunkt zwischen Stadtarchitekten. Die Debatte um die "Stadt mit Stacheln" dreht sich nun schon seit Jahren im Kreis.

Furzers Projekt möchte Obdachlosen das Leben auf Londons Straßen erleichtern. Der 26-Jährige aus Degenham hat einige Zeichnungen entworfen, die seine Idee anschaulich vorstellen. Die Boxen, die in Überkopfhöhe an Hausfassaden hängen sollen, bestünden aus Sperrholz mit einem Stahlrahmen. Sie würden ein Fenster zur Straßenseite bieten und sind als Übernachtungsmöglichkeit für nicht mehr als zwei Personen gedacht. Als Zugang ist eine einziehbare Leiter geplant.

Furzer möchte einen Prototyp erstellen. Dazu wollte er auf Indiegogo zunächst 15.000 Britische Pfund zusammenbekommen. Bisher hat der Architekt in 22 Tagen 725 Pfund erhalten - Zehn Prozent des Zielbetrages. 39 Tage verbleiben am Donnerstag. Der Zielbetrag wurde auf 7000 Pfund heruntergesetzt.

Im Inneren der Boxen soll es nur eine Schlafmatratze und Ablagemöglichkeiten geben - keine Strom- oder Wasseranschlüsse, denn die Kammern sollen nicht als dauerhafte Bleibe gedacht sein. Sie sollen bedürftigen Menschen für einige Stunden eine sichere, warme und trockene Unterkunft bieten. "Ich weiß, dass ich damit das Obdachlosenproblem in London nicht lösen kann", sagt Furzer. Wie das Projekt organisatorisch umgesetzt werden könnte, habe er sich noch nicht überlegt. Er schlägt vor, dass die Kammern von Wohltätigkeitsorganisationen unterhalten werden könnten. "Es wird Zeit, dass wir unsere Haltung gegenüber Obdachlosen ändern. Sie haben das Recht, mit demselben Respekt wie jeder andere behandelt zu werden", meint der Architekt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

In einem Video, das sich auch auf Youtube finden lässt, wirbt er ebenso pathetisch für sein Projekt. Die Idee sei ihm eingefallen, als er sich über die Metallspitzen in den Hauseingängen geärgert habe. Laut Erhebungen des Obdachlosennetzwerks CHAIN schlafen in London derzeit fast 7.600 Menschen regelmäßig auf der Straße; das sind 16 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch abgeschrägte Fensterbänke, Keilbänke, die höchstens ein Anlehnen erlauben, und Sitzbänke mit Trennwänden, auf denen man nicht schlafen kann, erschweren Obdachlosen die Übernachtungen.

Gegen die Maßnahmen breitete sich bereits 2014 Widerstand aus. Eine Krankenschwester hatte eine Onlinepetition gestartet, als ein Hausbesitzer die kleinen Metallstachel auf dem Betonboden neben seiner Eingangstür installiert hatte. In weniger als einer Woche hatte sie fast 130.000 Unterschriften gesammelt. Zuvor war es zu internationaler Kritik gegen die Metall-Vorkehrungen gekommen. Der Hausbesitzer ließ seine Spikes ebenso entfernen, wie die Supermarktkette Tesco. Auch sie hatte 2014 Spikes gegen Obdachlose vor einem Geschäft in der Regents Street anbringen lassen.

So stellt sich James Furzer das London der Zukunft vor: In Boxen an Hauswänden über dem Gehsteig sollen Obdachlose Unterschlupf finden.
So stellt sich James Furzer das London der Zukunft vor: In Boxen an Hauswänden über dem Gehsteig sollen Obdachlose Unterschlupf finden.

© Illustration: Promo

Drei Zentimeter hohe Spikes in einem Hauseingang im südlichen Stadtteil Southwark in London, aufgenommen am 12.06.2014. Die Metallspitzen sollen Obdachlose davon abhalten, in dem Hauseingang zu übernachten. Foto: Saskia Gerhard/dpa
Drei Zentimeter hohe Spikes in einem Hauseingang im südlichen Stadtteil Southwark in London, aufgenommen am 12.06.2014. Die Metallspitzen sollen Obdachlose davon abhalten, in dem Hauseingang zu übernachten. Foto: Saskia Gerhard/dpa

© Saskia Gerhard/dpa

Jüngst machte eine Künstlergruppe um die Journalistin Leah Borromeo mit der Installation „Space, Not Spikes“ (Raum statt Stacheln) im Stadtteil Shoreditch auf die "brutalen Metallstacheln" aufmerksam. Die Künstler verwandelten die stachelige Front einer Ladenfassade in einen weichen Schlafplatz mit dicker Matratze und Kissen und bestückten ein Bücherregal mit sozialkritischem Lesestoff zum Thema Armut.

Borromeo und ihre Freunde sind mit ihrem Protest nicht allein. Als der Immobilienmakler Foxton im Juni vor seiner Filiale in Holborn Metallstacheln installierte, kamen binnen kürzester Zeit 21.000 Unterschriften dagegen zusammen. Unterstützt werden solche Initiativen von Obdachlosenorganisationen wie Crisis. "Stacheln auf Bürgersteigen werden das Problem der Obdachlosigkeit nicht lösen", meint Sprecher Matt Downie. Statt diese aus unserem Stadtbild zu verbannen, müsse man die "Ursachen von Obdachlosigkeit ernsthaft angehen".

Borromeo und ihre Mitstreiter haben inzwischen die Tumblr-Gruppe „Better than spikes“ (Besser als Stacheln) gegründet. Auch einen neuen Einfall von Architekten haben sie schon im Visier: die sogenannten Poor Doors, Seiteneingänge für ärmere Bewohner eines Hauses, denen der Gang durch die offizielle Eingangslobby versagt wird. Die Idee des Architekten Furzer mit den Boxen an den Hauswänden bietet einen weiteren Lösungsvorschlag.

Der Architekt James Furzer.
Der Architekt James Furzer.

© James Furzer

Die Künstler von "Better than Spikes" sagen auch, es handele sich nicht nur um Diskriminierung von Obdachlosen: "Wenn man in der Stadt lebt, bewegt man sich entlang streng vorgeschriebener Linien. Uns wird gesagt, wo wir gehen können, sitzen dürfen und wo wir willkommen sind, wenn wir Geld ausgeben wollen. Es gibt nichts, das deutlicher sagen könnte ‚draußen bleiben‘ als diese Reihen von angespitzten Metallstacheln."

"Der Kampf um den öffentlichen Raum wird immer härter"

"Die Architektur in Berlin betrachtet Obdachlosigkeit immer noch als Randerscheinung", sagt der Berliner Stadtarchitekt Klaus Theo Brenner dem Tagesspiegel. "Aber ich habe gemerkt, dass solche Fragen zu Abwehrmaßnamen von Obdachlosigkeit vermehrt auftreten." Solche aggressiven Maßnahmen wie Metallspitzen sind in Deutschland bisher nicht in Erscheinung getreten.

"Der Kampf um den öffentlichen Raum wird immer härter", sagt Stefan Peter, Vorstand des Berliner Obdachlosenmagazins "motz". Hierzulande würden solche Angelegenheiten durch Anzeigen beim Ordnungsamt geregelt, dann werden Platzverweise ausgesprochen. Besonders in U-Bahnen und Bahnhöfen werden vermehrt Schalensitze statt Bänke gebaut, sodass man sich nicht mehr hinlegen kann. Oder die ungewollten Schlafgäste werden mit klassischer Musik beschallt, wie das schon an den Hauptbahnhöfen in Hamburg und München der Fall ist.

Auch gegen ungewollte Musik wären die Londoner Schlafboxen sicher ein probates Mittel.

Zur Startseite