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Update

Duisburg: Loveparade der Ungereimtheiten - Zahl der Toten steigt auf 20

Noch ist unklar, wer welche Verantwortung für die Katastrophe in Duisburg trägt. Aber der Druck wächst. Inzwischen stieg die Zahl der Todesopfer auf 20. Wie ist der Ermittlungsstand?

Auch drei Tage nach der Katastrophe auf der Duisburger Loveparade bleiben vor allem Fragen. Wieso haben die Verantwortlichen den Zu- und Abgang durch den Tunnel genehmigt? Wer hat das Konzept letztlich abgesegnet? Wer hat den Druck aufgebaut, die Veranstaltung unbedingt durchzuführen? Auch ist immer noch unklar, für wie viele Personen das ehemalige Güterbahnhofsgelände ausgelegt war und wie viele da waren. Die Polizei spricht mittlerweile von 300 000 bis 400 000 Personen und nicht mehr von 1,4 Millionen. Klar ist aber vor allem eins: Der Druck auf die Verantwortlichen wächst.

Was weiß man von den Bedenken an der Loveparade im Vorfeld?

Für den christdemokratischen Bundestagsabgeordneten Thomas Mahlberg war die Angelegenheit so wichtig, dass er spontan zur Feder gegriffen hat. Wenige Stunden später hatte der damalige nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf (FDP) den Brief auf dem Schreibtisch. Mit eindringlichen Worten forderte der Christdemokrat den Liberalen darin auf, den Duisburger Polizeipräsidenten zu entlassen.

Die Angelegenheit spielt im Februar des Jahres 2009 und könnte heute zu einem weiteren Mosaikstein in der Beweiskette für die Staatsanwaltschaft werden, die nach Ursachen und Verantwortlichen für die Katastrophe sucht. Der Duisburger CDU-Abgeordnete Mahlberg beschwerte sich damals über den Polizeipräsidenten Rolf Cebin, den Wolf aus dem Amt entfernen sollte, weil sich Cebin kritisch zur Streckenführung der Loveparade geäußert hatte. „Der neuerliche Eklat veranlasst mich zu der Bitte“, formuliert Mahlberg in dem Dokument, „Duisburg von der schweren Bürde zu befreien und den personellen Neuanfang im Polizeipräsidium Duisburg zu wagen“.

Dabei hatte Cebin in den Tagen zuvor nichts weiter getan, als seine Aufgabe gewissenhaft zu erfüllen. Die Polizei hatte in einer Pressemitteilung Zweifel geäußert, ob die Stadt auf den zu erwartenden Massenansturm junger Menschen ausreichend vorbereitet werden könnte. „In Duisburg eine Veranstaltungsfläche für 500 000 oder gar mehr Menschen zu finden, inklusive eines geordneten An- und Abreiseverkehrs, ist allerdings nicht einfach“, hatte die Polizei damals geschrieben. Diese Worte hatten wenige Monate vor der Kommunalwahl in der Ruhrstadt für mächtige Aufregung gesorgt. Vor allem der um seine Wiederwahl kämpfende Parteifreund von Mahlberg, Oberbürgermeister Adolf Sauerland, hatte vehement dafür plädiert, die Loveparade nach Duisburg zu holen. Dass aufgrund des Briefes von Mahlberg politisch Druck auf Cebin ausgeübt wurde und dieser deshalb abgesetzt wurde, wird im Rathaus wie im Innenministerium bestritten.

Welche Verantwortung trägt die Politik?

Die Situation in Duisburg ist delikat. Ralf Jäger (SPD), seit wenigen Tagen Innenminister in NRW, lebt in Duisburg. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), auch erst seit wenigen Tagen, warb heftig für die Loveparade. Beide wissen, dass die Loveparade aus der Stadt Duisburg für einen Tag eine schillernde, junge, moderne Metropole machen sollte. Dieses Ziel hatte wohl auch Adolf Sauerland im Blick. Und auf den sind die Sozialdemokraten nicht sonderlich gut zu sprechen, ist doch der CDU-Politiker ausgerechnet in Duisburg, jener scheinbar ursozialdemokratischen Stadt, seit 2004 Bürgermeister – in einem schwarz-grünen Bündnis. Jetzt ist Sauerland in Bedrängnis. Er wird von Bürgern beschimpft, ihm wird gedroht und Rücktrittsforderungen werden auf Plakate geschrieben.

Dass die Rathausspitze massiv für die Loveparade gearbeitet hat, steht inzwischen fest. Dem Tagesspiegel liegen Aussagen über interne Sitzungen innerhalb der Stadtverwaltung vor, die belegen, dass Sicherheitsbedenken beiseitegeschoben wurden. Diese Veranstaltung ist „nicht genehmigungsfähig“, argumentierte eine zunächst mit der Organisation vertraute Person, die später von dem Projekt abgezogen wurde.

Beobachter der Duisburger Lokalpolitik wollen in den Wochen vor der Loveparade eine euphorische Stimmung in der Stadtspitze beobachtet haben, in der Bedenken nicht ausreichend gewürdigt wurden. Intern wird vor allem Sauerland als treibende Kraft beschrieben. In der Pressekonferenz am Sonntag hat er allerdings auch auf Nachfrage bestritten, persönlich mit der Planung befasst gewesen zu sein. Damit setzt sich Sauerland dem Verdacht aus, die Unwahrheit gesagt zu haben. In allen öffentlich zugänglichen Ratsunterlagen wird Sauerland sowohl als Person wie über sein Amt als der Verantwortliche aufgeführt, die Ratsvorlagen mit den detaillierten Plänen für die Loveparade liefen alle über seinen Schreibtisch. Und er selbst hat kurz vor der Katastrophe die enorme Anspannung noch eingeräumt. Dem WDR sagte er: „In diesem Jahr waren wir einfach in dem Zwang, es hinkriegen zu müssen, denn sonst wäre die Loveparade endgültig gestorben fürs Ruhrgebiet.“ Im Jahr zuvor war die Techno-Veranstaltung nämlich wegen Sicherheitsbedenken abgesagt worden.

Drohen den Verantwortlichen Strafen?

Noch ist die Staatsanwaltschaft Duisburg dabei, den genauen Hergang der Organisation und der Entscheidungswege zu ermitteln. Auch werde wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung gegen unbekannt ermittelt, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Erst nach Auswertung des Materials lasse sich sagen, ob es Beweise zulasten einzelner Verantwortlicher gebe.

Klar scheint aber, dass mindestens die Stadt als Genehmigungsbehörde eine Verantwortung trägt. Es gibt auch Berichte, dass die Sicherheitsvorkehrungen – auch aus Kostengründen – heruntergeschraubt worden seien. Zwar ist unklar, wer am Ende das Konzept abgesegnet hat, aber klar scheint, dass dafür nur die Stadtspitze, also entweder der Bürgermeister, der Sicherheitsdezernent Wolfgang Rabe oder Oberstadtdirektor Peter Greulich infrage kommen. Harte Strafen drohen aber kaum. „Ich rechne nicht damit, dass jemand deswegen in Haft kommt“, sagte der Tübinger Strafrechtsprofessor Jörg Kinzig der Nachrichtenagentur ddp. Bei den Ermittlungen komme wohl letztlich nur der Straftatbestand der fahrlässigen Tötung in Betracht, bei dem maximal eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren oder eine Geldstrafe drohe. Allerdings rechnet Kinzig maximal mit Bewährungsstrafen.

Welche Rolle spielt die Ruhr 2010?

Kulturhauptstadt ist das Ruhrgebiet in diesem Jahr. Eine große Möglichkeit für das Revier, sich in neuem Glanz zu präsentieren. Die Organisatoren der „Ruhr 2010“ haben dafür zahlreiche Events auf die Beine gestellt. Das Raverspektakel passte zwar nicht recht ins Programm, aber man nahm es gerne mit auf – ein medienwirksames Highlight mehr. Aber es habe weder organisatorische noch finanzielle Verbindungen zu den Veranstaltern der Techno-Parade gegeben, sagte Fritz Pleitgen, früher WDR-Intendant und jetzt Geschäftsführer der Ruhr 2010: „Trotzdem fühle ich mich moralisch für die Tragödie verantwortlich, weil ich mich für die Loveparade eingesetzt habe“, sagte Pleitgen am Montag. Ziel sei es gewesen, fröhliche Bilder aus einer vitalen Region an junge Menschen zu vermitteln, die verstärkt aus dem Gebiet abwandern. „Durch die Tragödie liegt jetzt ein Schatten auf dem Label Ruhr 2010, denn sie ist im Jahr der Kulturhauptstadt passiert“, sagte Pleitgen. Er habe im Vorfeld nichts von Sicherheitsbedenken mitbekommen und sei auch nicht in die Planungen involviert gewesen.

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