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Beine einer Pflegerin und einer alten Frau mit Rollator von hinten auf einem langen Flur

© dpa

Missstände in der Pflege: Videobeweis aus Zimmer 212

Versteckte Kamera: Wie die Söhne einer Dementen eine gewalttätige Altenpflegerin vor Gericht brachten.

Personalnot, Überstunden, anstrengende Klienten - da können Pflegekräfte schon mal die Nerven verlieren. Doch Gewalt in der Pflege wird nur selten bestraft, da sich Übergriffe schwer beweisen lassen. Umso ungewöhnlicher ein Fall, der am Mittwoch vor dem Amtsgericht Bremen verhandelt wurde. Eine Altenpflegerin hatte eine 84-Jährige so ruppig behandelt, dass sie von deren Söhnen angezeigt wurde. Leugnen zwecklos, denn: Es gibt einen Videobeweis. Die Söhne hatten in Zimmer 212 heimlich eine Kamera aufgestellt.
An jenem Abend, so zeigt es das von Radio Bremen publik gemachte Video, macht die Pflegekraft die Demenzkranke nachtfertig und herrscht sie dabei an: „Nimm doch mal die Flossen weg hier!“ Einmal zerrt sie an ihren Haaren: „Sitzen bleiben, Menschenskinder, ey!“ Kläglich protestiert die Alte: „Jedes Mal hauen Sie mich!“ Darauf die barsche Antwort: „Erzählen Sie noch ein paar Märchen.“ Als endlich das Nachtzeug übergezogen ist, stößt die Pflegerin die Frau mit der flachen Hand vor die Stirn, um sie in Liegeposition zu bringen. „Das sah aus wie ein Judogriff - Kampfsport“, kommentierte einer der Söhne, 45, als Zeuge. Sein älterer Bruder, 58, glaubt, die Pflegerin habe schwere Verletzungen in Kauf genommen, denn die Wirbel der Mutter seien „wie ein Schwamm“, wegen Osteoporose.
Die Staatsanwaltschaft erhob zunächst Anklage wegen Misshandlung Schutzbefohlener. Das Amtsgericht ließ allerdings nur den Vorwurf der einfachen Körperverletzung zu. Denn für den gravierenderen Straftatbestand schien dem Richter das Vorgehen nicht roh genug. Schon häufiger hatte die Demente geklagt: „Die schlägt mich immer.“ Aber die Söhne waren sich nicht sicher. War die gebrechliche Mutter vielleicht nur zu empfindlich? Oder wurde sie gar von Kriegserinnerungen gequält? Um Gewissheit zu erlangen, stellten sie schließlich eine als Uhr getarnte Videokamera mit Bewegungsauslöser auf einen Beistelltisch. Gleich am ersten Abend: Volltreffer.
Die Verteidigerin kämpfte dafür, die Aufnahmen als illegal und nicht verwertbar einzustufen. Nur als letztes Mittel könnten heimliche Aufzeichnungen erlaubt sein; zunächst hätten die Söhne die Heimleitung einschalten müssen. Doch die Anklagevertreterin widersprach: „Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Würde des Menschen wiegen allemal schwerer als das Recht am eigenen Bild.“ Und dann sei da noch das „Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit“. So sah das auch Einzelrichter Fabian Schneider und begann mit der Vorführung auf dem Computer der Protokollantin.

Die Angeklagte schaute sich das Video nicht an

Die 42-jährige Angeklagte sah sich die Aufnahmen als einzige nicht an. Überhaupt folgte sie dem Prozess fast regungslos. Nur zu Beginn schaute die kräftige Frau in Pulli und Jeans einmal mit strengem Gesichtsausdruck in die Runde. Äußern wollte sie sich gar nicht, lediglich kurz zur Person: Sie sei Altenpflegerin, aber ursprünglich „Maschinist für Energetik“ gewesen - nach „Spiegel“-Informationen im DDR-Gaskombinat Schwarze Pumpe. Wie die Kripo ermittelte, arbeitete sie danach auf wechselnden Stellen in Westdeutschland. Schon hier fiel sie gelegentlich wegen Ruppigkeit auf. Sie sei „absolut ungeeignet“ und eine „sehr schwierige und uneinsichtige Person, die sich von der Welt benachteiligt fühlte“, hieß es vereinzelt. Aber immer wieder fand sie eine neue Stelle - selbst nach dem Vorfall in Bremen, der ihr eine sofortige Suspendierung einbrachte. Ihr befristeter Arbeitsvertrag sollte ohnehin kurz danach auslaufen, denn die Heimleitung wollte ihn wegen Beschwerden anderer Bewohner nicht verlängern. Bei dem Prozess hätte eigentlich das ganze Pflegesystem auf die Anklagebank gehört. Die Angeklagte, sagte ihre Verteidigerin, sei „physisch und psychisch am Ende“ gewesen, habe teils 13 Schichten nacheinander arbeiten müssen, „regelmäßig bis an den Rand der Erschöpfung“. Der Heimleiter bestätigte im Zeugenstand zumindest, dass das Personal „immer sehr knapp bemessen“ sei - manchmal nur zwei Kräfte für 26 Bewohner. Aber immer streng nach amtlichen Vorgaben. Der Leiter: „Das ist Pflegealltag.“

„Das System Pflege ist krank“, urteilte auch die Verteidigerin in ihrem Plädoyer. Es sei „würdelos und menschenverachtend“ . Allerdings sei das keine Rechtfertigung für die Übergriffe. Das Gericht solle eine Geldstrafe zu 90 Tagessätzen verhängen, nicht aber jene sechs Monate Haft auf Bewährung plus 1500 Euro Geldbuße, die von der Anklage gefordert wurden. Die meinte, die Angeklagte habe die Bewohnerin „wie ein Stück Vieh behandelt“. Richter Schneider blieb mit seinem Strafmaß in der Mitte: 130 Tagessätze à 16 Euro, also 2080 Euro Geldstrafe wegen Körperverletzung. Schwerwiegend sei die Tat nicht wegen des Haareziehens und des Schubsens an sich, sondern weil die Bewohnerin so wehrlos gewesen sei. Die Familie als Nebenklägerin hatte ursprünglich auch ein Berufsverbot erwirken wollen. Aber dafür, so der Richter, fehlten die rechtlichen Voraussetzungen. Falls das Urteil rechtskräftig wird, taucht es allerdings im Vorstrafenregister auf. Und damit wären künftige Arbeitgeber gewarnt vor der überforderten Pflegerin mit den ruppigen Manieren.

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