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Die fiesen Medien. Titelseiten von Zeitungen am Tag nach dem Freispruch. Kachelmann klagt die Boulevardpresse an.

© dpa

Rundumschlag: Noch nicht das letzte Wort im Fall Kachelmann

Er donnert, grollt und twittert: Jörg Kachelmann weint – und wütet mit der Justiz, der ARD, Ex-Freundinnen, dem früheren Anwalt.

Während seines neun Monate dauernden Prozesses hat Jörg Kachelmann geschwiegen und auf ein letztes Wort verzichtet. Jetzt geht er erstmals seit seinem Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung an die Öffentlichkeit. Nichts müsste man dazu sagen, hätte Kachelmann nicht die deutsche Medienlandschaft mit Klagen zur Wahrung seiner Intimsphäre überzogen und würfe es nicht ein Licht auf die Persönlichkeit, über die – zusammen mit dem Tatvorwurf – beim spektakulärsten Strafverfahren der vergangenen Jahre in Mannheim verhandelt worden ist.

In einem mehrseitigen Interview mit der Hamburger Wochenzeitung „Zeit“ rechnet Kachelmann mit der Justiz ab, spricht über sein Ehe- und Sexualleben, kompromittiert die Hauptzeugin und Nebenklägerin, lästert über seinen früheren Rechtsanwalt, weint vor den Reportern, als es um seine Kinder geht, kündigt ein Buch an, erwartet sehnlich einen Anruf der ARD, beklagt seine finanzielle Misere und bietet sein Grundstück in Kanada zum Kauf an; parallel beschimpft er via Twitter die Boulevardpresse. Er präsentiert sich an geheimem Ort, abgelichtet in offenem Holzfällerhemd vor Acker und Wald, den Wind an den Haaren zausend, als Mischung aus Kohlhaas und Wutbürger. In den neun Monaten muss sich etwas angestaut haben.

Er habe den Glauben an die deutsche Justiz verloren, sagt Kachelmann, insbesondere die in Mannheim, aber auch, wie er im Knast gelernt haben will, in ganz Baden-Württemberg, ein Bundesland, das er seitdem meide. „Der liebe Gott und die ARD“ würden über seine Fernsehzukunft entscheiden, vielleicht brauche er das Medium noch „für meine Botschaft“. Diese ist offenbar, dass die Hälfte der deutschen Gefangenen aufgrund eines erpressten falschen Geständnisses in Haft sitzen, weil sie „mit allen möglichen Mitteln dazu gebracht“ werden, Geständnisse abzulegen. Hier wird seine Justizkritik politisch. Die Schuld daran trage der – in den letzten Jahren per Gesetz geförderte – „Deal“, die Absprache über Tatvorwürfe und Rechtsfolgen zwischen Angeklagten, Staatsanwälten und Richtern. „Der allerorts übliche Deal ist eine staatlich sanktionierte Erpressung“, weiß Kachelmann.

Den „größeren Teil“ seiner früheren Freundinnen schildert Kachelmann als „rational und besonnen“, andere hätten im Mannheimer Gerichtssaal Dramen inszeniert, als sie „irgendwelche Geschichten von Grenzüberschreitungen zum Besten gegeben“ hätten. „Es gab keine Gewalt in meinem Leben“, führt Kachelmann an anderer Stelle aus, keine Grenzerkundungen und schon gar keine -überschreitungen. Seine Frau Miriam stehe jetzt unter Generalverdacht, die Leute guckten, ob sie an ihrer Kehle einen Abdruck von einem Hundehalsband erkennen könnten, weil geschrieben worden sei, er, Kachelmann, stehe auf Sadomaso-Praktiken. Ohne diese Frau, das sei die Wahrheit, hätte er den Prozess so nicht durchgestanden. „Ich weiß, ich habe mich mies benommen. Ich habe Menschen verarscht“, erläutert Kachelmann zur Vielzahl seiner früheren Liebschaften, doch wo er es für „angemessen und richtig“ gehalten habe, habe er sich entschuldigt, auch bei Miriam. Sonst muss es selten gewesen sein. Bei „praktisch niemandem“, wie er sagt.

Kritik übt Kachelmann an dem für ihn vom Gericht bestellten psychiatrischen Gutachter. Er habe nicht sehen wollen, dass „die Aussagen der Frauen kontaminiert waren von ihrer Abneigung gegen mich“. Der Sachverständige hatte Kachelmann als seelisch gesund bezeichnet, er sei aber ein „Homo ludens“, ein Spieler, der andere zum Publikum degradiere und seinen Charme bestaunen lasse.

Die Vorwürfe der Nebenklägerin Claudia D. bezeichnet Kachelmann in dem Interview als kriminell. Sie habe sich die Vergewaltigung ausgedacht. „Dafür gibt es keine Rechtfertigung.“ Er selbst habe keinen „Sprung in der Schüssel“, interessanter wäre es doch zu erfahren, was in der Frau, die ihn falsch beschuldigt habe, vorgehe. Sie soll, sagt Kachelmann, nach dessen Freispruch in einem Nebenraum des Gerichts erheblich randaliert, ins Mobiliar getreten und ihren Anwalt Thomas Franz angebrüllt haben: „Sie feige Sau“; dafür habe es Zeugen gegeben. Franz äußert sich zu dem gesamten Fall nicht mehr.

Besonders hart ins Gericht geht der frühere TV-Moderator mit den Medien. Er erzählt, wie er nach den Terminen in Mannheim vor Paparazzi geflohen sei, die ihn auf Motorrädern verfolgt hätten. Vor allem klagt er „Bild“ und „Bunte“ an, die er auch via Twitter an den Pranger stellt, „kalten Herzens und mit einem Schuss Fröhlichkeit“. Er vermutet dahinter System: „Ich bin sicher, dass die Boulevardmedien überall U-Boote haben. In allen wichtigen Organisationen haben die einen sitzen.“ Seine acht und elf Jahre alten Söhne seien in die Sache hineingezogen worden, „das war für mich das Fürchterlichste von allem“. „Kachelmann ringt um Fassung“, notieren die Reporter.

In direktem Zusammenhang spricht er über Geld. „Finanziell hat mich das alles komplett fertiggemacht“, weshalb er sein „fantastisches Seegrundstück“ in Kanada, 40 Hektar, für eine Million Euro verkaufen will. Indirekt wirft er seinem ersten Verteidiger Reinhard Birkenstock vor, er sei ein Anwalt, der „sofort mehrere Hunderttausend Euro auf dem Tisch“ habe liegen sehen wollen. Birkenstock will sich nicht äußern. „Schreiben Sie, ich halte mich an mein Berufsgeheimnis“, sagte er dem Tagesspiegel. „Oder schreiben Sie es nicht. Ach, schreiben Sie, was Sie wollen.“

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