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Die Sicherheitskräfte fahren vorbei an Pilgern auf dem Weg zur Unglücksstelle.

© REUTERS/Ahmad Masood

Update

Pilgerfahrt Hadsch in Saudi-Arabien: Mehr als 700 Tote bei Massenpanik nahe Mekka

Bei einer Massenpanik während der wichtigsten muslimischen Pilgerfahrt sind bei Mina mehr als 700 Menschen ums Leben gekommen. Schon in der Vergangenheit gab es beim Hadsch ähnliche Unglücke.

Bei einer der schlimmsten Katastrophen während der islamischen Wallfahrt Hadsch sind in einer Massenpanik nahe Mekka mindestens 717 Menschen ums Leben gekommen. Mehr als 800 weitere seien verletzt worden, meldete die saudische Zivilverteidigung am Donnerstag. Bilder zeigten, wie die im weißen Pilgergewand gekleideten Opfer auf Liegen versorgt und weggetragen wurden. Zu dem Drama kam es an einer Straßenkreuzung in dem Ort Mina, wo die Pilger am dritten Tag der Wallfahrt symbolisch den Teufel steinigen.

Der Auslöser der Panik am Donnerstagmorgen gegen 09.00 Uhr (Ortszeit) in Mina in der Nähe von Mekka, wo sich hunderttausende Pilger versammelt hatten, war zunächst unklar. Laut einem Krankenhaus-Mitarbeiter kam es zu der Katastrophe außerhalb der Dschamarat-Brückenkonstruktion, wo die symbolische Teufelssteinigung stattfindet. Eine Pilgergruppe, die den Ort verlassen wollte, sei dort auf eine andere Gruppe getroffen, die entweder in die Gegenrichtung wollte oder in dem Bereich campierte. Dabei sei es zu Gedränge gekommen.

"Wenn die Pilger die Anweisungen befolgt hätten, dann hätte man diese Art Unglück vermeiden können", sagte der Gesundheitsminister des Landes, Chaled al-Faleh, am Donnerstag im staatlichen Fernsehen. Zahlreiche Pilger würden sich "in Bewegung setzen, ohne die Uhrzeiten zu respektieren", die ihnen von den Verantwortlichen zur Organisation des Pilgerereignisses vorgegeben werden. Das sei der "Hauptgrund" für das Unglück. Der Gesundheitsminister fügte in diesem Kontext hinzu, dass die betroffenen Pilger meist aus "afrikanischen Ländern" stammten.

Jährliches Versagen der Behörden

Kritiker bemängeln aber das Sicherheitskonzept der saudischen Regierung. Eine Pilgergruppe mit tausenden Menschen traf nach aktuellen Medienberichten auf eine andere Gruppe an einer Kreuzung. Die Pilger werden normalerweise von Sicherheitsbeamten und Soldaten durchgeschleust. Im Internet tauchten Anschuldigungen von Pilgern auf, die verantwortlichen Beamten hätten bei der Massenpanik nicht reagiert. Saudi Arabien hätte zwar in den letzten Jahren gegengesteuert, dennoch wenig aus den vergangenen Unglücken gelernt.

Die Zahl der Opfer mussten die Behörden, die anfangs von etwa hundert Toten gesprochen hatten, im Laufe des Donnerstags mehrfach nach oben korrigieren. Am Nachmittag meldete der Zivilschutz über den Internet-Kurzbotschaftendienst Twitter mindestens "717 Tote und 805 Verletzte" aus verschiedenen Ländern.

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Zahlreiche Leichen lagen bedeckt mit weißen Laken auf dem Boden am Unglücksort. Nach Angaben der amtlichen saudiarabischen Nachrichtenagentur waren mehr als 220 Rettungsfahrzeuge im Einsatz. Einsatzkräfte würden daran arbeiten, den Pilgerandrang zu verringern und den "Gläubigen Zugang zu alternativen Wegen zu verschaffen". Der Iran warf Saudi-Arabien nach dem Unglück schwere Fehler bei den Sicherheitsvorkehrungen vor. Nach Angaben des iranischen Hadsch-Organisators Said Ohadi wurden aus "unbekannten Gründen" zwei Fußwege in der Nähe des Unglücksortes gesperrt. "Das löste diesen tragischen Vorfall aus", sagte er dem iranischen Staatsfernsehen. "Die saudischen Verantwortlichen sollten haftbar gemacht werden." Mindestens 43 Iraner sind unter den Todesopfern.

Umbaumaßnahmen sollten neuerliche Unglücke verhindern

In Mina hatte es nach einem schweren Unglück im Jahr 2006 eigentlich mehrere Baumaßnahmen gegeben, die für einen reibungslosen Strom der Pilger sorgen und einen Massenandrang verhindern sollten. Damals waren bei einer Massenpanik mehr als 350 Gläubige zu Tode getrampelt worden. Deswegen werden die Pilger heute eigentlich so geleitet, dass sich ihre Wege nicht mehr kreuzen. Wieso es trotzdem erneut eine Katastrophe gab, war zunächst unklar. An einer Kreuzung in Mina habe es am Donnerstagmorgen plötzlich einen Stau gegeben, erklärte die Zivilverteidigung. Dann sei eine Massenpanik ausgebrochen. Entlang dieser Route ziehen die Gläubigen am dritten Tag der Wallfahrt von ihren Schlafzelten in Richtung eines fünfstöckigen Gebäudes, wo sie Steine auf Säulen werfen, die den Teufel symbolisieren.

Weil die Pilger in einigen Ländern teilweise mehrere Jahrzehnte auf eine Genehmigung der saudischen Regierung warten müssen, sind viele Gläubige sehr alt. Das saudische Hadsch-Ministerium weist jedem Land der Welt ein Kontingent zu, dabei wird vor allem die Bevölkerungszahl und die Zahl der Muslime in einem Land berücksichtigt. Saudi-Arabien weigert sich, die Zahl von rund 2,5 Millionen Pilgern pro Jahr zu reduzieren. Widerstand gegen diese Forderungen kommt auch aus fast allen großen muslimischen Ländern. Schon jetzt müssen Pilger mehrere Tausend Euro investieren, um ihre Pflicht erfüllen zu können.

Die Hadsch ist einer der vier Säulen des Islams. In den heiligen Schriften der Muslime ist festgeschrieben, dass jeder Gläubige ein Mal in seinem Leben nach Mekka pilgern sollte, wenn er oder sie es sich körperlich und finanziell leisten kann. Es gibt noch die Möglichkeit an den restlichen elf Monaten eine sogenannte Omra zu absolvieren. Die "kleine Hadsch" hat aber einen niedrigeren Symbolwert und so bleibt die Pilgerfahrt der Traum vieler frommer Muslime. Bei einigen älteren Gläubigen spielt dazu noch die Vorstellung eine Rolle, dass der Tod in Mekka ein besserer Tod sei. Jedes Jahr sterben so vor allem schwache Pilger in den Heiligen Stätten.

Ein Großaufgebot an Sicherheitskräften

Die Opfer des diesjährigen Unglücks kommen aus unterschiedlichen Nationen. Nach Angaben saudischer Medien haben sich in diesem Jahr mehr als zwei Millionen Menschen auf die Pilgerfahrt nach Mekka gemacht, darunter fast 1,4 Millionen aus anderen Ländern. Ein Großaufgebot an Sicherheitskräften soll für Sicherheit sorgen. Außenminister Steinmeier zeigte sich bestürzt. „Ich bin erschüttert“, sagte er. „Dem saudischen Volk, allen Pilgern, die sich auf den Weg nach Mekka gemacht haben und insbesondere den Familien der Opfer, die von einem solch schrecklichen Schicksalsschlag getroffen werden, gilt mein tiefes Mitgefühl.“

Muslimische Pilger in Mekka.
Muslimische Pilger in Mekka.

© dpa

Auch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat seine Bestürzung ausgedrückt. Die Katastrophe habe zu einem „großen Bedauern in der gesamten islamischen Welt geführt“, hieß es am Donnerstag nach Angaben der Nachrichtenagentur DHA in einer Erklärung. Er drücke allen Muslimen sein Beileid aus.

Die schwersten Unglücke bei der Hadschreise

Der Hadsch ist berüchtigt für schwere Zwischenfälle und wurde in diesem Jahr bereits von einem schweren Baukranunglück überschattet, bei dem mehr als 100 Menschen starben. Bei einem Hotelbrand in Mekka waren vor wenigen Tagen mehr als tausend Pilger nur knapp einer Katastrophe entkommen.

Die Tragödie reiht sich ein in eine traurige Serie von Katastrophen und tödlichen Auseinandersetzungen am Rande der weltweit größten muslimischen Pilgerreise Hadsch, die alljährlich in die saudi-arabische Stadt führt:

- Dezember 1975: In einer der Zeltsiedlungen für Pilger verursacht eine explodierende Gasflasche einen Großbrand. Dabei sterben 200 Menschen.

- 20. November 1979: Einige hundert saudiarabische Oppositionelle verbarrikadieren sich in der Großen Moschee von Mekka und nehmen dutzende Pilger als Geiseln. Bei der gewaltsamen Befreiung zwei Wochen später werden 153 Menschen getötet.

- 31. Juli 1987: Saudiarabische Ordnungskräfte gehen gegen eine unerlaubte Demonstration iranischer Pilger vor. Bei den Zusammenstößen sterben 402 Menschen.

- 2. Juli 1990: In einem Fußgängertunnel, der ins Mina-Tal führt, ersticken 1426 Pilger. Offenbar löste ein Ausfall der Belüftungsanlage eine Panik aus.

- 24. Mai 1994: 270 Pilger werden bei einer Massenpanik während der symbolischen Teufelssteinigung in Mina zu Tode gedrückt.

Muslimische Pilger werfen am 1.2.2004 an der Jamarat Brücke in Mina nahe der heiligen Stadt Mekka mit Steinen. Bei einer Massenpanik am selben Tag wurden während der Hadsch-Wallfahrt in Saudi-Arabien 251 Menschen zu Tode getrampelt.
Muslimische Pilger werfen am 1.2.2004 an der Jamarat Brücke in Mina nahe der heiligen Stadt Mekka mit Steinen. Bei einer Massenpanik am selben Tag wurden während der Hadsch-Wallfahrt in Saudi-Arabien 251 Menschen zu Tode getrampelt.

© dpa

- 15. April 1997: Bei einem Feuer in der Zeltstadt der Pilger im Mina-Tal sterben 343 Gläubige. Der Brand wurde durch einen Gaskocher ausgelöst.

- 9. April 1998: Im dichten Gedränge bei der symbolischen Steinigung des Satans in Mina sterben 118 Pilger. Mehr als 180 Menschen werden verletzt.

- 1. Februar 2004: 251 Menschen sterben in einem Gedränge in Mina am ersten Tag der symbolischen Teufelssteinigung.

- 12. Januar 2006: Mindestens 364 Gläubige werden bei einer Massenpanik während der symbolischen Steinigung des Teufels in Mina getötet.

- 11. September 2015: Beim Sturz eines Baukrans auf einen Innenhof der Großen Moschee von Mekka werden wenige Tage vor Beginn der Hadsch 107 Menschen getötet und etwa 400 weitere verletzt.

- 24. September 2015: Bei einer Massenpanik am Rande der symbolischen Teufelssteinigung in Mina werden mindestens 700 Menschen getötet und 805 weitere verletzt. (mit dpa, AFP)

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