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Amerikanische Ureinwohner demonstrieren gegen eine geplante Pipeline. Sie fürchten um heiliges Land und ihre Trinkwasserversorgung.

© AFP

Proteste gegen Pipeline: Obama reagiert nach Facebook-Solidarität mit Standing Rock

Warum geben Hunderttausende an, in einem Reservat der Ureinwohner von North Dakota zu sein? Sie protestieren gegen eine Pipeline. Und der US-Präsident reagiert.

Können eine Million Facebook- Nutzer den Präsidenten der Vereinigten Staaten auf den Plan rufen? Können sie sogar ein milliardenschweres Bauprojekt ins Wanken bringen, das schon seit Monaten genehmigt ist? Offensichtlich ja.

Am 31. Oktober wunderten sich weltweit Nutzer des sozialen Netzwerks. Warum waren so viele ihrer Freunde plötzlich im Standing Rock Reservat in North Dakota? Zumindest zeigten das ihre Facebook-Profile an. Tatsächlich waren die vermeintlichen US-Reisenden überhaupt nicht im Norden der USA, nahe der Grenze zu Kanada. Sie saßen zu Hause vor ihren Rechnern und Smartphones und wurden zu Scheindemonstranten. Zu Phantomen im heiligen Land der Ureinwohner vom Stamm der Sioux.

Das soziale Netzwerk erlaubt es Nutzern, an Orten einzuchecken: also anzugeben, wo sie sich gerade befinden. Das kann automatisch geschehen, zum Beispiel über das GPS-Signal eines Handys. Oder manuell, unabhängig davon, wo man sich tatsächlich aufhält. Jeder kann damit jederzeit behaupten, irgendwo auf der Welt zu sein. Zum Beispiel im Standing Rock Reservat, North Dakota.

Grund für den Aktionismus war ein Aufruf, dessen Ursprung immer noch nicht endgültig klar ist. In einem Facebook-Beitrag wurden Nutzer aufgefordert, sich in Standing Rock einzuloggen, um Demonstranten zu schützen, die dort gegen die sogenannte Dakota Access Pipeline demonstrieren.

Angeblich nutze die Polizei Facebook, um einzelne Demonstranten und ihren Standort ausfindig zu machen und sie unter Druck zu setzen. Je mehr Menschen auftauchten, so das Kalkül, desto eher könnten die echten Aktivisten untertauchen. „Das ist eine konkrete Handlung von zu Hause aus, die Menschen schützen kann, die dort ihre Körper und ihre Gesundheit einsetzen“, heißt es in dem Facebook-Aufruf. Rund eine Million Nutzer machten bisher mit.

Es lockt ein Milliardengeschäft

Damit bekam der schon seit dem Frühjahr schwelende Konflikt um die Pipeline neue Aufmerksamkeit. Ausgangspunkt sind neu entdeckte Ölreserven im Grenzgebiet zwischen North Dakota und Kanada. Zwischen vier und elf Milliarden Barrel (ein Barrel entspricht 159 Litern) vermuten die Behörden dort; wahrscheinlich sind Schätzungen zufolge sieben Milliarden Barrel. Ein Barrel Rohöl bringt auf dem Weltmarkt derzeit knapp 50 Dollar (rund 45 Euro).

Es lockt ein Riesengeschäft, das die USA zugleich unabhängiger von Öl aus Krisenregionen wie dem Nahen Osten machen könnte. Aber wo Öl gefördert wird, sind Pipelines zum Transport nötig. Wie die Dakota Access Pipeline.

Das Ölunternehmen Energy Transfer Partners will die Pipeline für 3,7 Milliarden Dollar bauen. Auf mehr als 1800 Kilometern soll sie die Bundesstaaten North Dakota, South Dakota, Iowa und Illinois durchqueren – nahe dem Reservat Standing Rock, in dem Ureinwohner vom Stamm der Sioux leben. Und sie soll unter dem Missouri River durchführen. Die Ureinwohner haben deshalb im April ein Protestcamp eingerichtet. Sie klagen, die Pipeline würde ihnen heiliges Gebiet durchqueren und Friedhöfe. Und sie könnte im Katastrophenfall den Missouri River verschmutzen, aus dem sie ihr Trinkwasser beziehen. Die Frage sei nicht, ob es passieren werde, sondern wann, sagte der Vorsitzende des Stammes, David Archambault II., US-Medien.

Mehrere Behörden gaben deshalb ein Gutachten in Auftrag. Erstellt wurde es vom United States Army Corps of Engineers. Diese Behörde unterstützt immer wieder die Planung von Infrastrukturprojekten. Die Experten prüften das Projekt und kamen im Juli zu dem Ergebnis: Die Pipeline kann den jetzt so umstrittenen Weg nehmen. Bereits im Januar 2017 soll eigentlich Öl fließen.

Obama macht den Aktivisten Hoffnung

Die Sioux und ihre Unterstützer aber wollen das nach wie vor verhindern. Ende September sollen sich Vertreter von etwa 300 Stämmen und insgesamt bis zu 4000 Demonstranten vor Ort versammelt haben. Berichten zufolge waren es die größten Proteste von Ureinwohnern seit hundert Jahren.

Ende Oktober machte sich die Polizei daran, das Camp zu räumen. Mehr als 140 Aktivisten wurden festgenommen. Zuvor soll die Polizei unter anderem Pfefferspray und gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt haben. Entsprechenden Anklang fand daher der Aufruf, der Aktivisten vor der Polizei schützen sollte.

Woher der Aufruf kam, ist immer noch unklar. Die lokalen Protestgruppen sagen, sie hätten ihn nicht gestreut. Und das zuständige Morton County Sheriff’s Departement dementierte: Es nutze Facebook nicht, um Demonstranten zu finden. Die Gerüchte seien falsch. Ohnehin: Dass die Polizei aus den Facebook-Daten großen Nutzen ziehen könnte, bezweifeln Experten. Möglich also, dass die Aktion im Grunde unsinnig war.

Allerdings zeigten die Reaktionen und das Medienecho Wirkung. US-Präsident Barack Obama sagte in einem Fernsehinterview am Dienstag, für gewöhnlich gebe es Wege, heiliges Land der Ureinwohner zu bewahren. „Das Army Corps prüft gerade, ob es möglich ist, die Pipeline umzuleiten.“

Jonas Schaible

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