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Erntezeit. Frauen des Dorfes Matemwe an der Ostküste Sansibars finden ihr „Feld“ direkt vor der Haustür. Das Seegras ist ein wichtiger Rohstoff zur Herstellung etwa von Kosmetik und Medikamenten.

© Markus Kirchgessner

Sansibar: In den Gärten des Ozeans

Auf Sansibar vor der Küste Tansanias suchen Touristen oft nur Erholung nach dem Safari-Urlaub. Doch es gibt mehr zu erleben.

No No Koctta wischt mit der Hand durch die Luft und jagt die Mücken davon. Im halbdunklen Eingangsbereich des kleinen Steinhauses haben sie sich in Schwärmen gesammelt. Die Hitze lockt sie an, der Schweiß und das getrocknete Seegras, das aufgetürmt in einer Ecke liegt. Es ist später Vormittag. Den Frauen von Matemwe, einem kleinen Küstendorf im Nordosten der tansanischen Insel Sansibar, versprechen diese Stunden Ruhe. Sie haben sich im Schatten auf der Pritsche und dem kühlen aus Lehm gestampften Boden hingesetzt.

Salzgeruch des Meeres liegt in der Luft. Nur wenige Meter vom flachen Steinhaus entfernt schwappen Wellen an den Strand. Die Flut hat das Wasser zurückgebracht. Für Stunden bedeckt es nun den weißen Sand des Watts und damit die Felder der Frauen. Nichts ist mehr zu sehen von den Pflanzenreihen, die sie in den frühen Morgenstunden, als das Meer niedrig stand, aufgesucht haben.

Frauen in den Küstendörfern von Sansibar sind Gärtnerinnen der besonderen Art. Ihre Felder liegen viele Stunden am Tag unter Wasser. Der warme, salzige indische Ozean nährt die Pflanzen besonders gut. Vor 20 Jahren hatten Fremde die Pflanzen aus den Philippinen mitgebracht. Seither werden vor allem die Eucheuma spinosum und Eucheuma cotonii vor der ostafrikanischen Insel kultiviert. Sie wachsen gut wegen des großen Tidenhubs von bis zu vier Meter. Auch vor Matemwe.

Sieben Cent pro Kilo sind zu wenig

„Es ist eine gute Arbeit, aber du brauchst Kraft“, sagt No No Koctta. Die Mutter von sechs Kindern verdient ihren Lebensunterhalt mit der Seegraszucht. Sobald sich das Wasser vom Strand zurückgezogen hat, schlüpft sie in ihre Gummilatschen und geht hinaus aufs Feld. Die bunten Kanga-Tücher aus hauchdünner Baumwolle schützen Haut und Kopf vor der Sonne. Mutter Sialeo Amin hilft No No Koctta bei der Arbeit. Die Frauen stecken Reihen aus Holzpflöcken in den sandigen Wattboden, verbinden diese mit Nylonschnüren oder Fischgarn. Erst dann werden die Setzlinge gesteckt, die meist von den großen Pflanzen stammen.

Grün, braun und lila schimmern die Algenarme im türkisfarbenen Meer. Ihre Dicke gibt Auskunft über den Reifegrad. Drei bis vier Wochen Zeit brauchen die Pflanzen, ehe die Frauen des Dorfes sie ernten. Dann tragen Sieleo, Nuzia Haji, Kecha Mossi und die anderen Frauen sie in Säcken und als Büschel zurück ins Dorf, wo sie zum Trocknen in der Sonne ausgelegt werden.

Auch wenn No No Koctta fleißig ist, reicht der Ertrag allein heute nicht mehr, um die sechsköpfige Kinderschar zu ernähren. Die Preise für Seegras sind abgestürzt. 120 bis 150 tansanische Schilling, umgerechnet sieben Cent, zahlt der Händler noch für ein Kilo. Das ist wenig, selbst für Menschen in den Dörfern Sansibars, die meist vom Fischfang, der Landwirtschaft und dem Anbau von Gewürzen leben. Dabei sind Pflanzen dieser Qualität auf dem Weltmarkt begehrt. Aus ihnen werden Gelatine, Medikamente, Kosmetika und Nahrungsmittel gemacht, Letzteres vor allem für den asiatischen Raum.

Die Rolle der Frau hat sich verändert

„Früher hat man mit den Seegrasplantagen noch viel Geld verdient“, sagt Rama Issa Abass aus dem Dorf Jambiani im Süden der Insel, das als Erstes mit der Zucht von Seealgen begonnen hat. So viel, dass anfangs sogar die Männer mit auf die Felder gingen. Damals reichte der Ertrag, um Rücklagen für ein Haus aus Stein zu sammeln oder die Dächer aus Palmblättern durch Wellblech zu ersetzen. „Das Seegras hat unserem Dorf ein wenig Wohlstand gebracht“, – und den Frauen, die ganz erheblich mit zum Familieneinkommen beitrugen – Selbstbewusstsein.

Ernteerfolg auch für Amina Dadi
Ernteerfolg auch für Amina Dadi

© Markus Kirchgessner

Rama Issa Abass erinnert sich noch an die Zeit, als sich im Dorf die Rollen der Frauen und Männer zu ändern begannen. „Am Anfang war es nicht einfach für die Männer, die neue finanzielle Macht der Frauen hinzunehmen. “ Auch wenn die mehrheitlich muslimische Bevölkerung der zu Tansania gehörenden Insel als extrem aufgeschlossen und tolerant gilt, war die Aufgabenteilung in den Familien doch seit Generationen festgelegt. „Heute wird die Arbeit der Frauen gut akzeptiert“, sagt der junge Mann.

Die Familien brauchen das Geld. Nicht nur weil das Leben auf der Tropeninsel teurer geworden ist, sondern auch weil die tiefe Kluft zwischen den luxuriösen Tourismuszentren der Insel und den sie umgebenden Dörfern für jeden offensichtlich ist. Die Schule kostet Geld, eine Ausbildung oder ein Studium in Stone Town, der Hauptstadt Sansibars, sowieso.

Das sozialistische Experiment

Die Insel ist heute berühmt für Nelken, Pfeffer, Vanille, Zimt und Kardamom. Zu früherer Zeit, bis ins frühe 19. Jahrhundert, befand sich hier der größte Sklavenmarkt der Welt. Hunderttausende Schwarzafrikaner wurden auf Dhaus zum Eiland verschifft, von wo aus sie Händler mit hohem Gewinn nach Persien, Arabien und Indien verkauften. Viele der geschundenen Afrikaner haben den brutalen Handel nicht überlebt. An sie erinnert heute ein Denkmal in der Hauptstadt der Insel, Stone Town.

Doch die Sultane des Oman, die über die Insel bestimmten, hat der Handel mit den Sklaven reich gemacht. Davon zeugen die mit Steinen erbauten prächtigen Häuser der Stadt. Mächtige und Abenteurer haben ihr Glück auf der Insel versucht. David Livingstone, der bekannteste Afrika-Pionier, brach von hier auf zu bedeutenden Expeditionen in das „dunkle Herz Afrikas“. Auch die Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien wollten vom Reichtum der kleinen Insel profitieren.

Die Ausbeuter ist die Insel losgeworden – am 10. Dezember 1963 wurde Sansibar aus der Kolonialherrschaft Großbritanniens entlassen. Das sozialistische Experiment, kurz nach der Unabhängigkeit, hat die Insel ebenfalls überstanden. Es bescherte Stone Town nicht nur „Freundschaft“ mit den sozialistischen Brüdern in der DDR, sondern auch Plattenbauten à la Berlin- Marzahn und einen Geheimdienst überdimensionaler Größe. Zurückgeblieben sind auf der Insel Menschen, die an einer besseren Zukunft bauen. In Sansibar sogar auf Sand, im Wasser.

Elisabeth Zoll

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