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Landschaftspark Wiesenburg. Im Schloss kann man inzwischen hochwertige Wohnungen kaufen. Manche sind noch frei.

© Kaiser

Bad Belzig: Am Mittelpunkt der DDR

Akkurat vermessen war er zwischen Verlorenwasser und Weitzgrund, nur eine Stunde von Berlin

Wie Belzig vor zwanzig Jahren aussah, wissen wir nicht. Jetzt ist das Städtchen schmuck. Das nach historischem Vorbild wiederaufgebaute Rathaus macht was her, der Marktplatz kann sich sehen lassen, eine dekorative Postmeilensäule gibt es und eine trutzige Burg. Seit knapp einem Jahr darf sich Belzig ein „Bad“ vor den Namen stellen und bezeichnet sich nun stolz als „jüngster Kurort Deutschlands“. Und so kommen zahlreiche Besucher nur wegen der schön gestalteten und jüngst noch einmal auf Vordermann gebrachten Sole- Therme. Was vor der Wende war, vergessen und vorbei. Aber dann, kurz vorm Kurpark steht ein grüner Wanderwegweiser. „Weitzgrund“ ist in Weiß darauf gemalt und darunter steht: „Mittelpunkt der DDR, 8 Kilometer“. „Manche Gäste aus Westdeutschland haben sich schon darüber beschwert“, sagt eine Mitarbeiterin in der Touristeninformation. Es gebe, so fänden sie, wirklich keinen Grund mehr, noch auf diese Weise an die DDR zu erinnern.

So, als schäme er sich ein bisschen seines Daseins, versteckt sich der Mittelpunkt zwischen den winzigen Dörfern Weitzgrund und Verlorenwasser. Dass er verortet wurde, ist dem Fernsehen zu verdanken. 1974 wurden für die beliebte DDR-Sendung „Außenseiter-Spitzenreiter“ Wissenschaftler der TU Dresden beauftragt, das Zentrum des sozialistischen Staates zu ermitteln. Und bald darauf erfuhren die Fernsehzuschauer das Ergebnis: „12 Grad 31 Minuten in östlicher Länge und 52 Grad 12 Minuten nördlicher Breite“ – mitten im Wald. Dummerweise befand sich gerade dort ein Truppenübungsplatz. So blieb das stolz aufgehängte Schild von der Mitte nur kurze Zeit am originalen Ort und wurde später einige hundert Meter verlegt. „In den 80er Jahren hat man den Mittelpunkt totgeschwiegen“, sagt Eva Schulze, Chefin der Gaststätte „Zur Hirschtränke“ in Verlorenwasser. Man habe wohl nicht gewollt, dass viele Menschen in diese Gegend laufen.

Erst mit der Wende wurde die Mitte wiederbelebt, die Bürgerinitiative „Pro Belzig“ brachte 1994 ein neues Schild an: „Achtung: Hier ist der Mittelpunkt der ehemaligen DDR“. Daneben steht nun ein achteckiger, offener Holzpavillon, in dem Wanderer ihren Proviant auspacken können. Ein Pilgerziel ist der Mittelpunkt nicht geworden. Wer mit dem Auto auf der schmalen Forststraße zwischen den beiden Dörfern unterwegs ist, muss aufpassen, dass er nicht versehentlich daran vorbeifährt. Es ist ja nur ein bescheiden großes Schild. Der „Hirschtränke“ aber beschert er vielleicht ein paar Gäste mehr. Welche Spezialitäten bietet die Wirtin an? „Wir haben vor allem Wildgerichte“, sagt Eva Schulze und, nun ja, die Fläming-Forelle. Aber die sei eigentlich gar keine Spezialität, denn die gebe es doch reichlich in der Region.

Hier, im Hohen Fläming, geht es eben bodenständig zu. Martin Luther soll über die Gegend mit ihren kargen Böden mal mitleidig gesagt haben: „Ländeken, was bist du für ein Sändeken.“ Der Landstrich hat sich – wie Bad Belzig – gemausert. Dünn besiedelt ist er noch immer, nur 30 Einwohner leben im Schnitt auf einem Quadratkilometer. Aber gerade das macht die Region so anziehend. Manche hat sie gar dazu angeregt, hier „ihren Traum zu leben“.

So drückt es jedenfalls Jacqueline Gramm aus, die gemeinsam mit ihrem Mann Harald Thieme den Gutshof Glien gepachtet hat. Das stattliche Herrenhaus wurde, wie so viele, nach dem Krieg umfunktioniert. Ein Kinderheim war untergebracht, ein Konsum, dann stand es lange leer. 1996 wurde es von der Stadt Belzig mit bescheidenen Mitteln saniert, aber zu einer guten Adresse wurde es nicht. „Die einen Betreiber wollten nur Ökos, die anderen nur Familien mit Kindern. Man wusste nie genau, wann es überhaupt geöffnet hat und wann nicht“, sagt Jacqueline Gramm. Vor drei Jahren pachtete es das Ehepaar, renovierte erneut, brachte mehr Farbe in die Zimmer und gute Küche auf den Tisch. Nun werden hier auch Hochzeiten gefeiert, eine hübsche Kirche für die Trauung ist gleich auf der anderen Straßenseite.

Die Preise sind moderat, und so schlüpfen auch Touristen gern mal für eine Nacht unter. Etliche von ihnen reisen mit dem Fahrrad an – und sind damit gut beraten. In jeder Richtung lockt ein anderes spannendes Ziel, das sich gemütlich per Pedalkraft erreichen lässt. Ein paar Kilometer westlich zum Beispiel liegt Wiesenburg mit seinem respektablen Schloss. Nach 1945 bis 1992 wurde es als russische Internatsschule genutzt. Heute kann man darin hochwertig sanierte Wohnungen erwerben. Fast die Hälfte der 24 Objekte ist schon weg, zu Quadratmeterpreisen zwischen 2100 und 2400 Euro. Eine gute Kapitalanlage? „Ich habe eher den Eindruck, dass die Käufer hier selbst wohnen wollen“, sagt Gero Bötzel, Geschäftsführer der Schloss Wiesenburg GbmH.

Einen herrlichen Park haben die Schlossbewohner um sich herum, aber den müssen sie – zum Glück – mit allen Besuchern teilen. Curt Friedrich Ernst von Watzdorff, der die Wiesenburg 1863 übernahm, hat ihn im Stil eines englischen Landschaftsgartens angelegt. Dicke Eichen und mächtige Buchen stehen als Solitäre darin, ein seltener Gingko biloba, Zypressen, Zedern und Schwarzpappeln, die mit ihren 125 Metern himmelwärts streben.

Bald nach dem Krieg hatte man den Park mehr oder weniger sich selbst überlassen, Teiche verschlammten, Sichtachsen wuchsen zu, majestätische Kastanien wurden „aus Sicherheitsgründen“ gefällt. Der Potsdamer Landschaftsarchitekt Hermann Göritz rügte den Notstand und endlich – 1986 – verfügte die SED „die Wiederherstellung des Wiesenburger Parkes“. Vielleicht, weil es ordentlich aussehen sollte in der Mitte der DDR.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen – ein schönes Stück Deutschland ist zu besichtigen. In zwei Jahren findet im Fläming der Deutsche Wandertag statt. Das Programmheft zu den zahlreichen Wanderangeboten liegt schon vor. Eins zum Mittelpunkt der DDR ist nicht darunter. Aber, gut ausgeschildert wie er allenthalben ist in der Region, kann man auch ohne Führung zu ihm finden. Nach der Ortsbesichtigung lässt man sich vielleicht von Eva Schulze eine Fläming-Forelle auf den Teller legen. Wahrscheinlich schmeckt sie so wie vor zwanzig Jahren. Einfach nach Fisch.

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