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Ahoi! Bordhund Aaron hat zwar nicht das Sagen auf der "Michaela", doch ohne ihn geht auch nicht.

© Bernd Ellerbrock

Urlaub auf dem Binnenschiff: Vorsicht, eine Sandbank

Einem Binnenschiffer über die Schulter gesehen: Last und Lust einer Rheinfahrt auf der „Michaela“.

Die Begrüßung ist herzlich. „Das ist mein Schiff. Und auf meinem Schiff wird sich geduzt. Ich heiße Christian.“ Schiffseigner Pawliczek, ein 42-jähriger Mann mit klaren Ansagen, ist Binnenschiffer aus Leidenschaft in dritter Generation. Sein Großvater schipperte auf der Oder, nach dem Krieg verschlug es die Familie in den Westen. Angereist, die Sommerferien auf dem Schiff zu verbringen, sind auch Ehefrau Helen, die Söhne Michael (15) und Henning (13) im Teenageralter sowie das neunjährige Nesthäkchen Katharina.

Zur Duzgemeinschaft an Bord gehören noch drei polnische Bootsleute und Aaron. Der weißhaarige Aufpasserhund, ein Malteser, besteht ebenfalls nicht darauf, gesiezt zu werden. Als zahlende Gäste an Bord dürfen wir eine Woche lang auf der „Michaela“ mitreisen. Über Kanäle und den Rhein.

Motor an, Leinen los. Am Steuerstand des 171 Meter langen und 9,50 Meter breiten Schubverbands nimmt Christian seine typische Haltung ein: linke Hand am Ruderhebel, Füße hochgelegt, Blick nach vorn gerichtet oder links auf den Bildschirm, wo abwechselnd mal das Fernsehprogramm, mal eine elektronische Karte aufscheint. Gerne hält er in der rechten Hand sein Handy, denn Telefonieren gehört auch zu seinem Geschäft. Mit zehn Stundenkilometern schieben sich die miteinander verkoppelten Schiffskörper durch den Dortmund-Ems-Kanal. „Motor“ und „Back“ werden Motorschiff und Leichter, der antriebslose Ladungsbehälter, genannt, das lernt man schnell. Ladung gibt’s im Augenblick nicht. Nur ein paar Tonnen Ballastwasser schwappen wie in einer überdimensionalen Badewanne hin und her.

Die „Michaela“ tuckert durch den Rhein-Herne-Kanal

Ballast ist auch nötig bei einer Kanalfahrt quer durchs Ruhrgebiet, sonst würde das Schiff nämlich gar nicht unter den vielen Brücken hindurchkommen. Taucht eine auf, fährt Christian seinen Fahrstand weit nach unten, nur sein Kopf – oder auch nur die obere Hälfte davon – lugen durch eine Öffnung im Dach hervor. Präzisionsarbeit, millimetergenau. Ist die Brücke passiert, wird das Steuerhaus wie ein Teleskop wieder hinaufgefahren. So geht das Brücke für Brücke, und es gibt viele davon.

Die „Michaela“ ist im Morgengrauen das erste Schiff, das in die Schleuse Wanne-Eickel einfährt. Spätestens um sechs Uhr früh loszufahren ist für Christian Berufsalltag. Mit einer Kanne Kaffee bewaffnet entert er die Brücke, wo seine Gäste ihm jederzeit über die Schulter schauen können. Via Sprechfunk verständigt er sich mit Bootsmann Marek, der mit den Festmachertauen beschäftigt ist. Die Kommandos sind kurz und präzise, alle Handgriffe sitzen. Als der Schubverband die dunkle, schmierige Schleusenkammer verlässt, schaut Christian erst mal bei Marinetraffic (einem Onlinedienst, der Schiffspositionen anzeigt) nach, wo sich die „Hanseatic Scout“ befindet. Der Schüttgutfrachter ist auf dem Weg von Norwegen nach Rotterdam und hat den Bauch voll Schrott. Der soll am nächsten Morgen ab acht Uhr auf die „Michaela“ umgeladen werden.

Christian ist beruhigt. Das Seeschiff umfährt just den Skagerrak und wird wohl pünktlich in Rotterdam eintreffen. Die „Michaela“ auch. Bedächtig tuckert sie durch den Rhein-Herne-Kanal, der vor 100 Jahren eröffnet wurde und eine wichtige Verkehrsader für die boomende Montanwirtschaft des Ruhrgebiets war.

Achtzehn Stunden am Stück am Steuer

War, denn diese Funktion hat der Kanal mit dem Sterben der Zechen und dem Niedergang der Schwerindustrie längst eingebüßt. Heute begleiten sattes Ufergrün, Marinas für Sportboote, Radwege und Kunstwerke am sogenannten Kulturkanal die Fahrt durch den „Pott“. Umgenutzt für Naherholung und touristische Zwecke. Wir passieren die Künstlerzeche „Unser Fritz“ in Herne, den Nordsternpark in Gelsenkirchen mit seinem Amphitheater und der markanten roten Bogenbrücke, schließlich die wohl bekannteste Landmarke, eine riesige Tonne im Revier, den „Gasometer“ Oberhausen. Vor der Schleuse Oberhausen-Lirich haben Künstler eine große Tafel angebracht: „Geduld“ steht darauf. Wie treffend.

Es ist noch relativ ruhig am frühen Morgen. Klare Luft, ein monotones Motorengeräusch und freundliches Gezirpe der Vögel im Ufergebüsch. Immer wieder begegnen uns andere Binnenschiffe. Das ist offenbar eine Frühaufsteherbranche. Achtzehn Stunden am Stück darf Christian sein Schiff führen, danach ist eine Ruhepause von mindestens sechs Stunden einzuhalten. Achtzehn Stunden! Der Mann kommt nie richtig zur Ruhe. Er sitzt ja fast die ganze Zeit am Steuer und wird nur ab und zu von Damian abgelöst, der – wie übrigens auch Frau Helen – ebenfalls ein Fahrpatent besitzt. Die Gäste können dann die modern eingerichtete große Küche mit benutzen, verfügen in ihrer Kammer über einen eigenen Kühlschrank, müssen sich allerdings vorher mit den nötigen Lebensmitteln eindecken. Getränke können an Bord gekauft werden.

Als wir endlich den Rhein befahren, wird das Ballastwasser abgepumpt und der Laderaum von den Kindern zum Spielplatz umfunktioniert. Mitten auf dem Rhein fahren sie im Schiffsrumpf Skateboard, spielen Fußball, üben sich im Tennis oder malen mit bunter Kreide Bilder an die Stahlwände. Das seltene Vergnügen währt nur bis Rotterdam, denn dort wird pünktlich am anderen Morgen mithilfe eines Schwimmkrans der ganze skandinavische Schrott vom Seeschiff aufs Binnenschiff verladen.

Ganz vorn am Bug des Leichters ist es herrlich einsam

Weltmeisterlich viel Platz fürs Fußballspielen – solange keine Fracht geladen ist.
Weltmeisterlich viel Platz fürs Fußballspielen – solange keine Fracht geladen ist.

© Berns Ellerbrock

Wieder keine Pause für Christian. Er achtet auf die gleichmäßige Verteilung der tonnenschweren Fracht, muss sein Schiff umsetzen, lässt sogar wieder Ladung abnehmen, da der Schubverband zu tief im Wasser liegt. Staubwolken von Rost wirbeln bei jedem Hub auf, Mensch und Schiff sind zum Schluss von einer braunen Schicht bedeckt. Gäste gehen da mal lieber in Deckung.

Zu guter Letzt erscheint der Eichmeister und misst noch ganz klassisch per Zollstock den Abstand von Gangbord zur Wasseroberfläche, errechnet daraus die aufgenommene Tonnage und stellt die amtlichen Papiere aus. 3611 Tonnen Schrott sind nun an Bord. Und für die wird das Stahlwerk in Kehl am Rhein dem Händler zahlen müssen. Und natürlich Christian für den Transport, der erst mal zum Duschen geht, bevor der 1632 PS starke Motor mit zwei Maschinen angeworfen wird. Damian, seine Lebenspartnerin Mirella (30) und Marek sind nun den Rest des Tages mit Großreinemachen beschäftigt. Der gesamte Schubverband wird von vorn bis hinten, von oben bis unten abgespritzt und geschrubbt, bis auch das letzte Krümelchen Roststaub im Rhein gelandet ist. Blitzsauber fährt die „Michaela“ jetzt rund 700 lange Kilometer „zu Berg“.

Aber wie langsam! Der Schubverband wird knapp über drei Meter tief von seiner schweren Fracht in den Strom gedrückt, nur wenige Zentimeter ragt die Gangbord aus dem Wasser heraus und wird dabei ständig überspült. Entgegenkommende Schiffe lösen regelrechte Wellen aus, die angerauscht kommen, sich brechen und vor denen der hintere Teil des Schiffes mit Wohnung und Steuerhaus durch ein quer angebrachtes Schanzkleid, einen „Wellenbrecher“, geschützt werden muss.

Ganz vorn am Bug des Leichters ist es herrlich einsam, beruhigend still und der richtige Platz für Urlaubsstimmung: kein Motorgeräusch, kein Sprechfunk, keine kreischende Flex, kein Hämmern und Schrauben, nur das Plätschern von Wellen wie an der Ostsee an einem ruhigen Sommertag. Wer dorthin will, muss eine Schwimmweste anlegen. „Zieh’ auch Gummistiefel über“, ruft Christian dem Gast nach. Doch der watet lieber barfuß durchs warme Rheinwasser, das die Waden bis zum Knie hoch umfließt und nur die ersten Meter etwas furchteinflößend wirkt. Eine Wanderung mitten durch den Rhein – da kommt ein Gefühl der Freiheit auf und etwas Bedauern für die Gäste auf den vielen Flusskreuzfahrtschiffen (Michael nennt sie „Mumiendampfer“…), die solch ein Abenteuer nicht geboten bekommen. Auf der „Michaela“ gibt’s eben eine Kreuzfahrt der besonderen Art.

9,50 Euro pro Tonne Fracht - damit würde er klarkommen

Mehr als 80 Prozent aller auf deutschen Wasserstraßen beförderten Güter werden auf dem Rhein transportiert. Auf dem Wasser-Highway hetzen die einen zu Tal und quälen sich die anderen zu Berg. Überholmanöver dauern hier eine Ewigkeit – Güterverkehr in Zeitlupe. Christian kennt den Strom wie seine Westentasche, jede Brücke, jeden Hafen, jede Fähre, jede Biegung, jede Strömung, jede Buhne. Er befuhr den Rhein schon mit seinem Vater Rudolf, bei dem er 1987 eine Lehre begann. Schon zehn Jahre später machte er sich mit einem Frachter selbstständig und erwarb mit Frau Helen dann vor fünf Jahren den Schubverband. Von seinen Ausmaßen her ist der mit das Größte, was als Binnenschiff momentan so unterwegs ist, und natürlich der ganze Stolz der Familie. „Kanalrutscher“ nennt Christian die Kleinen, die sich dem Trend zum immer Größeren nicht unterwerfen, ein wenig despektierlich.

Doch der Jungunternehmer wirkt etwas besorgt und irgendwie gehetzt. Wer eine Woche Gast in der Familie sein darf, immer mittendrin im Geschehen, Gespräche, Telefonate mitbekommt, spürt das deutlich. Wie in der Seeschifffahrt, hat die Krise auch für die Binnenschiffer voll zugeschlagen, die unter sinkenden Frachtraten, Überkapazitäten an Tonnage, steigenden Spritkosten und vielem mehr leiden. Knapp vier Millionen Euro habe der Schubverband gekostet, sein Wert sich bis heute halbiert, gibt Christian bereitwillig Auskunft auf eine meiner vielen neugierigen Fragen.

Und schimpft auf die Holländer, deren Schiffe längst den finanzierenden Banken gehörten und die für jeden Preis Fracht beförderten, damit überhaupt Geld in die Kasse komme. Und über fehlende Solidarität: „Liegen drei Binnenschiffe nebeneinander und warten auf Fracht. Geht ein Angebot ein, winkt der Erste ab, weil es seine Kosten nicht deckt. Der Zweite sagt, er überlege es sich. Der Dritte willigt ein. So ist das.“ 9,50 Euro pro Tonne Fracht, damit würde er bei diesem Auftrag klarkommen. Er erhält sie jedoch nicht.

Auch wenn sich das Pawliczek-Familienunternehmen, ein „Partikulierer“, mit 15 weiteren Schiffen einem „Befrachter“ angeschlossen hat, garantiert das keineswegs sichere Frachtaufträge wie in früheren Jahren, in denen ordentlich Geld verdient wurde. Vor unserer Reise tingelte die „Michaela“ ein paar Tage lang mit Baustoffen ständig zwischen Duisburg und Münster hin und her, und wie es nach meiner Woche an Bord weitergeht: Christian weiß es nicht. Er wird erst mal den Schrott zum Stahlwerk bringen, Walzdraht laden und in Lübbecke abliefern.

Mitnahme von Urlaubsgästen ist ein willkommenes Zubrot

Seine Suche nach Fracht zu auskömmlichen Preisen ist zum Überlebenskampf geworden. Bei Hochwasser des Rheins sei alles noch schlimmer, erläutert er, denn dann könnten die Schiffe nur voll beladen fahren, das senke die Frachtraten. Niedrigwasser hingegen, das sei prima. So hat Christian seinen ganz eigenen Blick auf den großen deutschen Strom, versucht Sprit zu sparen, indem er sein Schiff aus der starken Strömung hinaus ins seichtere Wasser dirigiert, immer das Echolot im Blick. Am Ende der Reise wird er dennoch 20 000 Liter Diesel verfeuert haben, gebunkert in voller Fahrt, um bloß keine Zeit zu verlieren. Das ökonomische Probleme-ABC liest sich ergo so: Man lebt von der Hand in den Mund und wartet auf bessere Zeiten.

Christian kennt sie alle. Die Fahrgemeinschaft der Binnenschiffer ist übersichtlich. Er weiß, welches Motorschiff gerade mit Kohle unterwegs ist, wie viele Schubverbände mit Erz die Duisburger Thyssen-Stahlwerke versorgen, wer von Containern auf Schüttgut umgestiegen ist, welche Reederei für Ford in Köln Autos nach Antwerpen bringt, wer Futtermittel wohin bringt und Getreide von wo holt. Er weiß, wer Probleme hat und wer expandiert. Für sich, seine insgesamt sechs Bootsleute und seine Familie will er aber vor allem eins wissen: Woher bekommt er die nächste Fracht? Und stimmt der Preis?

Die Mitnahme von Urlaubsgästen jedenfalls ist ein durchaus willkommenes Zubrot. Würde er wieder ein Schiff bauen lassen, dann gleich mit zusätzlichen Unterkunftsmöglichkeiten für Binnenschiffer auf Zeit. Da ist sich Christian ganz sicher. Ob es dazu jemals kommen wird? Für die Schönheiten der Rheinlandschaft haben anscheinend außer den unbeschwert Mitreisenden und Hund Aaron die anderen an Bord selten einen Blick. Dabei ist es am Niederrhein mit seinen vielen Sandbänken am Ufer, weidenden Kühen und fröhlichen Paddlern so beschaulich, am Mittelrhein mit Loreley, Weinbau, Fachwerkstädtchen und mittelalterlichen Burgen so pittoresk, und, ja, am Oberrhein fast mediterran schön. Da vergisst man auch die 3611 Tonnen Schrott.

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