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Dieses von der griechischen Polizei verbreitete Foto von Maria und dem Roma-Ehepaar weckt alte Klischees.

© dpa

Update

Roma: Der Fall Maria und das Vorurteil der dunklen Haut

Im Fall Maria wird dem Ehepaar Kindesentführung vorgeworfen – aber eine Entführung ist wenig plausibel. Die Ermittler in Griechenland rücken deshalb zunehmend davon ab. Am Donnerstagabend fand die Polizei offenbar die leibliche Mutter in Bulgarien. Sie hat weitere blonde Kinder.

Daniel Strauß, den Vorsitzenden des Landesverbands Baden-Württemberg der Sinti und Roma, haben die Schlagzeilen aus Griechenland über den Fall Maria irritiert – und zwar wegen des tiefwurzelnden Klischees „Zigeuner stehlen Kinder“. „Das Bild, das da heraufbeschworen wird, ist so alt und platt, dass ich erschrocken war, ihm wieder zu begegnen“, sagte Strauß dem Tagesspiegel. „Der Kinderraub ist schließlich ein uraltes antiziganistisches Motiv. Auf Kupferstichen aus dem 17. und 18. Jahrhundert sind hellhäutige Kinder in dunkelhäutigen Familien zu sehen, um die Botschaft zu senden: Das passt nicht zusammen.“ Dass selbst solche Versatzstücke nicht längst aussortiert sind, erstaunt ihn: „Ich hätte nie erwartet, dass das heute noch möglich ist.“

Falsche Sortierung

Die Sortierung – hier dunkel, dort hell – habe ohnehin mit der Wirklichkeit nichts zu tun: „Es gibt viele Blonde unter uns, auch in meiner eigenen Familie.“ Sinti und Roma lebten schließlich seit 600 Jahren in Deutschland, „da färbt schon etwas ab“, sagt Strauß mit einem Lachen. Es habe schließlich Heiraten von Roma mit Partnern außerhalb der Roma-Gemeinschaft gegeben. Für den Balkan, wo seit etwa 700 Jahren Roma leben, gelte das Gleiche: „Sie werden nie eine wissenschaftliche Bestätigung finden, dass helle Kinder nicht auch in dunklen Familien geboren werden und umgekehrt.“ In der Tat können nicht dominante Merkmale wie eine helle Haut und blonde Haare auch Generationen später wieder zutage treten, wenn es in der Linie früher einen blonden Partner gegeben hat. In Irland wurden jetzt zwei blonde Kinder den Eltern zurückgegeben.

Der Betrug mit dem Kindergeld

Im Fall Maria sitzen Ehepartner, die nicht die leiblichen Eltern sind, wegen Kindesentführung in Untersuchungshaft. Es stellt sich die Frage, was das Motiv – das Geschäftsmodell – einer Entführung sein könnte. Die griechische Polizei hat herausgefunden, dass das Ehepaar den Behörden 14 Kinder angegeben hat, um Kindergeld zu erschleichen. Tatsächlich leben nur vier Kinder in dem Haushalt, darunter Maria. Als Entführungsmotiv taugt der Kindergeldbetrug aber nicht. Das Ehepaar hatte in der Vergangenheit vermieden, das blonde Mädchen den Behörden zu zeigen. Welchen Ärger das gebracht hätte, erleben sie derzeit. Vielmehr hat das Paar offensichtlich Kinder anderer Roma-Familien ausgeliehen, um Kindergeld zu erschleichen. Maria dürfte in Sachen Kindergeldbetrug keine Rolle gespielt haben. Noch ein Aspekt kommt hinzu. Kindergeldbetrug lohnt sich nur, wenn man Geld für Kinder bekommt, die man nicht hat. Für die Kinder, die man hat, braucht man das Kindergeld für den Unterhalt. Das sagt auch Strauß. Viele der jetzt öffentlich angestellten Vermutungen zum Geschäftsmodell des griechischen Roma-Paars seien nicht plausibel, sagt er. Auch er stelle sich die Frage „nach dem Geld dahinter“, die Erklärung aber, die beiden hätten es aufs Kindergeld abgesehen, „halte ich für hanebüchen“. „Wer Kinder hat, weiß, dass ein Kind deutlich mehr kostet, als das Kindergeld bringt.“

Adoptionsgeschäft? Organhandel? Über die Motive möglicher Kindesentführungen wird spekuliert

Im Falle von Kindesentführungen sei grundsätzlich Organhandel ein mögliches Motiv und in Südosteuropa immer wieder ein Thema, das Adoptionsgeschäft komme ebenfalls infrage. Aber für beides gibt es hier keinerlei Anhaltspunkte.

Zudem sollte man fragen, wer tatsächlich im Kinderhandel tätig ist. „Die Roma als Gruppe haben vor allem selbst die Erfahrung gemacht, dass ihre Kinder, staatlich organisiert, entführt wurden, dass sie bis vor wenigen Jahrzehnten ihren Eltern weggenommen und in Adoptivfamilien oder Kinderheime gesteckt wurden“, sagte Strauß.

Kinderarbeit als Motiv

Der Vorwurf, das Kind sei entführt worden, ließe sich wahrscheinlich nur begründen, wenn das Kind durch Kinderarbeit ausgebeutet würde. Aber würde eine solche finanzielle Ausbeutung den Aufwand und das Risiko aufwiegen, die eine Entführung mit sich brächte? Und würde das Paar ausgerechnet ein blondes Mädchen entführen, das nur die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich zieht? Auch diese Varianten sind wenig plausibel.

Von der Mutter weggegeben

Die großen Zweifel an der Entführungsthese haben inzwischen auch die Behörden in Griechenland erreicht. Wie aus griechischen Ermittlerkreisen zu erfahren ist, denken die Behörden offenbar langsam um. Für eine zunächst vermutete Entführung des Kindes gebe es immer weniger Anhaltspunkte, sagen Ermittler. Maria wurde offenbar von ihrer leiblichen Mutter weggegeben. „Wir haben 80 Euro für das Kind bezahlt“, erklärte der 39-jährige Inhaftierte in den Vernehmungen. Die Formulierung des Mannes scheint auf Kinderhandel hinzuweisen. Aber er sagte weiter, das Geld sei als Entschädigung für die Hebamme bestimmt gewesen, die der Mutter bei der Entbindung beigestanden habe.

Am Abend meldeten bulgarische Behörden, sie hätten offenbar die leibliche Mutter der kleinen Maria gefunden. Die bulgarischen Ermittler werfen der Frau nach eigenen Angaben vor, ihr Kind im Jahr 2009 in Griechenland verkauft zu haben. Demnach ordneten die Behörden einen DNA-Test zur Überprüfung der Elternschaft an. Medienberichten zufolge handelt es sich bei den Eltern um Sascha und Anatas R., ein Roma-Paar aus der zentralbulgarischen Stadt Nikolaewo. Die Frau beteuerte, ihr Kind aus schierer Not und nicht gegen Geld in Griechenland zurückgelassen zu haben. Maria sei damals sieben Monate alt gewesen. Ihr Sohn Jesus sagte nach Angaben der Nachrichtenagentur BGNES, seine Mutter habe das Mädchen vor ihrer Heimkehr nach Bulgarien zurückgelassen, weil sie „weder Geld, noch Ausweispapiere“ gehabt habe. Medienberichten zufolge hat das Paar mehrere Kinder, von denen fünf blonde Haare haben und Maria sehr ähnlich sehen sollen.

Der anfängliche Verdacht, das Kind sei das Opfer einer Entführung, tritt so mehr und mehr in den Hintergrund. Bei Interpol ist jedenfalls kein Kind, dessen Beschreibung oder DNA-Daten zu Maria passen, als vermisst gemeldet. Die Polizei geht davon aus, dass die meisten Kinder, die auf diese Weise gehandelt werden, von ihren Müttern freiwillig weggegeben wurden.

Andere könnten aus Waisenhäusern stammen. So versuchen die griechischen Behörden jetzt das Schicksal von über 500 Straßenkindern zu klären, die zwischen 1998 und 2004 unter ungeklärten Umständen aus einem Kinderheim bei Athen verschwanden. (mit AFP)

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