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Schweiz: Deutsche raus?

In der Schweiz kochen die Gefühle hoch. Die vielen tüchtigen Zuwanderer aus dem großen Nachbarland machen vielen Angst

Wie viele Deutsche verträgt unser Land? Greifen sich die Deutschen unsere Jobs? Warum sind diese Deutschen so kalt? Die Schweizer führen mit ungewohnter Inbrunst eine Debatte über „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus der Bundesrepublik: Die Angst vor der Überfremdung geht um. Deutsche rein? Oder Deutsche raus?

Im vergangenen Jahr erreichte die Migration aus dem „großen Kanton“ einen Rekord: Fast 25 000 Deutsche kamen. Damit sind die Menschen aus Berlin, Sachsen oder Nordrhein-Westfalen die größte Gruppe von Neueinwanderern. Insgesamt leben 170 000 Deutsche in dem kleinen Staat. Und je öfter die Schweizer das harte Hochdeutsche in ihren Städten hören, desto stärker stacheln die Medien die antideutschen Reflexe an. Das Magazin „Facts“ berichtete genüsslich: „Schweizer mobben Deutsche“. Der „Sonntags-Blick“ stellte mit Genugtuung fest, dass zwei von drei Schweizern finden, dass es zu viele Deutsche in Helvetien gibt. Für den schrillen Höhepunkt sorgte die größte Zeitung des Landes: Der „Blick“ druckt eine Serie über das „Reizthema Deutsche“.

Zwar versichert das Zürcher Boulevardblatt den „lieben Deutschen“: „Unsere Serie wird keine Kampagne gegen euch sein.“ Gleichzeitig aber weiden sich Blick und seine Leser an den Ergebnissen einer Umfrage: Danach verurteilt fast jeder zweite Schweizer die Deutschen als arrogant – die Franzosen, Italiener und Österreicher schneiden bei den Eidgenossen wesentlich besser ab.

Klar ist dann auch, dass die Deutschen im Sympathieranking ganz unten liegen. Die Nachbarn aus Italien, Österreich und Frankreich gelten einfach als netter als die Teutonen. Gepfeffert haben die „Blick“-Macher ihre Serie mit Zitaten ganz normaler Schweizer über die „großspurigen“ Deutschen: „Ich habe bisher vorwiegend schlechte Erfahrungen gemacht mit Deutschen“, schimpft Severine Saladin. „Sie kamen mir meistens unfreundlich vor und zeigten sich auch nicht gerade hilfsbereit.“ Bruno Schurtenberger berichtet über die Deutschen: „Wie ich es erlebe, werden sie zum Teil unangenehm, sobald sie in der Gruppe auftauchen.“ Und Regula Sutter argwöhnt: „Die Deutschen kommen also als Billigkräfte in die Schweiz und ruinieren unseren Arbeitsmarkt.“ Doch gerade die Arbeitgeber nehmen die Deutschen in Schutz, egal ob sich die Einwanderer in Hotels, Banken, Universitäten oder auch auf dem Bau verdingen. Deutsche arbeiten ergebnisorientiert, reden weniger und legen ein anderes Tempo vor. Wenn ein Unternehmen umstrukturiert werden muss, sind Deutsche diejenigen, die anpacken und verändern. Das macht Angst. Besonders Helvetiens Gesundheitswesen hängt von der Zufuhr gut ausgebildeter Fachkräfte aus der Bundesrepublik ab. „Ich bin ihnen so dankbar, dass sie unsere Patientinnen und Patienten betreuen“, sagt Robert Fürder, Verwaltungspräsident eines großen Spitals. „Ohne sie müssten wir das Unternehmen schließen.“

Vor allem beeindrucken die Deutschen mit ihrer Zuverlässigkeit, ihrem Fleiß und ihrem Drang zur Perfektion. Und die Deutschen, das müssen auch die misstrauischsten Schweizer eingestehen, schielen nicht auf die soziale Hängematte. „Die Deutschen wissen, warum sie hierher kommen“, betont der Gipser Reto Hugentobler, „um zu arbeiten und um Geld zu verdienen, nicht um unsere Sozialsysteme auszubeuten“.

Tatsächlich: Die Migranten schätzen die vielen lukrativen Stellen. „Wer hier arbeiten will, kann arbeiten“, findet der Berliner Gipser Ricard Kern, der jetzt im Kanton Bern sein Geld verdient. „Und am Monatsende bleibt - anders als in Deutschland – auch noch was vom Gehalt übrig.“

Zwar haben sich viele der Zugezogenen recht schnell integriert. Jetzt aber mehren sich ihre Klagen. Mal zeigen die Schweizer den Deutschen die kalte Schulter, mal pöbeln die Einheimischen die Neuankömmlinge offen an. „Die Leute lassen mich warten oder wenden sich offen von mir ab“, berichtet ein deutscher Informatiker, der seit fünf Jahren in Zürich arbeitet. „Außerdem höre ich oft Ausdrücke wie Nazikopf.“ Ist die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes der Hauptgrund für die scharfen Reaktionen der Schweizer? Oder sitzen die Ressentiments der Eidgenossen gegenüber den Nachbarn tiefer? Intellektuelle wie der Zürcher Germanist Peter von Matt versuchen, Antworten zu finden: „Die Sozialpsychologie kennt das Phänomen, dass das kleine Land, die kleine Stadt eine bestimmte Animosität gegen den größeren Nachbarn entwickelt“, sagt er. „Der Größere gilt stets als kalt, arrogant und materialistisch, der Kleinere spricht sich selbst Wärme und Gefühl zu.“

Jan Dirk Herbermann[Genf]

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