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Arbeitsmigranten warten nahe der Corniche im Herzen Dohas auf ihren Bustransfer zur Baustelle.

© Reuters

Stadienbau in Katar: Tod im "Freiluftgefängnis“

Ein Dutzend Gastarbeiter sterben wöchentlich beim Bau der WM-Stadien in Katar, gibt der Internationale Gewerkschaftsbund an. Den Arbeitern machen 20-Stunden-Schichten, laxe Sicherheitsbestimmungen und hohe Temperaturen zu schaffen. Doch die Fifa schaut weg.

An der Corniche von Doha sieht auf den ersten Blick alles traumhaft aus: Alte Dau-Schiffe, traditionelle Segelboote schippern durch die Hafenbucht der katarischen Hauptstadt, dahinter heben sich Wolkenkratzer aus dem Wüstendunst empor. Und an hohen Masten zeugen bereits Werbeplakate von dem sportlichen Großereignis, das Doha, ja ganz Katar, bevorsteht: Die Fußball-Weltmeisterschaft gastiert 2022 im Land.

Abseits der Corniche, im Rumailah Park, hocken jene, die dafür sorgen, dass der Traum Wirklichkeit werden soll. Es sind Gastarbeiter aus Indien, Sri Lanka oder Nepal, kaum von spazierenden Katarern wahrgenommen, sitzen sie im Halbdunkel der Palmenschatten. Eigentlich gehören sie nicht hier hin, sie leben in Baracken am Stadtrand oder im Arbeiterviertel südlich der Corniche. Doch von hier fahren die Busse, die die Arbeiter zu ihrem Einsatz bringen. Und von hier haben sie den besten Blick auf das, was sie hier seit Jahren in die Höhe ziehen .

Aktuell sind das zwölf Stadien, die das Emirat Katar bis 2022 neu bauen oder erweitern muss. Hinzu kommen Hotels und Bus-Terminals, die die passende Infrastruktur für Gäste aus aller Welt liefern sollen. Doch Katar fordert für den Ausbau seines Fußball-Spektakels einen hohen Preis: Zwischen Juni und August starben insgesamt 44 nepalesische Gastarbeiter auf den WM-Baustellen, haben nun Recherchen des englischen „Guardian“ ergeben. Die Arbeiter würden wegen Herzversagens in der großen Hitze oder bei Arbeitsunfällen wegen katastrophaler Bedingungen sterben.

In der Regel wird Gastarbeitern bei der Einreise nach Katar der Pass abgenommen. Sie werden in schlecht ausgestatteten und unhygienischen Massenunterkünften untergebracht und täglich in Bussen zu den Baustellen gefahren. Gebaut wird an den meisten Plätzen rund um die Uhr, nicht wenige Arbeiter müssen bis zu 20 Stunden auf der Baustelle bleiben. So gibt es Schichten bei Temperaturen von 50 Grad – ebenso wie Nachteinsätze bei schlechtem Licht und ungenügender Sicherung. Ähnlich verfahren auch andere Golfländer mit ihren Arbeitern.

Der Internationale Gewerkschaftsbund ITUC hat errechnet, dass mindestens 4000 Gastarbeiter ihr Leben gelassen haben werden, bevor zur WM der erste Ball gekickt wird – so Katar nicht dringend seine Arbeitsschutzbestimmungen ändert. Diese alarmierende Hochrechnung fußt auf Beobachtungen der letzten beiden Jahre. So würden rund ein Dutzend Arbeiter wöchentlich verunglücken.

Derzeit leben rund 1,2 Millionen Gastarbeiter, vor allem aus Nepal und Sri Lanka, in Katar. Ihnen gegenüber stehen nur rund 1,7 Millionen Katarer. Um die Stadien bis 2022 fertigzustellen, geht die ITUC jedoch von einer weiteren Million Arbeiter aus, die ins Land kommen müsse. Der Inselstaat hätte dann wie auch die Vereinigten Arabischen Emirate mehr Gastarbeiter als Staatsbürger im Land.

Der Weltfußball-Verband Fifa zeigte sich über die Berichte „besorgt“ und kündigte an, die Verantwortlichen aus dem Wüstenstaat zu kontaktieren. Die Berichte des „Guardian“ wolle man beim nächsten Treffen des Exekutivkomitees nächste Woche diskutieren. Derzeit untersucht die Fifa-Ethikkommission unter Vorsitz von Chefermittler Michael Garcia die Korruptionsvorwürfe rund um die WM-Vergabe an das Land. Die Kosten für das WM-Projekt sollen sich auf schätzungsweise 87 Milliarden Euro belaufen.

Sharan Burrows, Generalsekretärin der Gewerkschaft ITUC, kritisierte die Fifa für ihre unklare Haltung. Sie vermutet eine „Verschwörung“ zwischen den Fußballfunktionären und den katarischen Verantwortlichen: „Wenn es die Fifa wirklich ernst meint, würde sie mit ihrer Macht für menschenwürdige Arbeitsverhältnisse sorgen oder den Gastgebern die WM entziehen“, sagte Burrow der Nachrichtenagentur AP. Die Fifa habe in einer Sitzung im November 2011 versprochen, sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. „Sie hat versagt“, urteilte Burrow.

Die jüngsten Todeszahlen sind nicht der erste Vorfall, der die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in Katar verdeutlicht. Die indische Botschaft in Katar vermeldet 82 getötete indische Gastarbeiter in den ersten fünf Monaten dieses Jahres und 1460 Beschwerden über unwürdige Arbeitsbedingungen. Und auch die nepalesische Botschaft gibt an, rund 30 nepalesische Gastarbeiter seien jüngst in die Botschaft ihres Heimatlandes geflüchtet und haben von den Zuständen auf den WM-Baustellen berichtet. Die nepalesische Botschafterin Maya Kumari Sharma sprach bereits vor einem halben Jahr von Katar als einem „Freiluftgefängnis“ für all die Tausenden Arbeitsmigranten aus ihrer Heimat. Insgesamt arbeiten nach offiziellen Angaben rund 300.000 Nepalesen im Land

Das Zitat vom „Freiluftgefängnis“ griff der „Guardian“ nun in seinem Bericht über die jüngsten Todesopfer mit auf. Als sich die katarische Regierung über den Vergleich beschwerte, zog Nepal am Donnerstag seine Botschafterin aus dem Land ab. Ihr Handeln entspreche nicht dem „diplomatischen Anstand“, hieß es in der Begründung.

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