zum Hauptinhalt
Das ewige Eis – aufgenommen im Spätsommer. In den Wintermonaten, also auch am heutigen Silvestertag, herrscht weit oben im Norden völlige Dunkelheit.

© dpa

Update

El Niño, Tief Eckard und andere Wetterphänomene: Ausnahmezustand am Nordpol: Hitzerekord - und jetzt wieder Frost

Während es am Nordpol viel zu warm ist, steht Nordengland unter Wasser und Stürme fallen anderswo besonders eisig aus. Was ist los?

Auch an den letzten beiden Tagen des an Rekorden reichen Jahres spielt das Wetter noch einmal verrückt. 2015 wird als das global wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen geführt werden; in Deutschland war es gleichauf mit den Jahren 2000 und 2007 das zweitwärmste Jahr, berichtet der Deutsche Wetterdienst. Ein Super-El-Niño hat die Südhalbkugel im Griff, der Norden Englands steht unter Wasser, Tornados wüten in den USA – und nun gibt es auch noch einen Hitzerekord am Nordpol, ausgerechnet im Winter.

Doch der Ausnahmezustand dauerte nicht lange: Nach einem außergewöhnlichen Wärmeschub haben sich die Temperaturen in der Nordpolregion wieder deutlich abgekühlt. Es sei dort nun wieder etwa minus 15 Grad kalt, sagte die Meteorologin Jutta Perkuhn vom Deutschen Wetterdienst in Hamburg am Donnerstag. Noch am Mittwoch hatten die Temperaturen um null Grad gelegen - normalerweise herrschen am Nordpol um diese Jahreszeit minus 30 bis minus 40 Grad. Zur Erklärung der Wetterkapriole meinte Perkuhn: „Ursache war ein kleiner Warmluftvorstoß. Dem ist jetzt die Puste ausgegangen.“ Die Warmluft-Welle werde nun nicht mehr so stark in Richtung Norden geschoben wie in den Vortagen. 

Auf der Inselgruppe Spitzbergen im Nordatlantik war es am Donnerstag aber immer noch plus fünf Grad warm - aber auch dort werde die Temperatur bis Montag fallen, sagte Perkuhn. Die Ursachen der Wetterlage sei wissenschaftlich nicht zu erklären, teilte der DWD mit. Es sei ein Ausdruck des chaotischen Systems Atmosphäre. Die Wissenschaftlerin Dorthe Dahl-Jensen vom Niels Bohr Institut an der Universität Kopenhagen meinte, solche extremen Wetterlagen seien gar nicht so selten. Zugleich sah sie langfristig aber auch Folgen für die Eisdicke in der Region. Denn es passiere inzwischen häufiger, dass sich die Temperaturen in der hohen Arktis sehr stark änderten: „Wenn es wärmer wird, ist es häufiger, dass so etwas vorkommt. Und wenn es häufiger wird, wirkt es sich auf die Entwicklung und die Dicke des Meereises im Winter aus.“ Dahl-Jensen leitet ein Team, das Grönlands Eisschild untersucht.

Was passiert da genau am Nordpol?
Ende September beleuchten die letzten Sonnenstrahlen die Eiswüste am Nordpol, danach folgen fünf Monate Dunkelheit und Kälte. Die Temperaturen fallen regelmäßig auf Minus 30 Grad Celsius. Doch im Moment taut das Eis an. Ein gewaltiger Sturm über Island schaufelt warme Luft aus den Subtropen bis in die Arktis; für kurze Zeit ist es etwa zwei Grad über dem Gefrierpunkt. Seit 1948 gab es das nur drei Mal im Dezember.

Die Isländer sind Winterstürme gewöhnt. In diesem Jahr trifft es sie jedoch besonders hart. Erst vor drei Wochen fegte der heftigste Nordatlantiksturm seit 25 Jahren über die Vulkaninsel. Am Mittwoch folgte Orkantief Eckard, einer der stärksten Stürme seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Der Kernluftdruck liegt bei 935 Hektopascal und kann bis auf 930 Hektopascal sinken. Unterboten wird dieser Luftdruck nur noch von einem Sturm im Jahr 1929 (924 Hektopascal) und durch den Braer-Sturm, der 1993 das Meer zwischen Island und Schottland aufpeitschte.

Der tropische Wirbelsturm „Sandy“, der 2012 bei New York an Land ging, hatte einen Luftdruck von 940 Hektopascal. Vor allem der Osten und Norden Islands hatten am Mittwoch Wind mit 150 Kilometern pro Stunde, heftigen Regen und Schneematsch zu verzeichnen, meldete der isländische Wetterdienst. Die Wellen waren bis zu 15 Meter hoch.

Welche Auswirkungen wird das haben?

Gemeinsam mit Hoch Christine, das sich über dem Baltikum hält, wirkt das riesige Sturmsystem Eckard weit über Island hinaus. An seinem Ostrand schaufelt es warme Luft westlich von Spanien über Großbritannien und Island bis zum Arktischen Ozean und bringt für einige Tage Tauwetter. Auf der norwegischen Inselgruppe Swalbard nördlich des Polarkreises, zu der auch Spitzbergen gehört, sollen die Temperaturen auf sechs Grad Celsius steigen. Christine bringt am Ostrand arktischen Kaltwind bis zum östlichen Mittelmeer, meldet der Deutsche Wetterdienst.

Besorgniserregend sei, dass das Hoch zum Jahreswechsel Frost und Schnee bis zum Peleponnes, Ägäis und zur Türkischen Riviera bringen wird – und damit bis zur Flüchtlingsroute, wo weiterhin viele Menschen unterwegs sind. Besonders viel Schnee werde im Bergland Griechenlands, der Türkei und im Kaukasus erwartet. Ausläufer von Eckard sollen Großbritannien erreichen und könnten dort die Hochwasserlage weiter verschlimmern. Darauf haben die Behörden am Mittwoch reagiert und in Schottland und im Norden Englands Hunderte Menschen dazu veranlasst, ihre Häuser zu verlassen.

Warum stand Nordengland schon vorher unter Wasser?

Auch 2013 und 2014 stand halb England unter Wasser. In den beiden Vorjahren war das eine Folge von Starkregenfällen, die im Zuge von Wintersturm-Systemen über der Insel nieder gegangen waren. So war es diesmal im Norden. Vor allem die Stadt York ist von den Überflutungen hart getroffen worden. Aber auch in Manchester und Leeds kam es zu schweren Überschwemmungen. Der britische Sender BBC zitiert den Vize-Chef der britischen Umweltbehörde, David Rooke mit den Worten, das Vereinigte Königreich bewege sich von einer Periode der „bekannten Wetterextreme“ in eine „unbekannter Extreme“.

Die Kommunalpolitiker im Norden sehen das anders: Sie werfen der Zentralregierung in London vor, im Süden mehr Geld für Deiche und Dämme ausgegeben zu haben als im Norden. Das wies Premierminister David Cameron bei einem Besuch im Katstrophengebiet zurück. Der „Guardian“ berichtet, dass die Schäden durch die Flut bereits auf umgerechnet rund sechs Milliarden Euro geschätzt werden. Nach den Recherchen der Zeitung müssen viele Unternehmen und Privatleute mit dem finanziellen Ruin rechnen, weil sie nur unzureichend gegen solche Elementarschäden versichert sind. Dazu kommt, dass die Kanal- und Dammsysteme oft von Bauern gemeinsam verwaltet werden, denen der Schutz ihrer Felder wichtiger erscheint als der Schutz von Städten wie York.

Großbritannien hat beim Hochwasserschutz bisher vor allem auf technische Lösungen gesetzt. Es gibt kaum Überflutungsflächen und selbst die Entwässerung von Mooren ist weiterhin kein Grund, den Bauern ihre Direktzahlungen aus dem Brüsseler Agarhaushalt zu kürzen, kritisiert der angesehene Umweltjournalist George Monbiot bereits seit Jahren.

Wie ist es zu Tornados, Überflutungen und Schneechaos in den USA gekommen?

Bis zum Dezember war 2015 in den USA ein eher friedliches Tornado-Jahr. Mit zehn Toten durch die Wirbelstürme an Land schätzten sich die USA bis dahin ziemlich glücklich. Im langjährigen Durchschnitt verlieren mehr als 100 Menschen im Jahr ihr Leben durch Tornados. Aber im Dezember holte 2015 dann doch noch mal aus. 69 Tornados rasten innerhalb einer Woche durch mehrere Staaten der USA. Am härtesten hat es Texas getroffen, wo elf Menschen starben.

In einem El-Niño-Jahr nimmt in der Regel die Zahl der Hurricans über dem Atlantik ab und über dem Pazifik zu. Außerdem bilden sich in einem solchen Jahr in den USA üblicherweise bis zu doppelt so viele Tornados wie in „normalen“ Jahren, schreibt der Meteorologe Eric Holthaus im amerikanischen Magazin „Slate“.

Die Tornados in Texas, die einen Tag nach Weihnachten über das Land fegten, waren Teil eines riesigen Sturmsystems, das beinahe das halbe Land betraf. Das gleiche Sturmsystem brachte Starkregen über dem Mittleren Westen und führte am Mississippi zu einer der schlimmsten Überflutungen seit mehr als einem Jahrzehnt. An den westlichen und nördlichen Rändern des Sturmsystems fing es an zu schneien. In Neu Mexiko ist der Schnee- Notstand ausgerufen worden. Auch Teile von Texas wurden in kürzester Zeit mit gewaltigen Schneemassen bedeckt. Im Nordosten des Landes hat das Sturmsystem nach einem rekordwarmen Weihnachten einen Temperatursturz und den ersten Schnee des Winters gebracht. Allzu eng ist der Zusammenhang mit dem El Niño wohl nicht. Die amerikanischen Meteorologen sind sich in der Bewertung allerdings noch nicht einig. Der Supersturm über Island hat allerdings keinen Zusammenhang mit dem Katastrophenwetter in den USA.

In den USA ist 2015 übrigens mehr als 70 Mal der Wetter-Notstand ausgerufen worden: Von Schneemassen im Januar und Februar über Rekordwaldbrände an der Westküste und schweren Überflutungen in Nord- und Süd-Carolina im Oktober mit mehr als 30 Toten bis hin zur nunmehr vier Jahre anhaltenden Rekorddürre in Kalifornien. Dort haben die Bauern, die etwa 40 Prozent des in den USA verbrauchten Obstes anbauen, inzwischen so viele neue Grundwasserbrunnen gebohrt, dass sich das Land inzwischen monatlich um rund fünf Zentimeter senkt.

Werden wir in Deutschland Auswirkungen des Super-Sturms über Island spüren?

Zwischen diesen Extremen bleibt das Wetter in Deutschland entspannt. Im Nordosten klopft zaghaft der Winter an: An Silvester könnte es etwas Glatteis geben.

Steht dieses Phänomen in Zusammenhang mit El Niño?

Nein. El Niño bringt in weiten Teilen der Erde Wetterkapriolen, doch Nordpol und Europa werden von dem grausamen Christkind kaum beeinflusst – uns bringt es höchstens manchmal Kälte. So könnte es zu dem besonders kalten Kriegswinter 1941/42 geführt haben, vermuten manche Forscher. El Niño entsteht alle zwei bis sieben Jahre, wenn sich in der Mitte des Stillen Ozeans die Wassertemperatur mindestens fünf Monate lang um ein halbes Grad erhöht und einen Dominoeffekt in Gang setzt.

Bereits vor 500 Jahren beobachteten Segler die Auswirkungen. Normalerweise bewegt die Umwälzpumpe des Pazifiks hier alles gen Westen. So schiebt der Humboldtstrom einen Warmwasserberg von Südamerika nach Südostasien. Während sich vor Indonesien das Wasser auf 30 Grad Celsius erwärmt und es viel regnet, werden vor Südamerika nur 20 Grad Celsius gemessen. Der Meeresspiegel liegt dort 30 Zentimeter tiefer, und es ist trocken.

El Niño lässt den Austausch von warmem und kaltem Wasser zusammenbrechen. Die Verhältnisse kehren sich um. Rund um die Inseln im Westpazifik fallen Korallenriffe trocken und sterben ab. Dürre befördert Waldbrände wie in Indonesien, meldet Nasas Jet Propulsion Laboratory. In China begünstigt die Trockenheit die Smogglocke, in Indien Hitzewellen, weil sich der Monsun verschiebt. Auf der anderen Seite des Ozeans wurden Andendörfer unter Schlammlawinen begraben.

Der diesjährige El Niño könnte der stärkste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen werden und den von 1997/98 übertreffen. Anfang 2016 werden die Auswirkungen auch in den USA zu spüren sein, meldet die National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA). Der Süden werde dann für einige Monate ungewöhnlich kühl und feucht sein. Eine genaue Vorhersage sei aber nicht möglich, betont die Nasa. Allerdings wird gehofft, dass sich Kalifornien nicht nur auf einige Stürme und Überschwemmungen an der Küste vorbereiten müsse, sondern durch Regen und Schnee auch die Wasserreservoirs nach der langen Dürre aufgefüllt werden. Allerdings bringe El Niño vermutlich nur vorübergehend Entlastung: Im Sommer könnte La Niña folgen, die alle Effekte umkehre und die Dürre an die Küsten Nord- und Südamerikas zurückbringe. „Insgesamt trägt El Niño nur zu sieben Prozent zum Wasserhaushalt Kaliforniens bei“, sagt Bill Patzert vom Jet Propulsion Laboratory der Nasa.

Ist der Klimawandel daran schuld?

Wetter ist Wetter – und Klima ist die Summe aus mindestens 30 Jahren Wetter. Deshalb ist es meistens schwierig, ein einzelnes Wetterereignis auf den Klimawandel zurückzuführen. Allerdings passen die Wetterextreme des Jahres 2015 zu den physikalischen Gegebenheiten einer wärmer werdenden Welt. Durch den vor allem durch die Emission von Kohlendioxid bewirkte stärkere Treibhauswirkung der Atmosphäre und die daraus resultierende Erwärmung, ist mehr Energie im System. Wenn sie nicht in den Ozeanen gelagert wird, erhöht sich der Energiegehalt in der Atmosphäre und auf dem Land. Höhere Temperaturen und damit einhergehend mehr Feuchtigkeit in der Luft sowie stärkere Winde können zu Wetterextremen führen. Klimaforscher rechnen damit, dass diese Extreme in Zukunft noch zunehmen werden.

(mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false