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Unfähig, unethnisch, faul: Pianist Fazil Say wettert gegen türkische Arabesk-Musik.

© dpa

Arabesk-Kultur: Türkei: Politische Töne im Streit um die Musikrichtung

"Arabesk" ist die Musik der aufstrebenden Mittelschicht Anatoliens. Doch die hat nicht nur Fans: Pianist Fazil Say zieht öffentlich über Arabesk-Musik her - und entfacht damit politische Diskussionen in seinem Heimatland.

An Fazil Say scheiden sich in der Türkei schon lange die Geister. Für die einen ist der international bekannte Pianist ein Aushängeschild einer modernen, westwärtsgewandten Gesellschaft. Für die anderen ist er ein arroganter Snob. Jetzt hat der 40-jährige Künstler einen Streit über angeblich kulturlose Schnulzenmusik in seinem Land losgetreten, der zu einem Stellvertreterkrieg rivalisierender sozialer Gruppen gerät. Fazil Say repräsentiert dabei die säkulär-kemalistischen Eliten der Türkei, während die von ihm verabscheuten Schnulzen bei der aufstrebenden anatolischen Mittelschicht populär sind, die den Kemalisten ihre angestammten Führungspositionen streitig macht. Begleitet wird der türkische Sängerstreit von vielen hässlichen und hochpolitischen Untertönen.

Say stört sich am Arabesk-Stil, der Musik von Millionen von Landflüchtlingen, die in den vergangenen Jahrzehnten aus dem anatolischen Osten in die Westtürkei wanderten, um Armut und Krieg zu entgehen. Die oft sentimentalen und orientalisch angehauchten Lieder handeln von Herz und Schmerz, Trennung, Heimweh. Auch das Leid der Opfer politischer Unruhen ist von Arabesk-Künstlern thematisiert worden. Stars des Genres, wie Ibrahim Tatlises oder Orhan Gencebay, sind jedem Türken ein Begriff.

Auch Fazil Say kennt sie und verachtet sie offenbar. In einer Notiz auf seiner Facebook-Seite, die von der Presse aufgegriffen wurde, nannte er die Arabesk-Musik eine "Last für Intellektualität, Modernität, Führungskraft und Kunst", verband Arabesk mit Begriffen wie "Nahost", "Faulheit", "unethisch" und "Unfähigkeit" und schrieb: "Ich schäme, schäme, schäme mich für das Arabesk-Proletentum beim türkischen Volk."

In einem Zeitungsinterview legte Say wenig später noch einmal nach. Arabesk stehe für einen "Geist des Niedergangs", sagte er. Zu der populären Sängerin Sezen Aksu merkte er an, sie habe bei einem gemeinsamen Auftritt sieben von zehn Tönen nicht getroffen. Es gehe nicht um eine spezielle Sentimentalität der Musik, sondern schlicht und einfach um schlechten Gesang. "Wir machen Musik, wir kochen hier keine Auberginen."

Kein Wunder, dass Arabesk-Anhänger die Vorwürfe Says nicht auf sich sitzen lassen. "Der muss in Behandlung", giftete die Sängerin Hülya Avsar. "Schade, ich dachte Sie seien ein Musiker", erklärte Avsars Kollegin Isin Karaca, die gerade ein Album mit dem Titel "Arabesque" auf den Markt gebracht hat.

Auch einige Zeitungskommentatoren schossen scharf auf Say. Der Pianist setze die ganze Arabesk-Kultur sowie die Macher und Hörer dieser Musik herab, schrieb die Kolumnistin Rengin Soysal in der Zeitung "Taraf". Sie erinnerte Say daran, dass Adolf Hitler ein begeisterter Anhänger von Richard Wagner war. Andere Kommentatoren nannten Say gleich einen Faschisten. Dagegen schrieb der Kolumnist Hincal Uluc in "Sabah", die Kritiker von Say regten sich nur deshalb so auf, weil der Pianist ein überzeugter Anhänger von Mustafa Kemal Atatürk sei und sie über Say den säkulären Staatsgründer attackieren könnten.

Die Kemalisten sehen sich selbst als Hüter des Atatürk'schen Lebenswerkes und haben die immer selbstbewusster werdenden Anatolier unter der Führung der Partei AKP von Premier Recep Tayyip Erdogan im Verdacht, Atatürks Republik islamischer oder orientalischer machen zu wollen. Say selbst gab zu Protokoll, er kenne keinen einzigen westorientierten Türken, der Arabesk höre. Für ihn ist das ein vernichtendes Urteil über die Musik.

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