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Panorama: Versteckt hinter Gefühllosigkeit

In Augsburg steht der „Maskenmörder“ vor Gericht – als Sensenmann verkleidet tötete er die zwölfjährige Vanessa

Wenn es stimmt, dass Blicke mehr als Worte sagen, dann hat Michael Weinhold gestern nur wenig gesagt. Vielleicht den Moment lang, als er Erich und Ramona Gilg zum ersten Mal in die Augen schaut. Eine kurze Regung ist es nur im Gesicht des Mannes hinter der schusssicheren Glaswand. Dann hat er sich wieder völlig unter Kontrolle. Wie auswenig gelernt klingt es, was er sagt. Der „Maskenmann“, er scheint sich auch vor Gericht hinter einer Maske aus Emotionslosigkeit zu verstecken.

Dass sich Michael Weinhold keine Gefühle erlaubt, macht es allen nicht leichter, gestern im Schwurgerichtssaal 101 des Augsburger Strafjustizzentrums. Vanessas Eltern nicht, den Zuschauern nicht. Schon morgens um acht Uhr waren die Besucher in Schlangen angestanden, um einen Sitzplatz zu bekommen.

Vorbei an den zehn Demonstranten vor der Tür, die auf Transparenten „Schutz vor Wiederholungstätern“ fordern. Vorbei auch an den Einlasskontrollen und dem Metalldetektor.

Handys werden eingesammelt, die Beamten achten vor allem auf gefährliche Gegenstände. Am Augsburger Landgericht hat man bereits Erfahrung gemacht mit Prozessen gegen Kindsmörder. Armin Schreiner, der 1996 die siebenjährige Nathalie ermordete, wurde auch schon hier verurteilt.

Gestern ist es nicht wie damals das Schwurgericht, sondern die Jugendkammer, die sich mit einem solchen Mord befassen muss. Dem Mord an Vanessa Gilg, die nur zwölf Jahre alt werden durfte, weil Michael Weinhold „jemanden erschrecken wollte“. So schildert es der 20-Jährige jedenfalls auf der Anklagebank.

Ganz ruhig und gefasst wirkt der angehende Metallbauer hinter der Glaswand, die ihn vor Angriffen schützen soll. „Ich möchte mich zutiefst bei der Familie entschuldigen. Ich hoffe, dass man mir irgendwann verzeihen kann“, beginnt er sein Geständnis, und man merkt, dass er sich nicht wohl fühlt in seinem dunkelgrauen Anzug.

Michael Weinhold steht vor Gericht, weil er die kleine Vanessa aus Gersthofen am Abend des Rosenmontags 2002 heimtückisch und aus niederen Beweggründen getötet haben soll. So wirft es ihm Staatsanwältin Brigitta Baur vor, und auch als sie die Anklage verliest, blickt der 20-Jährige scheinbar unberührt geradeaus. Ja, natürlich wolle er sich äußern, sagt er, als ihn der Vorsitzende Richter Martin Kramer in seiner ruhigen, geradezu bedächtigen Art fragt. Was dann folgt, klingt, als würde der Angeklagte vom Blatt ablesen. Er erzählt, wie er an jenem Abend mit seiner Mutter und deren Lebensgefährten im Bierzelt war, drei Maß Bier getrunken habe.

Später sei er dann alleine losgezogen, in seiner Verkleidung als Sensenmann, als wandelnder Tod in schwarzem Umhang und Maske vor dem Gesicht. Eine Studentin, der er begegnet, will er „erschrecken“. Sie weist ihn schroff zurück. „Da bin ich so sauer geworden, dass ich was zerstören wollte“, sagt er. Und fügt nach kurzer Pause hinzu: „So in einen Gartenzaun treten oder so.“ Tatsächlich zerstört Weinhold wenig später das Leben eines Kindes. Durch ein Fenster sieht er in der Gersthofer Winterstraße Vanessa und ihren Bruder, die es ausnutzen, dass ihre Eltern auf einem Ball sind. Er beobachtet die Kinder. Als sie ins Bett gehen, sucht er sich einen Weg ins Haus, dringt durch die Garage ein. Aus der Küche, sagt der 20-Jährige, habe er sich ein Messer geholt, „weil ein Sensenmann doch eine Sense braucht“. Vanessas Eltern werden dieser Behauptung später widersprechen. So ein Messer – die spätere Tatwaffe – stamme sicher nicht aus ihrer Wohnung.

Doch der Angeklagte bleibt dabei: „Was ich heute sage, ist die Wahrheit und wird auch immer die Wahrheit bleiben.“ Mit dem Messer schleicht sich Weinhold in den ersten Stock, direkt in Vanessas Zimmer. Das Mädchen schläft auf dem Bauch – und wird angeblich wach, als der 20-Jährige vor seinem Bett steht. „Sie hat um Hilfe geschrien, da sind mir die Sicherungen durchgebrannt“, sagt Weinhold. Aus Angst, in dem fremden Haus entdeckt zu werden, habe er zugestochen, wie oft, weiß er nicht mehr. „Ich kann mich nur an den ersten und den letzten Stich erinnern.“ Ist das also das so lange gesuchte Motiv für die Bluttat? Anwalt Stefan Pfalzgraf, der Vanessas Eltern zur Seite steht, mag es nicht glauben. „Die Kinder hätten sie auch von draußen vom Fenster aus erschrecken können“, sagt er. Weinholf bleibt dabei. Nein, er habe nicht vorgehabt, Vanessa zu töten.

„Ich wollte in die Wohnung rein, um realer zu wirken.“ Dass die Horrorfilme, die er regelmäßig und intensiv über Jahre hinweg konsumierte, einen Einfluss auf die Tat hatten, bestreitet der 20-Jährige immer wieder. „Ich bin ein Freak von Horrorfilmen, ja“, sagt er. „Aber dass es da Ähnlichkeiten zum Film Halloween gibt, ist reiner Zufall.“ Vater Erich Gilg erzählt in der Gegenwart von seiner Tochter, als würde sie noch leben. Ramona, seine Frau schildert mit brutaler Offenheit, wie sie Vanessa in einer Blutlache liegend gefunden hat. Verzeihen würden sie Michael Weinhold, haben Gilgs vor dem Prozess in den Medien gesagt. Der Mörder solle eine zweite Chance bekommen. Nach dem ersten Prozesstag sind sie sich nicht mehr sicher.

Sascha Borowski[Augsburg]

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