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Das US-Model Kelly Chin ist mit Ozeanen und Kontinenten dieser Erde bemalt und macht damit Werbung für den Weltvegantag.

© dpa

Weltvegantag: Jeder findet seins bestätigt

Fleisch, Fisch, Gemüse – oder ganz ohne tierische Produkte: Der Streit um die richtige Lebensform wird immer schriller. Gedanken zum Weltvegantag.

Der Witz ist steinalt, wird aber gern immer wieder hervorgeholt. „Ihr Vegetarier glaubt immer, dass ihr länger lebt“, besagt er, „das stimmt aber nicht – es kommt euch nur so vor.“ Als ein anonymer Scherzbold diese Sentenz erfand, gab es vermutlich noch kaum Veganer, jene Sorte Vegetarier also, die den Verzicht auf tierische Produkte mit aller Konsequenz zu Ende denkt. Und viele von ihnen, so scheint es jedenfalls, sind mit ihrem Leben durchaus zufrieden.

Der Weltvegantag lässt sich anders als die Erfindung des veganen Lebens hingegen genau datieren: Er findet am 1. November statt, und das seit 1994, als er von der Präsidentin der Vegan Society, Louise Wallis, erfunden wurde, um an das 50. Jubiläum dieser Organisation zu erinnern – den 1. November wählte sie, weil sie das Datum zwischen Halloween und dem mexikanischen „Tag der Toten“ irgendwie lustig fand.

Seit 1994, so scheint es, hat das Thema langsam an Fahrt aufgenommen, und dieses Tempo scheint sich zuletzt, nicht zuletzt gestützt durch das Internet, enorm zu steigern. Ein Medienhype wie so viele andere? Fakten sind rar. Angeblich gibt es gegenwärtig in Deutschland 850.000 Menschen über 14 Jahre, die sich als Veganer bezeichnen – oder als jemand, der auf tierische Produkte weitgehend verzichtet; die Zahl schließt also wohl auch Vegetarier und viele undogmatische Gemüsefreunde ein. Das wären gerade 1,2 Prozent der Deutschen über 14 Jahre.

Gefühlt sitzen die alle in Berlin. Das hat sicher damit zu tun, dass die entsprechenden Organisationen am Regierungssitz nun einmal am meisten Krach schlagen, aber es hat sicher auch mit dem aktuellen Lebensstil der jüngeren Stadtbewohner zu tun. Rund 300 vegane Gaststätten sollen in Berlin existieren, ganz überwiegend sind das aber keine Restaurants, sondern kleine Cafés oder Imbisse. Darüber hinaus gibt es in der Stadt ein veganes Sportstudio (ohne lederbezogene Geräte), vegane Kondome (ohne das Tiereiweiß Kasein), ein veganes Tattoo-Studio, das ohne rote Blattlaus-Farbe auskommt, und vegane Friseure, die weder Bienenwachs noch an Tieren getestete Shampoos verwenden.

Die Extrempositionen von Peta

In den deutschen Restaurantführern präsent ist eigentlich nur das (vegetarische) „Cookies Cream“ in Berlin. Das einzige vegetarische Restaurant mit Michelin-Stern ist gegenwärtig das Wiener „Tian“, das in diesem Jahr eine Münchener Filiale gegründet hat. Die Zahl der Gemüsemenüs in „normalen“ Restaurants nimmt zu – vegan arbeiten diese Köche allerdings nicht. Das bleibt Spezialisten wie dem Kochbuchautor und Szene-Star Attila Hildmann vorbehalten.

Die immer schriller tönende Debatte zum Thema wird durch Extrempositionen angefacht. Die Radikalen der veganen Seite, wie sie beispielsweise bei „Peta“ organisiert sind, reklamieren für sich eine grundsätzliche Position moralischer Überlegenheit, die sie mit der philosophisch strittigen Auffassung begründen, Tiere seien Menschen gleichgestellt. Manch Ultra-Veganer möchte auch den Menschen ganz vom Globus tilgen, damit wieder das eintreten möge, was er als „Gleichgewicht“ empfindet. Wer ihnen als Feind gilt wie Udo Pollmer, der deutsche Lebensmittelchemiker und Publizist („Don’t go Veggie“), der muss mit Morddrohungen leben, wie sie in umgekehrter Richtung anscheinend nicht vorkommen.

Die Pragmatiker, sicher die Mehrheit der Veganer, stehen vor anderen Problemen. Was essen? Denn hier kommt es zum Konflikt mit anderen moralisch wertvollen Positionen, etwa der biologisch korrekten Ernährung. Mancher, der beim „Analogkäse“-Skandal noch laut über Lebensmittelfälschung geschimpft hat, findet heute nichts dabei, dass die vegane Lebensmittelindustrie die Kühltruhen mit hochgradig prozessierten Kunstprodukten vollstopft, die auf der Basis von Weizeneiweiß oder Soja fleischliche Lebensmittel nachahmen und oft problematische Hormone enthalten. Selbst Sarah Wiener, die sich in Sachen Bio-Ehrgeiz von niemandem übertreffen lässt, hat kürzlich gegen Eltern gewettert, die ihre Kinder mit derlei Pseudokost zu ernähren versuchen.

Viele Menschen geben ihr Veganer- oder Vegetariertum wieder auf

Es geht vermutlich auch ohne solche Zutaten, mit reiner Gemüsekost. Allerdings stellt sich dabei die Frage, womit diese Gemüse gedüngt werden sollen, wenn man auf tierischen Dung verzichtet. Im globalen Maßstab ist außerdem nicht ganz unwichtig, dass ein maßgeblicher Teil der Weltagrarflächen nicht zum Gemüseanbau taugt, sondern nur als Tierweide zur Ernährung der Menschen beitragen kann – auf sie zu verzichten ist vielleicht in Deutschland möglich, im größten Teil der Erde sicher nicht. Und maximalethische Positionen tun sich schwer, zu erklären, ob es erlaubt sei, Ungeziefer, Wühlmäuse oder auch Wild gewaltsam vom Gemüseverzehr abzuhalten.

Die Debatte, ob vegane Ernährung zu Mangelerscheinungen führt, teilt das Schicksal nahezu aller ernährungswissenschaftlichen Kontroversen: Jeder findet seins bestätigt. Pollmer behauptet beispielsweise, dies führe zu erheblichen Wachstumsstörungen bei Kindern – was die Gegenseite allenfalls bei extrem eingeschränkter veganer Ernährung anerkennt.

So oder so gilt als sicher, dass viele Menschen die vegane oder vegetarische Ernährung nach Monaten oder Jahren auch wieder aufgeben, was dann weniger laut propagiert und nicht statistisch erfasst wird. Wer Böses denkt, mag daher den Weltvegantag in Zusammenhang bringen mit der jüngst veröffentlichten WHO-Metastudie, die einen Zusammenhang zwischen Fleischverzehr und Darmkrebs nahelegt und dem Veganismus sicher neue Anhänger zugeführt hat. Auch dazu hat Pollmer sein Urteil schon gefällt: Methodisch fragwürdig, auf Basis unbrauchbarer Daten – und kein Beleg für die steilen Thesen, die daraus in Schlagzeilen abgeleitet werden.

Klar ist in dieser Situation nur eins: Auch am Weltvegantag 2016 wird der Streit unvermindert weitergehen.

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