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In voller Montur. Frauen sind in der Minderheit, was die Verbindungen angeht. In Berlin gibt es nur eine Frauen-Verbindung - der Rest der 35 ist in fester Männerhand.

© DAVIDS

Berliner Burschenschaften: Tradition, die verbindet

Burschenschaften bleiben unter sich und vertreten äußerst konservative Werte. Doch warum wird man trotzdem Mitglied? Unser Autor hat nachgefragt und einige Antworten gefunden.

Richtig adrett sehen sie aus, wie sie da auf ihrer braunen Ledergarnitur sitzen: Den Rücken durchgedrückt, die Haare gescheitelt, das Ralph-Lauren-Hemd gebügelt. Dazu Segelschuhe, eine Kappe und eine blau-gold-rote Schärpe, Couleurband genannt. Mehr Klischee geht nicht. Doch die vier Korporierten der Burschenschaft Obotritia scheinen sich daran nicht zu stören. Im Gegenteil: Hier in der Villa am Nikolassee wird Wert gelegt auf Distinktion und Etikette.

Adrian Wollersheim ist ein „Bursche“ und weiß genau, was sich gehört. Aufstehen, fester Händedruck, in die Augen schauen. Der 22-Jährige studiert Jura an der Uni Potsdam. Seit zwei Jahren ist Wollersheim bei der Obotritia, seitdem wohnt er in der Villa zusammen mit vier anderen Aktiven, allesamt Männer. Frauen sind nicht erlaubt. „Für mich ist das hier mehr als nur eine Studienfreundschaft“, sagt er. „Es ist auch ein Lebensbund.“

Zu Beginn des neuen Semesters rücken die Burschenschaften wieder stärker in den öffentlichen Fokus. Mit Erstsemesterpartys und Vorträgen werben sie um neue Mitglieder. Wer sich entschließt, einer der 45 Berliner Verbindungen beizutreten, der erhält Eintritt in eine Welt, die aus der Zeit gefallen zu sein scheint. In der Villa der Obotritia zieren die gerahmten Schmissgesichter der Bundesbrüder von anno dazumal die Wände. Auf einer Kommode steht ein ausgestopfter Fuchs und die Schrankwand zieren Bierpokale – und zwei Degen. Dreimal wöchentlich trainieren die Burschenschafter mit dem Florett. Ihre Gesichter zerfurchen sie sich damit aber nicht mehr. Scharfe Mensuren würden nur noch in seltenen Ausnahmefällen ausgetragen, sagt Adrian Wollersheim.

Gefochten wird bei der Obotritia vielmehr mit Worten. Die 125 Jahre alte Burschenschaft ist eine politische Verbindung. „Das bedeutet, dass wir kein einheitliches politisches Ziel verfolgen, sondern zum Beispiel unsere Mitglieder zu politisch denkenden Menschen erziehen wollen“, erklärt Wollersheim. Und wenn er so redet, klingt es, als hätte er schon mehr als einen Rhetorik-Kurs besucht.

„Oberschichtshabitus“ nennt Christoph Meyer das Auftreten der Burschenschafter. Der 28-Jährige studiert Soziologie an der TU und ist dort beim AStA aktiv. Für ihn sind Verbindungen mehr als nur harmlose Debattierclubs. Um „Männerbünde, die Frauen systematisch ausschließen“ handele es sich, um „Seilschaften, die sich gegenseitig auf Führungspositionen hieven“, um „Ultrarechte, die einen völkischen Nationenbegriff propagieren und großdeutschen Träumen nachhängen“, meint Meyer. Auf drei Schlagworte lässt sich seine Kritik reduzieren: Sexismus, Nationalismus, Rassismus.

Adrian Wollersheim hat für solche Vorwürfe nur ein Augenrollen übrig. Ihn nervt es, sich ständig rechtfertigen zu müssen. „Wir nehmen keine Frauen auf, nicht nur weil das so Tradition ist, sondern auch weil Beziehungen die Verbindung kaputtmachen könnten“, sagt er. Und dass man Kontakte zu Alten Herren knüpfe sei doch selbstverständlich, aber noch lange keine Jobgarantie. „Niemand bekommt automatisch eine Stelle, weil er in einer Burschenschaft ist. Die Zeiten sind vorbei.“

Lesen Sie auf der 2. Seite welche Traditionen und Werte den Burschenschaften wichtig sind.

Was Wollersheim, der sich bei der Jungen Union engagiert, wirklich wurmt, ist der Nationalismus-Vorwurf. Zwar bekennt er sich zu seinem Vaterland; rechtes Gedankengut aber duldet er nicht. „Wenn einer mit Thor-Steinar-T-Shirt zu uns kommt, dann ist an der Türschwelle Schluss“, versichert er. Probleme mit Ausländern gebe es keine, einer seiner Bundesbrüder komme sogar aus der Türkei. Das sei aber nicht bei allen Burschenschaften so, räumt Wollersheim ein.

Die Villa der Gothia liegt in Zehlendorf. Gleich um die Ecke befindet sich ein Polizeirevier. Dennoch wurde die Villa schon mehrfach mit Farbbeuteln beworfen. „Einmal brannte sogar ein Auto“, sagt Jörg S. Der 22-jährige Schweizer studiert Jura an der FU Berlin und ist Mitglied bei der pflichtschlagenden Verbindung. Seinen vollständigen Namen will er nicht in der Zeitung lesen.

In der linken Szene ist die Gothia als rechtsextrem verschrien. Seit Jahren schaltet sie Anzeigen in der ultrarechten Zeitung „Junge Freiheit“. Erst im November 2010 hielt der Leiter des als ultrarechts geltenden Instituts für Staatspolitik, Erik Lehnert, einen Vortrag im Haus der Verbindung. Außerdem ist die Gothia Teil der „Burschenschaftlichen Gemeinschaft“ (BG), zu der auch 24 österreichische Verbindungen gehören. Sie alle bekennen sich zu einem „volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff ohne Rücksicht auf staatliche Gebilde und deren Grenzen“. Bei Treffen singen sie das „Lied der Deutschen“ und halten Fackelmärsche ab – in Gedenken an die in den Weltkriegen gefallenen Bundesbrüder.

S. fühlt sich missverstanden. „Wir Gothen sind keine Nazis“, sagt er. Jeder könne Mitglied werden, die Nationalität spiele keine Rolle, einzig die „Bindung zur Kulturnation Deutschland“ zähle – Goethe, Schiller, Mozart. Und das Singen des Deutschlandliedes sei burschenschaftliche Tradition. „Das lassen wir uns nicht verbieten“, sagt S., der sich als Liberaler sieht. NPDler würde er in seiner Verbindung nicht tolerieren. Wenn es aber Rechtsextreme bei anderen Burschenschaften der BG gebe, seien ihm die Hände gebunden. „Wir können denen ja nichts vorschreiben.“

Tatsächlich beobachtet der Verfassungsschutz in Berlin anders als in München oder Hamburg keine der aktiven Verbindungen, da sie nicht gegen das Grundgesetz verstoßen. Auch wenn man nicht ausschließen kann, dass Einzelne Kontakte in die rechte Szene unterhalten, sind die Burschenschaften kein Sammelbecken für Rechtsextreme, sondern eher Cliquen von Wertkonservativen mit Hang zur Deutschtümelei, die sich zum Teil nicht deutlich genug vom rechten Rand abgrenzen.

Auf Seite 3 lesen Sie, ob es in Berlin auch eine Verbindung für Frauen gibt.

Erst im Juni machte eine Verbindung der BG Schlagzeilen. Sie hatte beim Burschenschaftstag in Eisenach beantragt, eine andere Verbindung aus dem Dachverband „Deutsche Burschenschaften“ (DB) auszuschließen, weil eines der Mitglieder chinesische Eltern hat. Der Antrag wurde letztlich wegen eines Verfahrensfehler abgelehnt. Dennoch sorgte er für Empörung, auch beim konkurrierenden Dachverband, der Neuen Deutschen Burschenschaft (NDB), zu dem auch die Obotritia gehört. Die DB habe damit einen „Keil in die burschenschaftliche Bewegung“ getrieben und deren „freiheitliche Ideale“ verraten, hieß es.

Sarah Leins runzelt die Stirn, wenn man sie auf die Debatte anspricht. „Die Männer schießen sich mit solchen Diskussionen selbst ins Bein“, sagt sie. „Dadurch werden dann alle Verbindungen wieder über einen Kamm geschoren.“ Die 25-Jährige studiert China-Studien an der FU und ist Mitglied bei Lysistrata, der einzigen Verbindung in Berlin, die ausschließlich Frauen aufnimmt, 35 Mitglieder zählt sie derzeit. Von einigen Männern werden die Frauen belächelt oder abfällig als „Tittenbuxe“ bezeichnet.

Dabei ist bei Lysistrata – abgesehen davon, dass die Frauen nicht fechten – alles genauso wie bei den Männern. Die Bundesschwestern haben dieselben Rituale, singen dieselben Lieder und sie plagen auch dieselben Probleme. Denn den Frauen mangelt es genauso wie der Gothia oder der Obotritia an Nachwuchs. Derzeit hätten sie nur sechs Aktive, sagt Leins. Ihre WG in Schöneberg haben sie aufgelöst, auch weil keine der Bundesschwestern dort mehr wohnen wollte. Das neue Quartier der Lysistrata befindet sich nun in Grunewald.

„Dabei könnten gerade die Verbindungen für Studierende, die neu nach Berlin kommen und sich erst mal verloren fühlen, attraktiv sein“, sagt Leins. Wegen des Zusammenhalts, der Verlässlichkeit, der Freundschaft. Auch bei ihr sei das so gewesen, als sie aus Stuttgart herzog. Den meisten Studierenden jedoch werden die Burschenschaften fremd bleiben. Aber das ist wohl so gewollt. Man bleibt halt lieber unter sich.

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