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© ddp

Gentleman: "Ich trage das ganze Jahr Shorts"

Eigentlich heißt er Tilmann Otto, ist 32 Jahre alt und in Osnabrück geboren. Bekannt ist Otto aber als Reggae-Sänger Gentleman. Im Interview erklärt er, wo ist Deutschland wie Jamaika ist, redet über Schüsse, Abenteuer und sein Skateboard.

Wir wollen die Hoffnung auf Sonnenschein nicht aufgeben und hören morgens beim Fahrradfahren trotzig im Nieselregen schöne Sommermusik im i-Pod, „Intoxication“ von Gentleman. Der will gleich im Büro anrufen. Und wir fragen uns: Wie sollen wir ihn überhaupt ansprechen? Herr Otto? Gentleman? Das Telefon klingelt. „Hey, hier ist Tilmann“, sagt eine fröhliche Stimme. Haben wir also auch das geklärt.

Tilmann, lass uns über den Frühling reden, ja?

Schublade auf – Jamaika, Sonne, Raggae rein – Schublade wieder zu.

Mmh, das ging jetzt nicht so gut los.

Das sind halt immer diese Klischees. Im Reggae geht es halt um mehr als nur Sonne und Spaß. Auf Jamaika herrscht vor jeder Wahl quasi Bürgerkrieg, die Mordrate in Kingston ist höher als in Johannesburg in Südafrika. Die sozialen Sorgen sind so unglaublich groß, aber darüber könnte ich jetzt Stunden reden.

Dürfen wir beim Reggae nicht lächeln?

Doch, na klar, aber es ist absurd, wenn Bob Marley singt „I Shot The Sheriff“ und alle im Publikum fröhlich lachen. Das Lied ist anders gemeint. Ich mein’, der Cousin meines Kumpels wurde in Kingston gerade erschossen: Drive-by-Shooting aus dem fahrenden Auto. Das gehört leider dort auch zum Alltag.

Du bist mit 17 nach Jamaika gereist und pendelst zwischen Kingston und Köln. Ist dir auf Jamaika auch mal was passiert?

Zum Glück nicht, nein. Ich will auch nicht falsch verstanden werden: Wenn die Leute meinen Sound mögen, dazu tanzen und smiling faces haben: Bitte, gern! Schöne Musik ist am Anfang wichtiger als der Text, weil man sonst weghört – aber wenn drei, vier Leute den Texten zuhören: noch besser. Ich mache halt keine Ballermann-Musik.

Wie hast du damals als 17-Jähriger eigentlich die Reise nach Jamaika finanziert?

Ich war Lagerarbeiter und hatte ein bisschen Geld gespart. Mein Vater …

… ein Pastor …

…legte noch einmal 200 Mark drauf. Und so bin ich einfach rübergeflogen. Ich wollte die Welt sehen und war abenteuerlustig. Genauso wie die Leute, die heute für ein Auslandsjahr durch Australien reisen. Damals verliebte ich mich in Jamaika. Mich beeindruckte die Herzlichkeit, die unglaubliche Liebe in der Familie und die Gottesnähe. Die Musik kam später hinzu.

Bist du von Deutschland genervt?

Nein, ich habe längst vieles schätzen gelernt, auch banale Dinge: einen guten Döner in Köln etwa. Oder dass wir vier Jahreszeiten haben, mit Blättern, die im Herbst herabfallen. Und Schnee! Auf Jamaika renne ich das ganze Jahr in Shorts rum.

Du warst jetzt neun Monate auf Jamaika, hast dein Album aufgenommen. Wie ist das, wenn das ganze Jahr Sommer ist?

Ach, wenn du in Deutschland lebst, schätzt du den Sommer viel mehr und freust dich wie ein kleines Kind darauf. Deutschland ist im Sommer ein anderes, ein schöneres Land, die Leute lächeln viel mehr. Nur eure Taxifahrer bleiben irgendwie unfreundlich.

Unsere Taxifahrer?

Na, die in Berlin. Die sind echt speziell.

Wo ist Deutschland wie Jamaika?

Vielleicht in Köln-Kalk. Und Kreuzberg.

Warum?

Ich habe Freunde in Berlin, mit den Jungs von Seeed telefoniere ich öfter mal. Und wenn ich durch Kreuzberg laufe, sehe ich immer die bunten Kulturen auf den Straßen, ich höre Sprachwirrwarr und laute Musik aus den offenen Fenstern der Autos. Und erst die vielen Gerüche im Sommer! Das ist so lässig und auch spannend wie Jamaika. Berlin ist mir nur zu groß.

Kommen Seeed eigentlich zu deinem Konzert? Die machen ja bis 2009 Pause, hätten also Zeit.

Die machen ja Solo-Dinger, aber sonst ist auf der Gästeliste noch ein Platz frei, obwohl: Die können ruhig Karten kaufen. Wir spielen manchmal zusammen Fußball, wenn wir uns sehen, aber dafür bleibt diesmal keine Zeit. Wir touren ja weiter durch Europa.

Erst geht’s durch Deutschland, dann Frankreich, Polen, rüber nach Kalifornien …

… und zwischendrin die ganzen Festivals, die sind cool! Am besten war’s bisher auf der Domplatte in Köln. Da haben mir tausende Leute zugehört. Als ich 14 war, stand ich selber noch da unten.

Im Publikum?

Nein, ich war Skater…

…Deutscher Meister sogar …

…und damals bin ich immer über die Domplatte gerollt und sogar von Telefonzellen gesprungen. Ich bin jetzt aber 32, da knackt's schon mal im Gelenk und die Skateboards sind eh zerbrochen.

Wenn du im Winter wieder nach Jamaika fliegst: Nimmst du etwas ganz Spezielles aus Deutschland mit?

Ja. Meinen Reisepass.

Das Gespräch führte André Görke.

DER NAME

Eigentlich heißt er ja Tilmann Otto, ist 32 Jahre alt. Warum er sich dann „Gentleman“ nennt? Nun, angeblich deshalb: Als er sich auf Jamaika vorstellte, verstanden alle nur „’Tleman“ – und so wurde aus Tilmann eben Gentleman.



DER MENSCH

Geboren in Osnabrück, aufgewachsen in Köln, zog es Tilmann mit 17 nach Jamaika. Er verliebte sich, wurde später Vater; heute lebt er mit einer US-Amerikanerin zusammen, sie ist Backgroundsängerin seiner „Far East Band“.



DIE MUSIK

Tilmann hat sich einen Namen gemacht mit seinem Style, nicht nur bei Konzerten in aller Welt, wo tausende Fans kommen. Für sein Album „Journey to Jah“ erhielt er 2003 den deutschen Musikpreis Echo. Sein Album „Another Intensity“ erschien im August 2007 und kletterte prompt in den deutschen Album-Charts auf Platz 2.

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