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Hochwasser: Zorniger Mississippi

Seit 1937 hat es vergleichbare Pegelstände nicht mehr gegeben. Am Mississippi gibt es ein Jahrhundert-Hochwasser – und Flut-Touristen pilgern nach Memphis.

Amerika hat eine Hassliebe zu diesem Fluss. Der Mississippi ist seine Lebensader. Sein Wasser und sein Schlamm machen Millionen Hektar zu fruchtbarem Ackerland; er erschließt ein Drittel der USA für den Warentransport auf dem Wasserweg. „The Big Muddy“ wird in unzähligen Bluesliedern besungen. In jedem Frühjahr aber bedroht der Mississippi Menschen, Häuser und Städte mit seinen Wassermassen und sprengt Dämme. „Jetzt gerade ist er ein zorniger Strom“, sagt Bob Nations, der Direktor für Katastrophenschutz in Shelby County, zu dem Memphis, Tennessee, gehört. Die Millionenstadt erlebt in diesen Tagen einen wahren Flut-Tourismus. Seit 1937 hat es solche Pegelstände nicht gegeben: mehr als vier Meter oberhalb des Flutmarkers. „Der mächtige Strom löst große Faszination aus“, sagt Nations.

Genau genommen ist es diesmal gar nicht der Mississippi, der Memphis bedroht. Er ist nur die indirekte Ursache der Flutwelle. Seine Dämme in dieser Region dürften halten. Gefahr geht von den Nebenflüssen wie dem Wolf River und dem Loosahatchie River aus. An ihren Mündungen in den Mississippi treffen sie auf eine Wand aus Wasser und stauen sich deshalb zurück. Rund 3000 Grundstücke an ihren Ufern sind überflutet, weitere 2000 sind gefährdet. In Arkansas, dem Tennessee gegenüberliegenden Staat am westlichen Mississippi-Ufer, sind 16 Städte durch die Rückstaus der Zuflüsse bedroht. 18 Menschen sind bei den Unwettern und Überschwemmungen seit dem 23. April in Arkansas ums Leben gekommen.

Generell haben Memphis und die Großstädte weiter flussabwärts bis hinunter nach New Orleans gelernt, mit der Naturgewalt des Mississippi zu leben. Die zuständigen Experten der US-Regierung haben sie mit einem System aus Dämmen und ersatzweisen Überflutungsgebieten, in die die Wassermassen in hoher Not abgeleitet werden können, geschützt. Nahe New Orleans, wo die Flutwelle überhaupt erst in einigen Tagen eintrifft, wird schon jetzt vorsorglich Wasser durch den Bonnet Carré Spillway in den Lake Pontchartrain im Norden der Stadt abgeleitet. Zusätzlich soll nun der Morganza Spillway geöffnet werden, zum ersten Mal seit 1973. Das größte Gefängnis der USA in Angola, Louisiana, das an drei Seiten vom Mississippi eingeschlossen ist, wird evakuiert.

Viel dramatischer ist die Lage jedes Jahr am Oberlauf des Mississippi, in Minnesota, Iowa, Illinois und Missouri. Es ist viel schwerer zu kalkulieren, wo jeweils die Hauptgefahr auftritt. Das hängt davon ab, wo wie viel Schnee zuerst schmilzt und wie viel Regen parallel fällt. Und die Vorwarnzeit ist dann viel geringer als am Unterlauf, wo man sich tagelang vorbereiten kann.

Ein Brennpunkt 2011 war das Städtchen Cairo in Illinois. Es liegt auf einer Landzunge an der Mündung des Ohio in den Mississippi und hat 2831 Einwohner, zwei Drittel davon Afroamerikaner. Um Cairo vor der Überflutung zu retten, wurde vor wenigen Tagen ein Damm gesprengt – im Wissen, dass in der Folge Tausende Hektar fruchtbares Ackerland im angrenzenden Kentucky überschwemmt würden. Der Interessenkonflikt, was Vorrang hat – Häuser und Besitz der zum Großteil schwarzen Einwohner von Cairo oder die Ernte der weißen Farmer – ging durch mehrere Gerichtsinstanzen. Nun wird der Steuerzahler den Farmern viele Millionen Dollar Entschädigung zahlen.

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