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Eine Mehrheit der Autofahrer ist überzeugt, dass der Diesel an Bedeutung verlieren wird.

© Julian Stratenschulte, dpa

Abgas-Affäre: Diesel auf der Resterampe

Händler werden Gebrauchte nicht los und zögern bei der Inzahlungnahme. Kunden sind verunsichert und warten die weitere Entwicklung des Diesel-Themas ab.

Als guter Mercedes-Kunde fühlt sich Arnold Cramer (Name geändert) seit dem Diesel-Skandal betrogen. Der 72-Jährige fährt die Marke mit dem Stern seit Jahren. Drei E-Klasse-Modelle hat er schon in der Mercedes-Niederlassung am Berliner Salzufer gekauft. Man kennt sich, über den Service konnte Cramer nicht klagen. Bis zum Herbst 2016. Da erlebte der Berliner merkwürdig Dinge, als er versuchte, seinen drei Jahre alten Euro5-Diesel in Zahlung zu geben. Eigentlich wollte er einen neuen Benziner. Doch dazu kam es nicht. Heute sagt er: „Ich kaufe nie wieder einen Mercedes.“

Hersteller behaupten, Restwerte bleiben stabil

Denn der Autohändler tat alles, um dem treuen Kunden das Gefühl zu geben, dass sein gebrauchter Diesel auf dem Hof des Autohauses nichts zu suchen hatte. Ein Bewertungsgutachten, das man am Salzufer für das Auto erstellte, wurde Cramer vorenthalten, ein Verkäufer war plötzlich für Wochen unerreichbar, Nachfragen des Kunden blieben unbeantwortet. „Die hatten offensichtlich keinerlei Interesse an meinem Fahrzeug.“

Weil der Diesel unverkäuflich war? Weil er wegen zu hoher Stickoxid-Emissionen auf der Straße zu stark an Wert verloren hatte? „Wenn das so sein sollte, wären wir als Ihre Kunden doppelt betrogen“, beschwerte sich Cramer in einem Brief. „Zum einen haben Sie uns ein Fahrzeug verkauft, das bei weitem mehr Umweltschäden anrichtet, als ausgewiesen. Zum anderen haben wir nun den finanziellen Schaden, wenn wir dieses Fahrzeug in Zahlung geben wollen.“ Am Ende behielt Cramer seinen alten Mercedes. Der hektische Versuch des Autohauses scheiterte, ihn davon zu überzeugen, dass bei Diesel-Modellen von Mercedes alles in bester Ordnung und gebrauchte Fahrzeuge keineswegs unverkäuflich seien.

Wie Arnold Cramer geht es vielen Autobesitzern, egal, welche Marke sie fahren. Wer einen älteren Diesel verkaufen will, fragt sich, was noch zu holen ist, seit die Motoren unter Verdacht stehen, Dreckschleudern zu sein. Die Hersteller behaupten unisono, die Restwerte für gebrauchte Diesel blieben stabil. „Aller gezielten Skandalisierung zum Trotz“, wie BMW-Chef Harald Krüger unlängst hinzufügte. Tatsächlich zeigen aktuelle Daten des Marktbeobachters Deutsche Automobil Treuhand (DAT), dass die Diesel-Gebrauchtwagenpreise nicht flächendeckend gefallen sind. Aber es kann keine Rede davon sein, dass die Welt der Dieselfahrer in Ordnung ist.

Jeder Vierte verschiebt den Autokauf

So will laut DAT jeder fünfte sein Fahrzeug möglichst schnell loswerden, um Wertverluste oder drohende Fahrverbote zu vermeiden. Jeder vierte Autofahrer verschiebt den Autokauf, um die weitere Entwicklung rund um das Diesel-Thema abzuwarten. 60 Prozent erwarten, dass der Diesel an Bedeutung verlieren wird. In den Autohäusern bleiben gebrauchte Diesel länger auf dem Hof stehen. DAT zufolge waren es zuletzt im Schnitt 98 Tage pro Jahr (Benziner: 89) – im Juni 2016 lagen Diesel und Benziner noch gleichauf bei 81 beziehungsweise 80 Tagen. „Die Kunden zögern, die Kosten steigen beim Handel“, schlussfolgert DAT. Gleichzeitig wechselten vor allem private Autokäufer von gebrauchten Dieseln zu Benzinern, was deren Preise steigen lässt. „Kunden müssen für Benziner tiefer in die Tasche greifen“, meldet in dieser Woche auch das Online-Gebrauchtwagenportal Mobile.de. Zuletzt seien 50000 Benzin-Modelle weniger im Angebot gewesen als vor einem Jahr, gleichzeitig seien die Preise um 6,3 Prozent gestiegen. Einen generellen Preisrutsch bei gebrauchten Diesel gebe es zwar nicht – aber einige große „Restpreis-Verlierer“, zum Beispiel die Mercedes C-Klasse, den VW Golf, oder den 3er- und 5er-BMW.

Höherer Beratungsbedarf

Berliner Autohäuser bestätigen diesen Trend. Bei Mercedes am Salzufer will man allerdings gar nichts zum Thema sagen und verweist auf den Konzern. Nach der Razzia der Staatsanwälte am Dienstag ist man nervös geworden. Einen „höheren Beratungsbedarf bei unseren Kunden“ stellt BMW-Niederlassungsleiter Philipp von Sahr beim Verkauf gebrauchter Diesel fest. Inzahlungnahmen seien kein Problem, sondern eher willkommen, um den Neuwagenverkauf anzukurbeln. Hier gehe der Trend aber vor allem bei kleineren Modellen wie dem 1er- oder 2er-BMW klar zum Benziner. „Die Kunden sind verunsichert“, sagt Sahr. Drohende Fahrverbote, die ungewisse Wertentwicklung – „viele warten ab“. 600 bis 700 Gebrauchte hat BMW in Berlin im Bestand, die meisten stehen zwischen einem und 90 Tagen auf dem Hof. Aber es gibt auch andere. „Nach spätestens 120 Tagen muss ein Gebrauchter weg“, sagt Sahr.

Das ist bei Volkswagen in der Franklinstraße nicht anders. Ein Fünftel der Gebrauchten auf dem Hof sei „Risikobestand“, sagt der zuständige Verkaufsleiter Matthias Schnur. Das bedeutet: maximal 90 Tage Standzeit. Im Durchschnitt komme die Niederlassung auf 48 Tage. Und: „Wer jetzt einen Beziner haben will, muss mehr zahlen.“ Schnur berichtet von „vielen Gesprächen mit den Kunden“ über die Zukunft des Diesels, die Blaue Plakette und anderes. „Es muss bald ein Zeichen von der Politik kommen.“

Das erwartet auch Arnold Cramer. Er hatte doppelt Pech. Seine Frau versuchte ebenfalls vergeblich, ihr Auto in Zahlung zu geben – einen VW Beetle. „Den nehmen wir nicht“, habe das VW-Autohaus erwidert, berichtet Cramer. Farbe und Motor des Beetle passten dem VW-Händler nicht – er war gelb und ein Diesel.

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