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Vielfalt am Arbeitsplatz. Berliner Unternehmen stellen immer mehr Azubis mit Migrationshintergrund ein, werben ausländische Fachkräfte an und wollen Türken als Kunden für sich gewinnen.

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Arbeitsmarkt in Berlin: Firmen umwerben Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund

Berliner Firmen setzen auf mehr Vielfalt: Sie stellen Azubis mit Migrationshintergrund ein, werben ausländische Fachkräfte an und wollen Türken als Kunden für sich gewinnen.

Von Carla Neuhaus

Mehmet Ergün redet gerne und viel. Egal, ob auf Deutsch, Türkisch, Kurdisch, Englisch oder Zazaisch, der Sprache seiner Verwandten im Osten der Türkei. „Dass ich so viele Sprachen spreche, hat mir im Leben schon viel geholfen“, sagt Mehmet. Jetzt will er das Reden zu seinem Beruf machen. Bei der Deutschen Bahn in Berlin wird er zum Kaufmann für Verkehrsservice ausgebildet. Er sagt am Gleis die einfahrenden Züge an oder beantwortet am Informationsschalter Fragen von Kunden. „Ich habe meinen Traumjob gefunden“, sagt Mehmet. Dabei wusste er vor zwei Jahren nicht, wie es weitergehen sollte.

Mehmet Ergün wird Kaufmann für Verkehrsservice.
Mehmet Ergün wird Kaufmann für Verkehrsservice.

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Der 22-Jährige ist in Kreuzberg aufgewachsen, seine Eltern stammen aus der Türkei. Mehmets Vater fährt in Berlin Taxi, seine Mutter, sagt er, „war Putze, jetzt ist sie Hausfrau, also arbeitslos“. Vor zwei Jahren hatte Mehmet gerade die Schule zum zweiten Mal abgebrochen und war auf der Suche nach Arbeit. Seine Beraterin im Jobcenter war es, die ihm vom Zukunftscamp der Deutschen Bahn erzählte – einem Workshop, mit dem der Konzern „Jugendliche mit Startschwierigkeiten“ unterstützt. Sie bekommen ein Bewerbungstraining und können sich danach bei der Deutschen Bahn für ein Praktikum oder eine Ausbildung bewerben. Bis jetzt haben 40 Prozent der Workshop-Teilnehmer eine Lehrstelle im Konzern bekommen. Auch bei Mehmet hat es geklappt. Birgit Reinhard, bei der Bahn fürs Diversity Management zuständig, nennt ihn „unser Best Practice Beispiel“.

Die Bundesregierung sieht Handlungsbedarf

Doch längst nicht jeder Jugendliche mit Migrationshintergrund hat so viel Glück wie Mehmet. „Nach wie vor besteht erheblicher Handlungsbedarf zur Verbesserung der Ausbildungschancen junger Menschen mit Migrationshintergrund“, heißt im Berufsbildungsbericht, den das Bundeskabinett gerade vorgelegt hat. Besonders schwer haben es demnach junge Menschen türkischer oder arabischer Herkunft. Dabei zeigt die Forschung immer wieder, dass Unternehmen erfolgreicher sind, wenn sie ihre Belegschaft divers aufstellen und zum Beispiel auch mehr Menschen mit Migrationshintergrund einstellen. „Nur diverse Unternehmen können Produkte für eine bunte Kundschaft herstellen“, sagt Aletta Gräfin von Hardenberg, Geschäftsführerin der „Charta der Vielfalt“, einer Initiative der Wirtschaft.

Mustafa Akca will mehr Türken in die Komische Oper locken.
Mustafa Akca will mehr Türken in die Komische Oper locken.

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Dazu passt, dass immer mehr Firmen versuchen, Menschen mit Migrationshintergrund als Kunden für sich zu gewinnen. Experten nennen das Ethnomarketing. So bemüht sich die Komische Oper in Berlin seit drei Jahren verstärkt um türkischstämmige Zuschauer. „Wir wollen ihnen die Angst vor der fremden Institution der deutschen Oper nehmen“, sagt Projektleiter Mustafa Akça, der sich selbst als „türkischstämmiger Gastarbeiter in dritter Generation“ bezeichnet. Regelmäßig besucht er zusammen mit Musikern des Ensembles  Berliner Begegnungsstätten, Migrantenorganisationen und Bildungseinrichtungen. Außerdem hat er 45 Kinder aus türkischstämmigen Familien in den Kinderchor der Oper geholt und sich dafür eingesetzt, dass die gesungenen Texte im Saal auch in türkischer Übersetzung eingeblendet werden.

Wie eine Softwarefirma um ausländische Fachkräfte wirbt

Als Fachkräfte sind Menschen mit Migrationshintergrund bereits jetzt für manch eine Firma unverzichtbar. Bei der Softwarefirma BTC, die Leitungssysteme für Strom, Gas und Wasser entwickelt, werden heute 30 Sprachen gesprochen. Das habe sich einfach so entwickelt, sagt Leszek Namyslowski, der gebürtig aus Polen kommt und die Berliner Geschäftsstelle leitet. „Bei uns gibt es eine Willkommenskultur“, sagt er. Das geht so weit, dass die Firma bei Bewerbungen über sprachliche Ungenauigkeiten hinwegsieht. Wer bei der Softwarefirma anfängt und kaum oder gar kein Deutsch spricht, bekommt einen Sprachkurs gesponsort. Auch Jing Zhou-Stellmacher hat ihn absolviert. Die 45-jährige Chinesin hat in Schanghai Informatik studiert. Mitte der 90er Jahre kam sie nach Deutschland, um hier ihre Diplomarbeit zu schreiben – und blieb, weil sie ihren Ehemann kennenlernte und BTC sie als Software-Entwicklerin einstellte. „Die Firma haben mir Freunde empfohlen“, sagt sie.

Jing Zhou-Stellmacher ist froh, dass ihrem Arbeitgeber Internationalität wichtig ist.
Jing Zhou-Stellmacher ist froh, dass ihrem Arbeitgeber Internationalität wichtig ist.

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Doch auch wer wie Jing Zhou-Stellmacher oder Bahn-Azubi Mehmet Ergün erfolgreich ins Unternehmen integriert wird, muss immer wieder mit Vorurteilen kämpfen. Mehmet merkt das zum Beispiel, wenn Kunden mit ihm betont langsam sprechen – als seien sie sich nicht sicher, ob er Deutsch spreche. Mehmet reagiert dann ganz gelassen. „Ich finde das nicht schlimm“, sagt er. Auch nicht, wenn die Kunden seine Aussprache verbessern. „Dadurch lern’ ich doch noch was“, sagt er.

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