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Wirtschaft: Auf die Reise

Eine Studie soll belegen, dass Deutschland mehr mit Touristen erwirtschaftet als mit dem Bau von Autos.

Berlin - Größer als die Autoindustrie, größer als der Maschinenbau und größer als das Bankwesen – der Tourismus ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren in Deutschland. 100 Milliarden Euro beträgt die Bruttowertschöpfung, also die Gewinne und Einkommen, die erwirtschaftet werden, abzüglich Vorleistungen. Ob Hotels oder Gaststätten, Einzelhandel, Museen, Tankstellen oder Fahrradverleiher – überall bringen Touristen Geld in die Kassen, wie eine Studie ergibt, die am Freitag im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin vorgestellt wurde.

Die Untersuchung ist die erste vollständige Analyse der Tourismusbranche seit mehr als zehn Jahren. „Deutschland hat sich immer als ein Industrieland begriffen. Aber tatsächlich ist es auch ein Reiseland“, fasste Ernst Burgbacher (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und Regierungsbeauftragter für Tourismus, die Ergebnisse zusammen. Auch Klaus Laepple, der Präsident des Bundesverbandes Deutsche Tourismuswirtschaft (BTW), ist sichtlich erfreut über den Stellenwert seiner Branche. „Jetzt können wir endlich eindrucksvoll belegen, wie groß wir tatsächlich sind.“

Und es wird noch besser. Zwar liegen noch nicht alle Zahlen vor, doch für das abgelaufene Jahr rechnet BTW-Präsident Laepple damit, dass der Tourismussektor um rund vier Prozent zugelegt hat.

Die Zahlen sind deutlich: Die Branche erzielte zuletzt 4,4 Prozent der Bruttowertschöpfung der Bundesrepublik. Bezieht man auch Leistungen ein, die indirekt mit dem Tourismus zusammenhängen, wie beispielsweise der Betrieb von Flughäfen, Catering für Airlines und Handwerker, die ein Hotel renovieren, kommt der Tourismussektor sogar auf 214,1 Milliarden Euro. Das sind 9,7 Prozent der gesamten Bruttowertschöpfung.

Auch die Beschäftigtenzahlen der Branche sind auf den ersten Blick eindrucksvoll. Fast drei Millionen Menschen sind in Deutschland direkt im Tourismussektor beschäftigt, indirekt sogar fast fünf Millionen. Doch die Zahlen trügen. Nur ein Drittel befinde sich in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis, räumte Laepple ein. Etwa zwei Millionen Menschen in der Branche stecken dagegen in geringfügigen Beschäftigungen (siehe Interview). Die Beschäftigungszahlen in der Branche lägen deutlich höher als in vergleichbaren Branchen, sagte Gert G. Wagner, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), das die Studie erstellt hat. „Es könnte sein, dass die hohe Zahl der Beschäftigten in der Tourismusbranche auf die niedrigen Gehälter zurückzuführen ist.“

Das Neue an der Studie ist, dass erstmals alle touristischen Einnahmen erfasst werden und nicht nur die Anzahl der Übernachtungen und der An- und Abreisen. Da der Tourismus viele Branchen betreffe, sei es schwierig zu berechnen, wie hoch die Wertschöpfung insgesamt sei, sagte DIW-Chef Wagner.

Durch Hochrechnungen und Befragungen von Touristen kann nun ein Gesamtbild der Tourismusindustrie gezeichnet werden. Insgesamt ließen alle in- und ausländischen Touristen und Geschäftsreisende 278,3 Milliarden Euro im Land. 62,8 Milliarden Euro davon gaben sie für Souvenirs oder beim Shopping im Einzelhandel aus.

Das Gaststättengewerbe generierte der Untersuchung zufolge 85 Prozent seines Umsatzes durch Touristen, das sind 50 Milliarden Euro. 25 Milliarden Euro bezahlten die Deutschland-Urlauber für Treibstoff, fast elf Milliarden für Lebensmittel. Deutlich wurde zudem, dass Deutschland das liebste Reiseland der Deutschen ist. Ausländische Besucher haben nur einen Anteil von 13 Prozent der gesamten touristischen Ausgaben.

Die Studie scheint auch ein Anlass für die Tourismusbranche zu sein, sich neu zu positionieren. BTW-Präsident Laepple stellte sogleich Forderungen an die Politik. Die Studie belege, dass jeder achte Arbeitsplatz hierzulande vom Tourismus abhängig sei. Eine so starke Branche verdiene Respekt anstelle immer neuer Belastungen, die Belastungsgrenze sei erreicht. Ob das so sei, darüber gebe die Studie allerdings keine Auskunft, sagte Wagner.

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