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Küche statt Karriere: Millionen Frauen sind in Deutschland nicht berufstätig. Sie bleiben zu Hause, weil sie keinen Kita- oder Hortplatz für ihre Kinder finden und weil sich die Arbeitszeiten nicht mit der Familie vereinbaren lassen.

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Karriere statt Küche: Bundesregierung will Mütter in den Beruf zurückholen

Rund 6,3 Millionen Frauen zwischen 20 und 64 Jahren sind in Deutschland nicht berufstätig. Angesichts des Fachkräftmangels will die Bundesregierung besonders Mütter in den Beruf zurückholen.

Tanja Busch hat Karriere gemacht. Die heute 41-Jährige fing 1986 bei Schröder Galvanik in Berlin als Azubi an. Inzwischen ist sie Inhaberin des Unternehmens, das Oberflächen in Handarbeit beschichtet. Busch ist alleinerziehende Mutter. Ihre drei Kinder, zehn, 14 und 15 Jahre alt, gehen auf eine private Ganztagsschule, zu der auch ein Hort gehört. „Ohne diese lange Ganztagsbetreuung hätte ich nicht Vollzeit arbeiten können“, sagt Busch. In den Schulferien musste sie die Kinder manchmal mit ins Büro nehmen oder auch bisweilen nachts arbeiten. „Ich hätte mir eine bessere Unterstützung von den Behörden gewünscht“, sagt die Unternehmerin.

Rund 6,3 Millionen Frauen zwischen 20 und 64 Jahren sind in Deutschland nicht berufstätig – viele mit mittlerer oder hoher Qualifikation. Die Erwerbstätigenquote liegt deutlich unter 70 Prozent und damit beträchtlich unter der der Männer. Knapp die Hälfte der Frauen arbeitet Teilzeit und hat mit durchschnittlich 18,1 Stunden die niedrigste Wochenarbeitszeit aller EU-Länder.

Angesichts des Fachkräftmangels will die Bundesregierung dieses Potenzial künftig besser ausschöpfen und besonders Mütter in den Beruf zurückholen. Das geht aus dem Entwurf für das „Konzept Fachkräftesicherung“ hervor, der dem Tagesspiegel vorliegt. Das von acht Ministerien ausgearbeitete Papier, das am Mittwoch im Kabinett diskutiert werden soll, rechnet die Lücke an Arbeitskräften bis 2025 hoch und erörtert Möglichkeiten, diese zu schließen. Bis 2025, so die Grundannahme der Studie, werden hierzulande 6,5 Millionen Arbeitskräfte fehlen.

Bei den Frauen sieht die Regierung „das größte und am schnellsten zu aktivierende Fachkräftepotenzial im Inland“. 1,2 Millionen nicht erwerbstätige Mütter könnten dem Papier zufolge in den Beruf zurückkehren, wenn die Betreuung verbessert und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtert würde. Eine halbe Million Mütter mit jüngstem Kind zwischen sechs und 16 Jahren hält die Regierung sogar für „kurzfristig mobilisierbar“. Sie seien gut qualifiziert und hätten Berufserfahrung.

Viele Mütter wollen einer Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach zufolge auch zurück in den Beruf. 37 Prozent der Mütter ohne Job wären gerne berufstätig, 34 Prozent der Frauen mit Teilzeitjob möchten gerne mehr arbeiten. Doch die Familien klagen über zu wenige Betreuungsangebote und unflexible Arbeitszeiten, wünschen sich mehr Unterstützung durch den Staat bei den Betreuungskosten, mehr Betreuung während der Schulferien und überhaupt mehr Ganztagsschulen.

Doch wie soll es gelingen, die Mütter in den Beruf zurückzuholen? Die Bundesregierung verweist in ihrem Papier neben der Ausweitung der Kitaplätze und der Ganztagsschulen sowie dem Elterngeld vor allem auf die Stärkung von Netzwerken wie den lokalen Bündnissen, in denen etwa Kommunen, Vereine und auch Unternehmen zusammenarbeiten, um Familien zu entlasten.

Hans Bertram, Professor und Leiter des Lehrstuhls für Mikrosoziologie an der Humboldt Universität zu Berlin, findet, dass das nicht reicht. „Wir brauchen die flächendeckende Ganztagsschule, dafür müssen Kommunen und Länder Geld bereitstellen“, sagt Bertram. Bisher sei weder das reiche Bayern noch das arme Berlin dazu bereit. „Deutschland ist bei den Ganztagsschulen im europäischen Vergleich ein Nachzügler“, sagt Bertram. Zudem biete der Staat zu wenig Anreize für Teilzeitarbeit, kritisiert Bertram. „Durch die hohen Sozialabgaben lohnt sich für viele Mütter eine halbe Stelle kaum.“ Doch nicht nur der Staat, auch die Unternehmen seien gefordert, indem sie die Arbeit flexibler organisieren. „Die Jobs müssen zu den Müttern kommen“, sagt der Berliner Wissenschaftler.

Die Mobilität, die der heutige Arbeitsmarkt verlange, sei für viele Frauen kaum zu leisten, Pendeln und häufige Umzüge seien schwer möglich. „In den USA etwa verlegen Firmen Büros in die Vorstädte, um näher an den Arbeitskräften zu sein“, sagt Bertram. Zudem müssten die Firmen die Arbeitszeit freier gestalten und zum Beispiel die Heimarbeit stärken. „Die deutschen Unternehmen müssen sich von der Präsenzkultur verabschieden“, meint Bertram.

Die meisten Mütter suchen der Allensbach-Studie zufolge eher eine Teilzeitstelle mit rund 30 Stunden als eine Vollzeitanstellung. „Das hat auch mit den tradierten Rollenbildern zu tun“, sagt Michael Sommer, Projektleiter bei Allensbach. So sei die Zahl der Frauen, die Vollzeit arbeiteten, im Osten Deutschlands deutlich höher – trotz höherer Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern. „Der Ausbau der Infrastruktur ist zwar wichtig, reicht aber nicht aus. Wir brauchen auch einen stärkeren Wandel in den Köpfen“, sagt Sommer.

Henrike von Platen, Präsidentin des Frauenverbands „Business and Professional Women Germany“, sieht hier neben dem Staat auch die Medien in der Verantwortung. „Es ist wichtig, dass in Werbung und Fernsehen stärker moderne Rollenbilder auftauchen, dass auch mal eine Frau im Spielfilm die Oberärztin ist“, sagt sie. Zudem sei neben mehr Betreuungsangeboten auch eine Angleichung der Bezahlung von Männern und Frauen ein wichtiger Schritt.

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