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Wirtschaft: Der süßeste Schwarzmarkt der Welt

Von Barbara Carton Auf einem der süßesten Schwarzmärkte der USA mischen gutherzige Großmütter mit. Eine von ihnen ist die Versicherungsvertreterin Deb Nelson.

Von Barbara Carton

Auf einem der süßesten Schwarzmärkte der USA mischen gutherzige Großmütter mit. Eine von ihnen ist die Versicherungsvertreterin Deb Nelson. Jedes Jahr kauft sie rund 1600 geschmuggelte Kinderüberraschungseier und verschenkt sie großzügig an ihre Arbeitskollegen und Enkel. Jedes Mal, wenn die vier Enkel zu Besuch sind, schreien sie nach „kinder“, wie die Schokolade in den USA heißt. Auch Immobilienmaklerin Janes Whitaker sorgt dafür, dass sie für ihre Enkelkinder das illegale Naschwerk immer vorrätig hat. „Wenn sie sich weh tun oder traurig sind, dürfen sie sich ein Überraschungsei nehmen“, sagt sie.

Die beliebte Schokolade des italienischen Süßwarenherstellers Ferrero ist fast überall auf der Welt zu haben. Die hohlen Eier mit dem billigen Spielzeug aus Plastik oder Holz gehören zu den erfolgreichsten Marken der Welt überhaupt. Neben Coca-Cola und Marlboro zählen Kinderüberraschungseier zu den 43 internationalen Marken mit einem Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro, wie das Marktforschungsunternehmen AC Nielsen ermittelt hat.

Doch während die Überraschungseier in hundert Ländern legal sind, verbietet der amerikanische Staat den Verkauf. Der Grund: Kinder könnten an den Spielzeugen ersticken, heißt es bei der US-Behörde für die Sicherheit von Konsumgütern. Auch die US-Gesundheitsbehörde FDA hat den Verkauf der Schokoladeneier untersagt. Sie stuft die daumengroßen gelben Plastikeier als „embedded nonfood items“ ein. In den USA dürfen Lebensmittel nicht direkt mit nicht-essbaren Dingen verbunden sein.

Ferreros Verdruss

Doch manch Amerikaner ist im Ausland auf den Geschmack von Kinderüberraschungseiern gekommen und will sie daheim nicht missen. Daher besteht in den USA seit vielen Jahren ein Schwarzmarkt für die Schokoladeneier. Früher haben in erster Linie ethnische Lebensmittelgeschäfte die verbotenen Süßigkeiten verkauft und immer mal wieder Polizeirazzien erleben müssen. Seit reichlich einem Jahr ist der ehemals überschaubare Schwarzmarkt ausgeufert. Dank des unkomplizierten Internethandels sind Überraschungseier zum Boom geworden – und zum lukrativen Geschäft für Händler. Während die orange-weiß verpackten Eier in anderen Ländern um die 50 Cents kosten, verlangen die Internethändler 80 Cents bis zwei Euro pro Ei.

Kein Wunder also, dass es unzählige WebHändler für die Schoko-Eier gibt. 74 Händler listete das Online-Auktionshaus Ebay kürzlich an einem Tag auf. Eine neue Website preist „Kinders Shipped to Anywhere in the World!“, eine andere erklärt dem Ei-Liebhaber „Your Search ist Finally Over". Einer der Online-Händler ist der Kanadier Jim MacKenzie mit seiner Website kinder-eggs.com. Er kann vom Eier-Export in die USA „bequem“ leben, sagt er. Genauere Angaben über seinen Verdienst will er nicht machen. MacKenzie hat 3600 Kundenadressen in seiner E-Mail-Adressendatei. Er verkauft täglich 100 Kisten à 24 Eier. Eine Kiste kostet 22,95 Dollar. Zu Weihnachten und Ostern ist die Nachfrage so groß, dass er zusätzliche Mitarbeiter für das Verpacken anheuern muss.

Wie viele Eier über MacKenzie und andere Händler in die USA gelangen, weiß man nicht. „Wir überwachen das nicht“, sagt der Vorstandschef von Ferrero USA, Martino Caretto. Froh ist er über den „Missbrauch“ der Marke „Kinder Überraschung“ auf Websiten wie der von MacKenzie nicht. Aber „man bekommt das nicht in den Griff“, sagt er. „Die Händler erscheinen und verschwinden und tauchen wieder auf. Man weiß nicht, ob es die selben Leute sind oder nicht“, sagt Caretto.

Warum sind Überraschungseier in den USA verboten? Das Gesetz von 1938 untersagt Süßigkeiten mit „embedded nonfood items“. Gemeint sind Süßigkeiten, in die andere, nicht-essbare Produkte eingeschlossen sind. Das Verbot gilt nicht, wenn diese Beiprodukte eine Funktion haben wie etwa Lutscherstiele.

Der US–Ferrero-Chef Caretto findet das Verkaufsverbot für Kinderüberraschungseier unsinnig, weil das Spielzeug mit der Schokolade nicht verbunden sei, sondern im Ei herumrassele. Außerdem seien die Figürchen im Ei nicht gefährlicher als ebenso großes Spielzeug, das allein verkauft wird. „Kinder können sich mit Lego-Steinen ebenso verletzten wie mit Kinderüberraschungseiern“, sagt er.

Die US-Gesundheitsbehörde FDA kann die Ferrero-Eier beschlagnahmen, muss es aber nicht. Die Mitarbeiter der FDA können „nach eigenem Ermessen“ die Einfuhr von verbotenen Gütern erlauben, wenn sie der „Menge und dem Zweck nach eindeutig für den persönlichen Gebrauch“ bestimmt sind. Die Behörde verschwende nicht kostbare Ressourcen für die Verfolgung „kleiner Großmütter“, sagt eine Sprecherin der FDA.

Theoretisch kann ein Importeur rechtlich belangt werden, wenn er das Einfuhrverbot missachtet. Doch das ist im Fall von Kinderüberraschungseiern noch nicht passiert. Die Umstände müssten schon „wirklich ungeheuerlich" sein, bevor die Gesundheitsbehörde jemanden vor Gericht stelle, sagt die FDA–Sprecherin. Kommerziellen Importeuren droht eine Geldstrafe bis zu 1,65 Millionen Dollar, sagt Alan H. Schoem von der Behörde für die Sicherheit von Konsumgütern. Doch sei die Behörde für ausländische Unternehmen nicht zuständig. Außerdem schreite die Behörde nicht beim Verkauf von „ein oder zwei Eiern an einzelne Verbraucher“ ein, sondern nur beim Import großer Mengen, die für den Wiederverkauf in den USA bestimmt sind.

Unfälle mit Kinderüberraschungseiern gab es allerdings schon. 1985 erstickte in Nordirland ein dreijähriger Junge an einem Lastwagen aus einem Überraschungsei. 1989 starb in Großbritannien ein dreijähriges Mädchen, nachdem es den Fuß eines Panhers verschluckt hatte. Wegen dieser Unfälle gab es – vor allem in Großbritannien – Forderungen nach einem Verbot wie in den USA. Ferrero weist übrigens auf die Gefahr seiner Spielzeuge für Kleinkinder hin. In jedem Überraschungsei steckt ein Zettel, das in vielen Sprachen davor warnt, das Spielzeug Kleinkindern zu geben.

Pfiffiger Inhalt

Von Anfang an – als Fererro die Eier vor 30 Jahren als Osterei auf den Markt brachte – begeisterte in erster Linie das Spielzeug die Käufer. Es sei die Technik gewesen, die es ihr angetan habe, sagt der Amerikaner Jerry Woods. Seine Sammlung der Figuren und Spielzeuge aus den Eiern umfasst schon mehr als 6000 Stücke. Seine Lieblinge: eine Kuckucksuhr, aus der ein Vogel herausspringt, wenn man an den winzigen Gewichten zieht. Ein funktionierendes Miniatur-Mikroskop. Und eine Wetterstation, deren Figuren sich mit wechselndem Luftdruck bewegen. „Sie sind so raffiniert“, sagt die New Yorkerin Jaime Herbeck über die Spielzeuge, die sie während eines Studienjahres in London kennenlernte. Damals kaufte sie jeden Tag mehrere Eier und brachte es zu einer großen Sammlung.

Die Eier haben weltweit einen Kult ausgelöst. Es gibt Hunderte von Sammlerklubs und zahlreiche Kataloge. Einige frühe oder einzigartige Versionen der Kinderüberraschungs-Figürchen sind so selten, dass sie einen hohen Wert haben. So geben Sammler für handbemalte ägyptische Pharaone 700 Dollar pro Stück aus. Und damit die Spielzeugliebhaber die ganze Schokolade auch verwerten können, gibt es sogar Rezepte für „Kinderüberraschungstorten".

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