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In Baden-Württemberg, da, wo die IG Metall am stärksten ist, wird der Tarifkonflikt 2012 entschieden. Als Verhandlungsführer der Gewerkschaft agiert Jörg Hofmann, der seit 2003 den Bezirk im Südwesten leitet. Hofmann, studierter Ökonom und Soziologe, ist ein Tariffuchs. Mit massiven Warnstreiks will er die Arbeitgeber in den kommenden Wochen zu einem Kompromiss bewegen. Die IG Metall fordert unter anderem 6,5 Prozent.  Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Wirtschaft: „Die Arbeitgeber tanzen auf brüchigem Eis“

Jörg Hofmann, Verhandlungsführer der IG Metall, über Geld, die Übernahme von Azubis und Arbeitgeber in der Rolle des Patrons.

Herr Hofmann, haben Sie schon Pläne für Pfingsten?

Nein, im Moment bin ich da noch ganz offen. Aber zur Sicherheit habe ich schon mal für alle IG-Metall-Mitarbeiter im Bezirk eine Urlaubssperre vereinbart, falls uns die Arbeitgeber nach Pfingsten in einen Arbeitskampf zwingen sollten.

Das ist bitter, denn die Pfingstferien in Baden-Württemberg dauern zwei Wochen und werden gerne für Reisen genutzt.

Wir sind auf alle Eventualitäten vorbereitet. Auch einen längeren Konflikt.

Sie haben einen Arbeitskampf angekündigt, wenn es bis Pfingsten keinen Kompromiss gibt. Immerhin haben die Arbeitgeber bislang ein erstes Angebot vorgelegt – da geht doch was.

Die Metall- und Elektroindustrie, gerade auch bei uns im Süden, boomt ohne Ende. Manche Arbeitgeber haben offensichtlich noch nicht verstanden, dass die Branche einen Arbeitskampf in dieser Situation überhaupt nicht brauchen kann. Sonst würden wir nicht so viel Zeit ohne ein verhandlungsfähiges Angebot der Arbeitgeber verplempern. Was sie jetzt vorgelegt haben trägt nicht zur Lösung bei, sondern vertieft die Gräben.

Drei Prozent sind nicht so schlecht.

Das Angebot gilt für 14 Monate. Aufs Jahr gerechnet bleiben nur 2,5 Prozent übrig, das gleicht gerade mal die Preissteigerung aus. Das würde die Beschäftigten ein weiteres Jahr vom Aufschwung abkoppeln. Was zusätzlich an Produktion und Produktivität erwirtschaftet wird, wollen die Arbeitgeber allein einsacken. Eine faire Beteiligung der Beschäftigten ist das nicht. Gleichzeitig nehmen die Arbeitnehmer die goldenen Bilanzen wahr, die derzeit überall veröffentlicht werden.

Deshalb haben die Arbeitgeber mehr Geld geboten und sich auch zu Ihren anderen Forderungen, nämlich unbefristete Übernahme von Ausgebildeten und mehr Mitbestimmung beim Einsatz von Leiharbeitnehmern, geäußert. Damit ist die Grundlage für einen Kompromiss gelegt.

Das sehe ich nicht. Die Geldkomponente ist völlig unzureichend. Bei den beiden anderen Themen tut sich gar nichts. Wir verhandeln das nächste Mal am 8. Mai. Und wenn in den nächsten Verhandlungen keine Lösung in Sicht ist, werden wir die Rote Karte ziehen.

Gesamtmetall-Chef Kannegiesser warnt vor dem Eis, auf dem der Esel tanzt, wenn es ihm zu wohl wird.

Den Eindruck habe ich gerade in der Tat von den Arbeitgebern. Das Eis, auf dem sie tanzen, ist bei dieser hervorragenden konjunkturellen Situation ziemlich brüchig. Da ist keine Zeit für weitere Pirouetten. Wir müssen das Ufer erreichen.

Die Autoindustrie verdient prächtig, aber das lässt sich nicht von allen Metall- und Elektrofirmen sagen. Ihr Chef Berthold Huber betont auch die immer größeren Unterschiede zwischen den einzelnen Branchen und Unternehmen.

Auch der Maschinenbau verdient sehr gut. Der Elektronikindustrie geht es in weiten Bereichen hervorragend. Alles in allem verdient die Investitionsgüterindustrie prächtig. Das ist doch alles keine Armutsveranstaltung.

Wenn Sie im reichen Südwesten einen Abschluss machen, muss der aber für die ganze Republik passen.

Das berücksichtigen wir, indem wir nicht mit regionalen Zahlen operieren, sondern die gesamtwirtschaftliche Entwicklung im Blick haben.

Die Leute wollen mehr Geld und sollen das auch kriegen. Warum erschweren Sie eine Lösung, indem Sie die unbefristete Übernahme von Azubis im Forderungskatalog haben – zumal doch sowieso fast jeder übernommen wird?

Die Azubis werden zu oft nur befristet übernommen. Ich halte das für ein Unding, dass der Arbeitgeber allein entscheiden kann, ob man die jungen Leute noch mal zwölf Monate auf Probe beschäftigt, ohne Kündigungsschutz und ohne Mitbestimmung des Betriebsrates darüber, was danach passiert. Es geht uns um die Frage, wie man in unserer Arbeitsgesellschaft miteinander umgeht. Die paternalistische Parole „Ich entscheide, wer hier weiter arbeitet und wen ich rauswerfe!“ mag zum Selbstverständnis manches Arbeitgebers gehören, aber zeitgemäß ist das nicht.

Ein rationaler Arbeitgeber wird künftig weniger ausbilden, um den Übernahmezwang besser verkraften zu können.

Die können weiter entscheiden, wie viel sie ausbilden. Und wenn ein Betrieb über Bedarf ausbildet, dann werden wir selbstverständlich auch in Zukunft Ausnahmen haben. Ausbildung geht auch in Zukunft vor Übernahme. Im Kern geht es den Arbeitgebern um die Rolle des Patrons: „Ich möchte über die Person entscheiden, und Mitbestimmung und Kündigungsschutz sind eh des Teufels.“

Arbeits- und Ausbildungsplätze liegen „allein in der Verantwortung des haftenden Arbeitgebers“, argumentiert Kannegiesser.

Ich halte das für unverantwortlich, wie gerade Kannegiesser in den letzten Monaten eine Kampagne losgetreten hat. Zum Beispiel mit dem Stichwort „Verbeamtung“ der Ausbildung. So ein Blödsinn. Am Ende muss er seine Leute von den Bäumen holen, denn ohne eine Lösung kommen wir nicht aus dem Thema raus.

Was ist für die Arbeitgeber schwerer zu schlucken – die Azubiübernahme oder die Mitbestimmung bei der Leiharbeit?

Das hängt von den Firmen ab, die jetzt schon ganz unterschiedlich mit den beiden Themen umgehen. Die Leiharbeit wird gegenwärtig rationaler diskutiert, ist aber vermutlich noch schwerer zu lösen als die Azubiübernahme.

Weil es darauf hinausläuft, dass die Leiharbeitnehmer teurer werden und die Betriebsräte über deren Einsatz mitbestimmen.

Teurer wird es auf jeden Fall – warum sollten wir auch die Leiharbeit bei uns anders honorieren als in unseren Nachbarländern? Machen es die Tarifparteien nicht, macht es die Politik. Und was die Mitbestimmung anbelangt: Wir haben in den vergangenen Jahren die Flexibilität der Betriebe enorm gesteigert, zum Beispiel über Arbeitszeitkonten. Die Gegenleistung war Beschäftigungssicherung. Das Thema Flexibilität muss verhandelbar sein – und zwar für alle, also auch die Leiharbeitnehmer, indem die Betriebsräte mitbestimmen und den Weg in die Zwei-Klassen-Belegschaft stoppen.

Interessiert sich die Basis der IG Metall überhaupt für Azubis und Leiharbeiter oder will die nicht schlicht mehr Geld?

Eben nicht. Jeder Facharbeiter hat Kinder und beobachtet sehr genau, was mit denen nach der Ausbildung passiert. Das Gleiche gilt für die Leiharbeiter. Jeder kennt vom eigenen Arbeitsplatz oder aus der Verwandtschaft und Bekanntschaft das Schicksal derer, die heute als Leiharbeiter beschäftigt sind. Die haben unsichere Jobs und sind schlecht bezahlt. Das steckt ganz tief drin in den Leuten.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

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