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Antrieb für die Lüfte. Im Werk von Rolls-Royce in Dahlewitz arbeiten 2200 Mitarbeiter an Triebwerken und offenen Rotoren.

© Rolls-Royce

Luft- und Raumfahrt: Düsentrieb in Dahlewitz

Im Süden Berlins wächst die Angst vor Fluglärm – und mit ihr eine Industrie, die nach einer technischen Lösung für das Problem sucht.

Wenn die 20-jährige Ulrike Witt ihre Eltern besucht, fährt sie zunächst unter einem Banner hindurch, das quer über die alte Hauptstraße gespannt ist: „Kein Südabflug über Rangsdorf!“, steht da. Rangsdorf, direkt am südlichen Berliner Autobahnring A10 gelegen, wird sehr wahrscheinlich in der Abflugschneise des neuen Großflughafens liegen. Ab Juni dürfte es also laut werden.

Nun könnte Witt ihre Eltern in der örtlichen „Bürgerinitiative Schallschutz“ unterstützen. Aber sie packt das Problem lieber tief bei der Wurzel an: Sie fährt täglich ins Nachbardorf Dahlewitz und arbeitet daran, dass Flugzeuge insgesamt leiser und sauberer werden. „Am Ende bringt das vielleicht mehr“, hofft sie. Gut 80 Prozent des Lärms, den ein Flieger produziert, entsteht in den Triebwerken unter den Tragflächen.

Auch darum hat Ulrike Witt direkt nach dem Abitur in diesem Jahr als Bachelor-Studentin beim Triebwerkshersteller Rolls-Royce angeheuert. „Das war immer mein Traum“, sagt sie. Ihr mag man so einen Satz glauben, so wie sie von frühesten Kindheitserinnerungen erzählt: Wie der Spaziergang mit ihrer Mutter sie oft vor das Werkstor mit dem „RR“-Logo führte. Sie wuchs mit Rolls-Royce auf: 1992, da trug Witt noch Windeln, hatte der britische Industriekonzern als einer der ersten nach der Wende ein größeres Werk auf die grüne Wiese vor Berlin gestellt – damals noch in Kooperation mit BMW. Die Münchner sind längst ausgestiegen, das Werk aber ist gewachsen, beschäftigt heute 2200 Mitarbeiter aus aller Welt, 800 davon hochqualifizierte Ingenieure.

Einige davon überwachen in einem Kontrollzentrum in Dahlewitz live per Satellit 5000 Triebwerke, die das Unternehmen bereits ausgeliefert hat. Taucht während eines Fluges ein Problem auf, erfahren sie es fast zeitgleich mit dem Piloten und können fachliche Hilfe leisten. Andere forschen im neuen Test-Center an innovativen Materialien, etwa mithilfe eines mehr als drei Meter hohen Stahlrings, den sie „Stargate“ nennen. In seiner Mitte kann man kleine Teile einspannen, um sie testweise mit bis zu 500 Kilonewton – das entspricht 51 Tonnen – zu belasten.

So kamen in Dahlewitz über die Jahre immer neue Abteilungen dazu, im Frühjahr folgt ein Logistikzentrum. Dass Rolls-Royce in dem Ort stetig weiter wächst, liegt auch am Umfeld: Gut 20 Firmen der Luft- und Raumfahrtbranche sitzen in unmittelbare Nähe (siehe Kasten). Darunter kleine, wie die Reuter GmbH, die in Luckenwalde Stahlbolzen und -kränze als Einzelanfertigung oder in Serie dreht, aber auch Weltkonzerne wie MTU Aero Engines – neben Rolls-Royce, Pratt & Whitney und GE einer der vier großen Triebwerkshersteller am Weltmarkt. MTU hat ein Wartungswerk in Ludwigsfelde, nur 16 Autobahnkilometer westlich von Dahlewitz.

16 Kilometer östlich, in Wildau, hat der ehemalige Rolls-Royce-Ingenieur Edmund Ahlers vor neun Jahren die Firma Anecom Aerotest aufgebaut. Auf dem Gelände einer ehemaligen Dampflokfabrik steht eine Halle, „wie es in dieser Dimension keine zweite gibt“, sagt er. Sie misst 1000 Quadratmeter in der Fläche, das entspricht fast der eines Olympiaschwimmbeckens, und ist zehn Meter hoch. Jeder Quadratzentimeter ist mit Keilen aus Schaumstoff verkleidet. Dazwischen stehen an Stangen im Halbkreis angeordnet und im Raum verteilt 25 Mikrofone: Es ist ein Tonlabor, in dem Hersteller die Klangcharakteristik ihrer Triebwerke oder Gasturbinen ausmessen können. Anecom testet auch einzelne Teile, zum Beispiel armlange Propellerschaufeln oder Kompressoren.

Selbst wenn man die Halle bei völliger Stille betritt, kann man sein eigenes Wort kaum verstehen, die Schritte kaum hören – weil der Raum den Schall fast restlos absorbiert. Eine sonderbare Erfahrung. Entwickler Ahlers wirkt in der Halle wie ein Junge auf seinem Riesenspielplatz. 58 Testkampagnen habe er hier schon durchgeführt, er kann aus dem Stegreif mehr als 30 Minuten ohne Pause über Klangdesign, Dezibel und Metallzuschnitt im Mikrometerbereich sprechen. So schaffte er seit 2002 fast 120 Jobs – und schenkte wohl schon manchem Flughafenanwohner etwas mehr Ruhe.

Die Mitarbeiter kann Ahlers bequem nebenan an der Technischen Hochschule Wildau rekrutieren, aber auch an der TU Berlin, wo derzeit 3500 Studenten am Institut für Luft- und Raumfahrt eingeschrieben sind. Der dortige Leiter, Professor Dieter Peitsch, lässt den Nachwuchs in den Katakomben Bauteile testen – im selbst konstruierten Luftkanal oder einer Kammer, unter höchstem Druck und bei 800 Grad. Ziel ist es zum Beispiel zu verstehen, wie Metallteile ihre Lautstärke verändern, die im Windstrom schnell erhitzen oder erkalten.

Rolls-Royce, wo die junge Ulrike Witt ihre Karriere jetzt begonnen hat, kooperiert mit 28 Universitäten weltweit. Der Konzern, der schon seit den 1970ern keine Autos mehr, dafür Triebwerke, Schiffsschrauben, Dampf- und Gasturbinen für Kraftwerke aller Art produziert, investierte in den zehn Jahren bis 2010 gut 9,3 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. „Da sind wir weltweit Spitze. Und jeder Euro war gut investiert“, behauptet Karsten Mühlenfeld, Mitglied der Geschäftsführung der Deutschlandtocher und Chefingenieur für kleine und mittelgroße Triebwerke. Anhand der letzten fünf Modelle aus seinem Hause zeigt er die messbaren Erfolge. In zehn Jahren konnte man den Treibstoffverbrauch – und damit den Kohlendioxidausstoß – um 20 Prozent senken, den Ausstoß von Stickoxiden gar um 80 Prozent. Und die Lärmemission sank zuletzt gegenüber einem im Jahr 2000 präsentierten Modell um die Hälfte.

„Nicht genug“, sagt Chefingenieur Mühlenfeld. Der europäische Verband der Luftfahrtforscher habe in seiner Vision 2020 noch ehrgeizigere Ziele formuliert. Das treibe manchen seiner Mitarbeiter zur Verzweiflung im Kampf mit bisher gültigen Naturgesetzen der Physik. Denn verändert man zum Beispiel den Druck im Verdichter, sinkt der CO2-Ausstoß. Dann aber steigt der Ausstoß von Stickoxiden. Vergrößern die Kollegen den Propeller, der im Triebwerk Luft gen Verdichter, Brennkammer und Turbine führt, wird die Maschine vielleicht leiser – verbraucht aber deutlich mehr Sprit. „Man muss immer ganzheitlich denken“, sagt Mühlfeld. Und sein Team brauche den Druck von außen, um solche Hürden zu überwinden.

Druck, den wird er kriegen. Am 21. Januar fahren die Bürger aus Ulrike Witts Heimatgemeinde Rangsdorf zur nächsten Großdemo gegen Fluglärm nach Berlin.

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