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Joachim Hunold (2.v.l), der ehemalige Chef der Fluggesellschaft Air Berlin, und die Designerin Jette Joop (3.v.l.) zeigen sich am im April 2007 in Palma de Mallorca gut gelaunt zwischen Models, die die neuen Uniformen der Air Berlin präsentieren.

© Jens Kalaene/dpa

Erinnerungen an Air Berlin: "Kein Sturm hält sie auf"

In den Jahren seit dem Börsengang ging es fast nur bergab mit Air Berlin. Trotzdem wird diese Airline fehlen. Ein persönlicher Rückblick.

„Flugzeuge im Bauch, im Blut Kerosin / Kein Sturm hält sie auf, uns're Air Berlin! / Die Nase im Wind, den Kunden im Sinn / und ein Lächeln stets mit drin.“

Der Air-Berlin-Song (hier zu hören mit Youtube-Video): über Jahre war er der Hit auf Firmenfeiern, er quoll aus Bordlautsprechern nach der Landung und aus der Ohrmuschel der Kundenhotline. Wer diese Schüttelreime ohne Hirnfrost überlebte, bekam früher mit etwas Glück noch echte Berliner in der Zentrale am Saatwinkler Damm an die Strippe. Den Song und diese Mitarbeiter gibt es schon länger nicht mehr bei Air Berlin. Das Lied wurde durch den seichten Pop-Titel „Wings“ ersetzt, die Callcenter-Mitarbeiter an den externen Dienstleister Arvato abgegeben haben. Und seit Freitagabend ist mit der Landung von Flug AB 6210 in Tegel die Airline insgesamt Geschichte.

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Der Air-Berlin-Song wurde angeblich mal von Mitarbeitern des Flughafens Nürnberg gedichtet, er hätte aber auch von Joachim „Achim“ Hunold stammen können: Der ehemalige Roadie von Marius-Müller Westernhagen, Gepäckverlader in Düsseldorf und spätere Vertriebs- und Marketingchef der Ferienfluggesellschaft LTU in Düsseldorf hatte mit Partnern die nur zwei Flieger starke US-Airline Air Berlin 1991 gekauft und zu dem aufgebaut, was sie in besten Zeiten war: Ein fünf Milliarden-Umsatz-Konzern mit bis zu 9000 Mitarbeitern.

Eine Aktie kostete einst mehr als 20 Euro

Der Sinkflug begann vor etwa zehn Jahren, gut abzulesen am Kursverlauf der Aktie, die ihr Hoch aus dem Frühjahr 2007 (20,55 Euro) nie wieder erreichen sollte. Am Freitag bei Börsenschluss war das Papier keine sieben Cent mehr wert. Mit dem Kursverlauf verlor Hunold nach und nach auch sein Interesse an Gesprächen mit Journalisten: Das war manchmal doof für Reporter.

Aber was der Mann dachte – über das Weltgeschehen und deutsche Politik im Besonderen zum Beispiel – konnte man im Wirtschaftsmagazin „Tagesspiegel Köpfe“ nachlesen, wo er als Gastautor zeitweise eine Kolumne hatte. Dort gab er mal den Wirtschaftsliberalen, auch stramm Konservativen. Zugleich traf Hunold oft den Ton der sogenannten „kleinen Leute“, einer Klientel, die die SPD ansprechen will. Hunold passt in keine Schublade.

Der Clou mit dem Hotelzimmer zur Weihnachtsfeier

Es ranken sich Legenden um diesen Mann. Oft war aber nicht sicher, ob er selbst dahinter streckte, oder ob sich nur der Spirit seiner „Airline mit Herz“ bereits verselbstständigt hatte. Beispiel Weihnachtsfeiern im Kongresshotel Estrel in Berlin-Neukölln: „Irgendwer in der Geschäftsleitung“ habe Ende der 90er bis Mitte der 2000er Jahre stets für die Piloten Hotelzimmer buchen lassen – aber immer zu wenige für die Flugbegleiterinnen, berichten altgediente Piloten.

Die Damen hätten sich notgedrungen, „aber wirklich nie unfreiwillig“, in die Zimmer der männlichen Kollegen einquartiert. Das sei eben „ganz anders“ gelaufen als bei der Lufthansa, wo bei offiziellen Anlässen selbstverständlich auch die Ehefrauen der Führungskräfte zugegen gewesen seien.

Diese Berliner Lockerheit sollte sich rumsprechen in der Branche, um Personal anzuziehen, aber natürlich nicht in der Öffentlichkeit. Passierte es doch, war „der Achim“, wie fast alle Airberliner ihn nennen, sauer. Und noch mehr, wenn wirklich Negatives berichtet wurde. Vielleicht stand ja tatsächlich etwas zu selten in der Zeitung, dass man Hunold für manche Leistung auch bewundern kann: Der Mann hat unter anderem die große LTU, deren Großaktionär WestLB (gibt es heute auch nicht mehr) seinen Rausschmiss veranlasst hatte, einfach aufgekauft. Irgendwie cool, oder?

Wer in der "Gala" zu sehen war, durfte gratis fliegen

Gemessen an den Auftritten manch anderer Luftfahrt-Manager, deren Habitus vermuten lässt, sie würden Wälzlager oder Rückversicherungen verkaufen, hatte Hunold immer etwas Emotionales, Kumpelhaftes, unlufthanseatisch Rheinländisches. Das war meist erfrischend, wenn auch nicht immer so cool, eher befremdlich war seine Promi-Fixierung zum Beispiel. Gefühlt durfte eine Weile fast Jeder und Jede, deren Namen einmal in der „Gala“ oder „Bunten“ erwähnt worden war, gratis mitfliegen.

Der Moderator Johannes B. Kerner (links) und Joachim Hunold, Chef der Fluggesellschaft Air Berlin, stehen auf dem Flughafen Berlin Tempelhof an einem Flugzeugmodell. Kerner warb für den Börsengang der Airline 2006.
Der Moderator Johannes B. Kerner (links) und Joachim Hunold, Chef der Fluggesellschaft Air Berlin, stehen auf dem Flughafen Berlin Tempelhof an einem Flugzeugmodell. Kerner warb für den Börsengang der Airline 2006.

© Foto: Jens Kalaene/dpa

Es gab Kooperationen mit dem ZDF und den Sommershows von „Wetten, dass…?“ auf Mallorca, die man heute so nicht mehr eingehen würde. Ein Coup war es auch, den damals populären TV-Talker Johannes B. Kerner als Werbeträger für den Börsengang 2006 zu gewinnen – wobei dieser es bitter bereuen sollte (siehe Kursverlauf). Der vor einem Jahr verstorbene Manfred Krug und seine Bruchlandung mit den T-Aktien hätten Kerner und Hunold eine Warnung sein sollen.

Zur Wahrheit gehört auch, dass Air Berlin eine Weile lang allen Journalisten 25-Prozent-Rabatt auf Flüge gewährte. Erst als Air Berlins neue Geldgeber Druck machten, stellte Air Berlin diese Praxis und das Promi-Verhätscheln – richtigerweise – ein. Und ja, auch der Autor dieser Zeilen ist einmal auf Kosten von Air Berlins Großaktionär Etihad Airways in einem Highspeed-Schlauchboot übers Rote Meer gedonnert (worden) und hat in der Sansibar auf Sylt Currywurst genossen – gemeinsam mit anderen Kollegen quasi als „Vorkoster“ für die neuen Gerichte des Bord-Menüs. (Hier der Bericht dazu von damals). Wenn es aber um die harten Zahlen ging, wie auf der Hauptversammlung, die in der Regel am Flughafen London-Heathrow stattfanden, war Air Berlin nicht mehr spendabel. (Hier die Schilderung einer Hauptversammlung).

Donnerschlag: Hunold macht Platz für Mehdorn

Am 18. August 2011 hatte dieser Spuk ein Ende: Joachim Hunold sprach nach der Präsentation der erneut schlechten Geschäftszahlen in einer Telefonkonferenz mit Journalisten scheinbar beiläufig in das Mikrofon: „Bevor wir zum Ausblick kommen, möchte ich noch einen Hinweis in eigener Sache abgeben…“. Unter den Zuhörern, die sich aus halb Europa zugeschaltet hatten, wusste mutmaßlich niemand, was kommt. Auch die fünf Mitarbeiter, die damals mit Hunold im Raum saßen, waren erst wenige Minuten vorher informiert worden. „Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass jetzt ein Führungswechsel unser eingeleitetes Programm ‚Shape and Size' nur beschleunigen kann…“.

 Joachim Hunold am 1. April 1998 mit dem ehemaligen Berliner Bürgermeister, Eberhard Diepgen (rechts, CDU) am 1. April 1998 das auf dem Boeing-Gelände in Routon bei Seattle bei der Übergabe einer fabrikneuen Boeing 737.
Joachim Hunold am 1. April 1998 mit dem ehemaligen Berliner Bürgermeister, Eberhard Diepgen (rechts, CDU) am 1. April 1998 das auf dem Boeing-Gelände in Routon bei Seattle bei der Übergabe einer fabrikneuen Boeing 737.

© Andreas Altwein/dpa

Donnerschlag! Durch die Wirtschaftsredaktion im Tagesspiegel – wie sicher in vielen anderen Redaktionen – hallte es damals durch den Raum: „Hunold tritt zurück!“ Der damalige Wirtschaftsressortleiter eilte in den Newsroom. „Wir sind alle fast vom Stuhl gefallen“, sagte eine bei Air Berlin im Raum anwesende Person. Hunold habe während der Präsentation zunächst völlig gefasst gewirkt. „Wer ihn kennt, hat aber dann gemerkt, dass er sehr berührt war“.

Der zweite Knaller folgte sofort : Nachfolger wurde ausgerechnet Hartmut Mehdorn, der Mann, der die Deutsche Bahn in den Ausspäh-Skandal geführt und Berlins Regierenden mit einem Umzug des Staatskonzerns nach Hamburg gedroht hatte. Und vieles mehr. Auch Mehdorn hatte offenbar erst am Vorabend von dem Plan „seines Freundes“ erfahren, wie er später zu Protokoll gab. Mehdorn kam als „Interimschef“, wie es immer hieß, und durfte den Einstieg des Großaktionärs Etihad Airways begleiten. Nie gab es so viele (böse) Leserbriefe und Kommentare im Internet zu Entscheidungen eines Air Berlin Chefs.

Chef verordnet Dresscode vom Persischen Golf?

Es folgte der umgänglichere, aber kaum durchsetzungsfähige Österreicher Wolfgang Prock-Schauer, dann der impulsive Stefan Pichler, einst Chef der Fiji-Airlines. Von ihm bleibt kaum mehr in Erinnerung als sein Rundbrief an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Zentrale, auch bei Sommerhitze im Büro bitte auf Spaghettiträger, kurze Röcke und Flipflops zu verzichten. Ganz im Sinne der Geldgeber vom Arabischen Golf.

Der Vorstandsvorsitzende von Air Berlin, Joachim Hunold mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und eine Stewardess im April 2009 in Berlin auf der Jubiläumsfeier 30 Jahre Air Berlin.
Der Vorstandsvorsitzende von Air Berlin, Joachim Hunold mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und eine Stewardess im April 2009 in Berlin auf der Jubiläumsfeier 30 Jahre Air Berlin.

© Jens Kalaene dpa/lbn

Der Chefsessel wurde zum Schleudersitz. Mitarbeiter mussten sich immer neue Titel für Sparprogramme einprägen. Die berühmten Schoko-Herzen, die Fluggäste als Dankeschön erhalten haben, wurden nicht mehr von der Berliner Traditionsmanufaktur Rausch gegossen, sondern von der Schweizer Lindt & Sprüngli AG. Die Flure des Backsteinkomplexes am Saatwinkler Damm waren irgendwann so weit geleert, dass der Haupteingang zur Seitenstraße ins Gewebegebiet neben die Michalski Fleisch- und Wursthandel GmbH umziehen musste, wo die Mitarbeiter es mittags nur wenige Schritte zum Krustenbraten mit Kraut und Bratkartoffeln hatten.

Die neuen Chefs findet man hinter der Gartenkolonie

Jetzt schaut der amtierende Chef Thomas Winkelmann aus seinem Bürofenster nicht mehr auf den Schifffahrtskanal und die Einflugschneise von Tegel, sondern auf eine Kleingartenkolonie mit Planschbecken und Hertha-Flaggen.

Am anderen Ende dieser Kolonie hat die traditionsreiche Logistikfirma Zeitfracht ihren Sitz. Es sind keine zehn Minuten dorthin zu Fuß. Zeitfracht übernimmt jetzt die Fracht-Sparte und die Technik-Tochter von Air Berlin. In dem mit schwerem Holz ausgekleidetem Chefbüro, wo ein junges und dynamisches Ehepaar die Geschäfte führt, steht eine lebensgroße Bronzestatue des Firmengründers Horst Walter Schröter. Sein Erbe wird fortgeführt. Hunolds Erbe leider nicht. Vor wenigen Wochen hat er seine letzte Aktie verkauft.

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