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Jean-Claude Juncker

© dpa

Eurogruppenchef Juncker: "Wir haben keine Euro-Krise"

Der Luxemburger Jean-Claude Juncker ist der Chefverteidiger des Euro. Mit dem Tagesspiegel spricht er über strategische Fehler, die Schuldenkrise und populistische Politik.

Herr Premierminister, Sie bekommen in Stuttgart den Hanns-Martin-Schleyer- Preis. Eine willkommene Abwechslung vom Krisenmanagement?

Ehrlich gesagt nicht. Ich kann meine Gedanken gerade kaum von dem lösen, womit ich zu tun habe. Und ich bedauere jetzt schon, dass ich nur kurz in Stuttgart sein kann, weil ich genau deshalb wieder schnell abreisen muss. Aber ich freue mich auf den Preis, und ich freue mich auf die Menschen, denen ich begegnen werde.

Der Kampf gegen die Euro-Krise ist demnach ein Rund-um-die-Uhr-Job.

Ich würde es mir auf jeden Fall anders wünschen – aber genauso ist es. Wir haben es im Übrigen nicht mit einer Euro-Krise zu tun, sondern mit einer Schuldenkrise in einigen Mitgliedstaaten der Eurozone.

Vielleicht tut so ein Preis ja auch gut, wenn man wie Sie viel Kritik einstecken muss. Im Herbst war es Ihre Forderung nach Eurobonds, vor zwei Wochen das geleugnete Geheimtreffen, jetzt die „sanfte Umschuldung“ Griechenlands, von der Sie reden.

Die europäische Debatte ist immer dem Bohren dicker Bretter vergleichbar, doch die Bretter sind im Augenblick besonders dick und die Bohrer besonders dünn. Dass man – wenn man die Eurogruppe führt – in Bedrängnis gerät, ist nicht verwunderlich, weil die Probleme vielschichtigster Natur sind und gegensätzliche Auffassungen aufeinanderprallen. Aber die Kritik wirft mich nicht um. Wir leben in einer Demokratie mit ihrem Streit der Ideen und dem Wettbewerb der Meinungen. An diesem Wettbewerb nehme ich übrigens nicht intensiv teil, weil ich meine Zeit darauf verwende, glättend innerhalb der Eurogruppe und glättend zwischen Europäern und unseren internationalen Partnern zu wirken.

Was können Sie tun, damit Irland, Portugal und besonders Griechenland nicht immer neues Geld der europäischen und vor allem der deutschen Steuerzahler brauchen?

Ich verstehe die Sorge vieler Deutscher und vieler anderer Europäer schon, dass Griechenland ein Fass ohne Boden werden könnte. Ich nehme sie sehr ernst. Es kommt uns jetzt darauf an, dass die griechische Regierung absolut ernst macht mit dem Haushaltskonsolidierungsprogramm. Die gesetzte Marke beim Defizit muss effektiv erreicht werden. Und dies setzt zusätzliche Sparmaßnahmen voraus.

Wie ist das weitere Vorgehen?

Ich verlasse mich bei dem, was in Griechenland zu tun ist, auf das, was der Internationale Währungsfonds, der viel Erfahrung im Umgang mit Finanzkrisen hat, und die Europäische Zentralbank zu Protokoll geben. Wir warten auf einen Bericht ihrer in Athen weilenden Experten zur Tragfähigkeit der griechischen Schulden. Dann werden wir im Lauf des Juni die Gesamtlage beraten. Griechenland muss aber wissen, dass Solidarität dort an die Grenzen stößt, wo man den Eindruck haben könnte, dass es an der notwendigen Solidität auf der griechischen Seite mangelt. Griechenland steht bei der Solidität jetzt unter Beweispflicht.

Der Zwischenbericht, den Sie gerade bekommen haben, machte offensichtlich nur wenig Hoffnung auf eine Besserung. Wird – sollte sich das im Juni bestätigen – umgeschuldet?

Ich bin radikal gegen eine totale Umschuldung. Sie ist so risikobehaftet, dass sich kein verantwortlich Handelnder Hals über Kopf in eine totale Umschuldung Griechenlands stürzen kann. Ich rede dagegen von der sogenannten „sanften Umschuldung“.

Die Regierung in Athen müsste auslaufende Kredite später zurückzahlen, weil deren Laufzeit verlängert würde.

Das wäre – falls es so weit kommt – keine Einzelmaßnahme, sondern Teil eines Gesamtprogramms, das den Akzent auf die zu erbringenden Konsolidierungsmaßnahmen legt. Niemand in Griechenland sollte sich der Hoffnung hingeben, auf zusätzliche Anstrengungen und erhebliche Privatisierungserlöse könne verzichtet werden.

Wie sagen Sie zum Vorwurf, dass der harte Sparkurs die Wirtschaft abwürgt und weiteres Kürzen die Abwärtsspirale beschleunigt?

Jedem war klar, dass die Haushaltskonsolidierung, da sie auch die Ausgabenseite betrifft, mit konsumdämpfenden Effekten verbunden sein und rezessive Auswirkungen haben würde. Jedem ist aber auch klar, dass sich Griechenland, wenn es mit seiner Schuldenpolitik weitermacht, außerhalb des Raumes begibt, in dem Chancen auf künftiges Wirtschaftswachstum bestehen. Wer dauernd Schulden macht, wird dauerhaft Wachstumsprobleme haben. Schuldenabbau und die Herstellung eines primären Haushaltsüberschusses sind Voraussetzung, damit Griechenland in Zukunft in geordneten Bahnen wachsen kann.

Zu hoffen wäre das, doch die Skepsis ist weit verbreitet. Wie viel bekommt man davon als Krisenmanager überhaupt mit?

Ich lebe ja nicht außerhalb der Welt auf einem anderen Stern.

So heißt es aber von den Eurokraten.

Ich lebe unter normalen Menschen und spüre, was sie umtreibt. Sie verstehen, dass wir uns um die Stabilität im Euroraum sorgen müssen. Aber man kann ihnen auch gut erklären, dass wir es nicht mit einer Eurokrise zu tun haben, sondern mit einer Verschuldungskrise einzelner EU-Mitgliedstaaten. Die ist in Griechenland, Portugal und Irland völlig verschiedenen Ursachen geschuldet, was man in Gesprächen versuchen muss begreiflich zu machen.

Ist das sehr schwierig?

Ja, weil wir es zugelassen haben, dass die Erfolge des Euro systematisch verschwiegen wurden. Beispielsweise die Tatsache, dass in seinen ersten zwölf Jahren die Inflation niedriger gewesen ist als in den Durchschnittsjahren der D-Mark-Zeit. Etwa, dass die Zinsen um ein Vielfaches niedriger sind als in den Achtzigern und Neunzigern. Man muss bereit sein, besser zu erklären. Aber die Menschen müssen auch bereit sein, den Erklärungen dann zuzuhören.

Das scheint ein Problem zu sein. Viele haben mit der EU abgeschlossen, wählen euroskeptische Rechte. Die sind in vielen Staaten auf dem Vormarsch, beeinflussen teils schon Regierungshandeln. In der Debatte um Schengen geht es erstmals überhaupt um die Rücknahme eines bereits erreichten Integrationsschrittes. Stehen wir an einer Schwelle, wo die ganze EU plötzlich infrage steht?

Ich glaube nicht, dass die Menschen das europäische Integrationswerk als solches infrage stellen. Ich beobachte aber mit Sorge, dass die von Populisten genutzte und im Moment nicht europafreundliche Grundstimmung quasi über Nacht die Errungenschaften der europäischen Integration teilweise infrage stellt – wie die Wiedereinführung von Grenzkontrollen im Schengenraum belegt. Wir müssen gut aufpassen, dass wir nicht unter dem Eindruck und dem Druck der populistischen Kräfte jetzt die wichtigsten Teile dessen aufgeben, was wir in den letzten dreißig, vierzig Jahren zustande gebracht haben. Das halte ich für sehr gefährlich. Es verlangt ja inzwischen mehr Mut, sich zu Europa zu bekennen, als europaskeptische Töne von sich zu geben. Aber ich für meinen Teil bleibe auf Kurs.

Der rührt mit großer Sicherheit auch von ihrem familiären Hintergrund her.

Die Lebensgeschichte meines Vaters und seiner Brüder, die Soldaten im Zweiten Weltkrieg waren, ist Teil meiner sehr persönlichen Sicht auf Europa. Ich möchte nicht, dass unseren Enkeln oder Urenkeln ein ähnliches Schicksal blüht. Man muss sehr gut aufpassen, dass man durch zunehmende Unaufmerksamkeit nicht die alten Dämonen langsam wieder wachküsst. Ich sehe diese Gefahr derzeit nicht, ich beschwöre sie auch nicht. Aber ich denke an die Lebensgeschichte meines Vaters.

Das Gespräch führte Christopher Ziedler

PREMIER

Der 56-jährige Christdemokrat Jean-Claude Juncker ist seit 1995 Premier Luxemburgs – einem Gründungsstaat der EU. Die geringe Größe seines Landes und seine Mehrsprachigkeit machten Juncker auf EU-Gipfeln oft zum Vermittler. Sein Verhältnis zu Nicolas Sarkozy gilt aber als gestört, da dieser Juncker als ständigen EU-Ratschef verhindert haben soll.

EUROGRUPPE

Am 10. September 2004 wurde Juncker für die Dauer von zwei Jahren zum ersten ständigen Vorsitzenden der Eurogruppe ernannt. Sein Mandat wurde mehrfach verlängert, zuletzt im Januar 2010 für weitere zweieinhalb Jahre. In der Eurogruppe sind die Finanzminister der 17 Eurostaaten versammelt.

PREIS

Am heutigen Freitag wird Juncker in Stuttgart mit dem Hanns-Martin-Schleyer-Preis für „herausragende Verdienste um die Europäische Integration“ ausgezeichnet.

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