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Fairphone: Ein Gadget für das gute Gewissen

40 verschiedene Rohstoffe braucht man für die Herstellung von Smartphones. Abgebaut werden sie oft in Kriegsgebieten. Ein Holländer fand es aber zu einfach, die Verwendung der „Konflikt-Metalle“ nur zu kritisieren. „Wir brauchen ein besseres Produkt“, forderte Bas van Abel und entwickelte das „Fairphone“.

Eine Million Euro! Sollte er die einfach so nach China überweisen? An eine Firma, die kaum jemand kennt? Und das auch noch auf Pump, geliehen von vertrauensvollen Kunden, die für ein Produkt zahlen, das es noch gar nicht gibt?

Es waren sechs bange Wochen in diesem Sommer, als Bas van Abel mit dieser sehr riskanten Entscheidung rang. Gleich vier Mal reiste er zwischen Europa und China hin und her, bis er Ende Juli die Zahlung freigab und damit den Betrieb des wohl ungewöhnlichsten Unternehmens der globalen Elektronikbranche startete: Fairphone, eine kleine Firma in Amsterdam mit gerade mal 15 Mitarbeitern, wird bis Dezember 25 000 Smartphones produzieren lassen, wie es sie noch nie gab. Nämlich ohne Ausbeutung und – soweit möglich – ohne Rohstoffe, deren Einkauf Krieg und Gewalt finanziert. „Fair“ soll es eben zugehen, wie der Name verheißt.

Bekannt sind fair gehandelte Bananen, Kaffee oder Textilien. Aber Elektronik?

Van Abel lächelt. „Klar doch, mit jedem Produkt, das wir kaufen, machen wir Politik, ob wir wollen oder nicht“, sagt er. Das gelte gerade auch für das Lieblingsspielzeug des modernen Konsumbürgers, den Taschencomputer mit Telefonfunktion. Nur gebe es da bisher „keine faire Alternative, und das werden wir ändern“, sagt er.

Das klingt nach Mission und Vision, und genauso ist es auch gemeint. Van Abel, 36 Jahre alt, studierter Designer und Ingenieur, ist dennoch kein herkömmlicher Politaktivist. Der Mann mit dem halblangen lockigen Haar, Drei-Tage-Bart und viel Charme ist eher ein Macher. Schon immer habe er an Geräten herumgebastelt, weil er „wissen wollte, aus was sie gebaut sind“, erzählt er.

Ein "naiver" Entschluss

Darum stieg er ein in die Welt von „Open Source“ und „Open Design“, jenes weltweite Netzwerk von Hackern und Ingenieuren, die gemeinsam neue Techniken ersinnen, um das Ergebnis mit allen zu teilen. Der allgemeine Nutzen zählt da mehr als der private Gewinn, und ginge es nach van Abel, „dann würden wir die ganze Wirtschaft so organisieren“. Deren größter Teil, die Produktion, sei aber „noch immer nur am privaten Gewinn orientiert, ohne öffentliche Teilhabe“, und bei ihm klingt es so, als handele es sich bei diesen Grundregeln des Kapitalismus um Relikte aus einer alten Zeit.

Als Kreativdirektor bei der niederländischen Waag Society, einer gemeinnützigen Stiftung für „Kunst und Technik“, arbeitete er darum jenseits der groben Welt des Profits. Dann aber bat ihn ein Freund im Oktober 2010 für eine geplante Kampagne zur dunklen Seite des Mobilfunkgeschäfts um Rat.

Seit langem warnen Experten der Vereinten Nationen, dass die Warlords im Kongo mit den dort für die Elektronikproduktion geförderten Metallen Zinn, Tantal, Wolfram, Kupfer und Kobalt das Geld machen, mit dem sie ihre blutigen Feldzüge finanzieren. Darüber, so das Ziel der Kampagne, sollten die Verbraucher aufgeklärt werden, um Druck auf die Hersteller auszuüben, nicht länger „Konflikt-Metalle“ zu verarbeiten. Aufklärung sei nutzlos, ohne die Möglichkeit zum aktiven Handeln, hielt van Abel seinem Freund entgegen. „Wir brauchen ein besseres Produkt“, sagte er und legte gleich selbst los – ein „naiver“ Entschluss, wie er heute zugibt. Schließlich ist ein Smartphone ein komplexes Gerät aus Hunderten von Einzelteilen, für die an die 40 verschiedene Rohstoffe nötig sind. Vor dem fertigen Produkt stehen daher Lieferketten, die rund um den Planeten reichen. Wie sollte eine private Initiative da gegen Konzerne wie Apple oder Samsung antreten?

Schon die erste Reise in den Kongo im Frühjahr 2011 offenbarte denn auch harte Wahrheiten. Da suchten van Abel und zwei Mitstreiter Kupferminen, wo auch das für die Akkus benötigte Kobalt zu fairen Bedingungen gefördert und gekauft werden sollte. Aber um auch nur Videoaufnahmen machen zu dürfen, mussten sie „erst mal einen Minister bestechen“, bekennt er. Mit Schaudern. Anschließend lernten sie, dass es Hunderttausende einfache Arbeiter sind, die weit im Land verstreut in mühsamer Handarbeit die Erze ausgraben und stets in Gefahr sind, Opfer skrupelloser Ausbeuter und Milizionäre zu werden. Da war es unmöglich, im Alleingang eine halbwegs saubere Erzförderung zu organisieren. Auch die Gründung einer eigenen Firma erschien zunächst nicht machbar. „Noch bis Januar 2012 hatten wir keine Organisation und kein Geschäftsmodell, nur die Idee“, erzählt van Abel.

Die Idee aber zündete überall, wo er sie vorstellte. Immer häufiger kam die Anfrage, wann es denn das Smartphone zu kaufen gebe, an dem kein Blut klebt. So brauchte van Abel dringend Unterstützung und wandte sich an Hollands Mobilfunkanbieter KPN und Vodafone – mit überraschendem Erfolg. Spontan bestellten die KPN-Manager gleich 1000 Stück des imaginären Produkts und ihre Kollegen bei Vodafone vermittelten wertvolle Kontakte und Beratung.

"Verkauft Eure Seele nicht"

Von da an wurde es ernst. Van Abel begann ein Team aufzubauen, das heute 13 Mitarbeiter aus acht Nationen zählt und im fünften Stock eines umgebauten Hafenspeichers unweit des Amsterdamer Bahnhofs zwei Schreibtischzeilen eines Großraumbüros besetzt. Zwei weitere Kollegen sind in London und im chinesischen Chongqing beschäftigt. Sie alle könnten in der Industrie hohe Gehälter verdienen. Aber sie eint der Gedanke, dass sich an den Zuständen in der globalisierten Industrie etwas ändern soll.

Tessa Wernink etwa, aufgewachsen in Hongkong, hätte als vielsprachige Fachfrau bei einem großen PR-Konzern anheuern können. Doch das Abenteuer Fairphone reizte sie mehr. Genauso geht es Miquel Ballester, der als Student für „strategisches Design“ früh dazustieß. Der junge Spanier erkundete systematisch potenzielle Lieferanten für die Komponenten, machte daraus seine Masterarbeit und avancierte nun im Alter von gerade mal 30 Jahren zum Produktionsmanager. Gemeinsam mit van Abel entwickelte er den Geschäftsplan.

Prompt meldeten sich potenzielle Investoren, die mit den Ideen solcher Start-up-Unternehmungen ihr Geld verdienen. Aber in diesem Moment belohnte das Glück die Mutigen.

Sie sollten ihre „Seele nicht an Venture-Kapitalisten verkaufen“, riet ihnen ein erfahrener Manager der Telekomindustrie und stellte selbst 400 000 Euro Startkapital zur Verfügung, ohne selbst Auflagen zu machen. Er forderte lediglich einen passiven Anteil am Unternehmen von zehn Prozent und möchte öffentlich nicht genannt werden.

Als sich die Nachricht von der Allianz der Idealisten mit den Telefonkonzernen verbreitete, meldeten sich schließlich mehr als 50 000 Interessenten, die meisten davon aus Deutschland. „Wir sind mehr als ein Telefon, wir sind eine Bewegung“, deklarierten die Fairphone-Gründer und machten die Kunden zu einem Teil des Unternehmens. Jeden Schritt dokumentiert van Abels Crew seitdem im Internet und erfährt aus den Antworten, was die Käufer erwarten und welche Abstriche sie dulden. Daher ging es alsbald auch darum, unter welchen Bedingungen die Montage erfolgen sollte. Zur oft rücksichtslosen Ausbeutung der Wanderarbeiter in Chinas Elektronikfabriken musste eine Alternative gefunden werden, weil das den Kunden wichtig ist.

Ein bitteres Eingeständnis

Die Offenheit erzwang jedoch auch ein bitteres Eingeständnis: Ein vollständig fair hergestelltes Smartphone ist vorerst nicht erreichbar. „Meine größte Furcht war, dass die Leute uns dann nicht mehr mögen würden“, sagt van Abel. Doch die Interessenten blieben der Sache treu. Das Anliegen zählt mehr als dessen vollständige Erfüllung.

Ausgerechnet bei der Rohstoffbeschaffung müssen die Fairness-Pioniere große Kompromisse eingehen. Zu ihrem Glück können sie zumindest bei zwei der fünf umstrittenen Mineralien auf die Vorarbeit anderer bauen. Mit Förderung der niederländischen Regierung gründeten die Konzerne Philips und Motorola gemeinsam mit Hilfswerken im Herbst 2012 die „Conflict-Free Tin Initiative“. Der gelang mitten in der Kriegsprovinz Süd-Kiwu ein kleines Wunder.

In der Mine „Kalimbi“ entstand eine sichere und überwachte Produktion für Cassiterite, das Erz zur Gewinnung von Lötzinn. Mehr als 1000 neue Jobs gibt es nun, und die Einkommen der Bergwerker haben sich verdoppelt. Schon in den ersten drei Monaten bis Januar förderten die gut 200 Tonnen Erz im Wert von rund 1,7 Millionen Dollar. In verplombte Säcke verpackt, wurde es an eine Zinnhütte nach Malaysia exportiert, die das extrahierte Metall wiederum an zwei Hersteller von Lötpaste in Nordamerika lieferte. Diese geben es an jene Elektronikproduzenten weiter, die explizit konfliktfreies Lötzinn aus dem Kongo bestellen, darunter jetzt auch Fairphone.

Ein ähnliches Verfahren etablierte die tschechische Firma AVX gemeinsam mit einigen Elektronikkonzernen unter dem Titel „Solutions for Hope“ für Tantal. Das aus dem Roherz Coltan gewonnene Metall ist wegen seiner Hitzebeständigkeit für die winzigen Kondensatoren, die kleinen Energiepuffer, in jedem Gerät unverzichtbar. Die neue Organisation erschloss drei Minen in der südlichen Kongoprovinz Katanga, von wo das Roherz erst zur Verhüttung nach China verschifft und anschließend in Puderform nach Tschechien geschickt wird. Die damit hergestellten Kondensatoren erhalten einen mikroskopisch kleinen Aufdruck, „SolfH“, der ihre Verwendung überprüfbar macht. Für Wolfram, Kobalt und Kupfer gibt es dagegen keine vergleichbar sicheren Quellen, gesteht van Abel. Das werde wohl „noch fünf Jahre dauern“.

Schwimmt das faire Smartphone also nur im Trend dessen, was die ganze Branche ohnehin tut?

Der chinesische Hersteller stellt sich der Überprüfung

Andreas Manhart, Autor eines Gutachtens zum Thema für den Industrieverband BDI, widerspricht. Bisher würden die großen Hersteller „nur gerade so viel tun, dass sie etwas vorzeigen können“. Um die Lage im Kongo zu verbessern, müsse das aber „positiv vermarktet werden“, damit es Nachahmer finde. Insofern gehe Fairphone „genau den richtigen Weg“, sagt Manhart.

Nicht minder schwierig verlief die Suche nach dem richtigen Produzenten. Mangels Herstellern in Europa führte an China kein Weg vorbei. Vergangenen März besuchten van Abel und Ballester daher dort zehn Unternehmen. Aber zumeist ignorierten ihre Gesprächspartner das Fair-Konzept völlig. Nur bei der Firma A’Hong, einem Joint Venture des Staatskonzerns Chahong mit privaten Teilhabern, hatten die Newcomer gleich doppelt Glück. Nicht nur waren die Manager bereit, sich auf die geforderte Überprüfung der Arbeitsbedingungen einzulassen. Sie boten zudem eine Lizenz für ein Smartphone aus eigener Entwicklung, das die Fairphoner ihren Anforderungen anpassen konnten. Doch was hat der Konzern davon, sich für ein paar tausend Exemplare eines noch dazu mit besonderen Komponenten bestückten Telefons den Auflagen eines Zwergunternehmens zu unterwerfen?

Conghua He, der verantwortliche Manager am Standort der Fabrik in der zentralchinesischen Megametropole Chongqing, ist da ganz offen. „Profit erwarten wir nicht“, sagt er. Wohl aber öffne die Zusammenarbeit „für uns einen Weg in den europäischen Markt“. Außerdem liege das faire Smartphone im Trend. „Die Kunden wollen Produkte, denen sie vertrauen können, auch bei der Herstellung“, sagt He. Dazu gehöre, dass, so wie jetzt vereinbart, unabhängige Gutachter die Lage der Arbeiter prüfen. Die entsprechende Untersuchung werde in Kürze veröffentlicht, unzensiert, „einschließlich der Stundenlöhne, da liegen wir über dem nationalen Durchschnitt“, versichert er. Sollte es dennoch Fälle geben, wo die Einkommen für ein auskömmliches Leben nicht reichen, haben beide Seiten Zuzahlungen aus einem Sozialfonds vereinbart, dem für jedes Gerät fünf Euro zufließen sollen.

Gleichwohl ist auch das nur ein erster Schritt. Über die Zustände bei den vielen Zulieferern vom „Touchscreen“ bis zum „Chipset“, dem technischen Kern, „wissen wir nichts“, gesteht van Abel. Aber die Liste aller Zulieferer ist offen zugänglich und ermöglicht im Prinzip eine Überprüfung. Das sei „in dieser Welt, wo kein Geschäft ohne Vertraulichkeitserklärung läuft, ein großes Zugeständnis“.

Alle Pläne wären freilich reine Theorie geblieben, wäre den Fairphonern nicht ein weiterer Coup gelungen. Auch als sie endlich wussten, womit, wie und wo ihr Traumprodukt zu produzieren wäre, hatten sie nicht annähernd genügend Kapital, um die Produktion zu starten. So setzten sie Mitte Mai alles auf eine Karte und warben bei ihren Unterstützern im Web um Bestellungen gegen Vorkasse. Das „schien uns sehr riskant“, erzählt Miquel Ballester, „wir haben gezittert.“ Aber schon nach drei Wochen hatten 5000 Käufer je 325 Euro ins Blaue bezahlt, und für van Abel kam die Stunde der Wahrheit, als er das Geld nach China überwies. Und das Risiko übernahm.

Seitdem geht es hektisch zu in dem engen Büro an der Amsterdamer Hafenkante. Schon sind die Bestellungen auf mehr als 16 000 gestiegen, und täglich kommen an die 100 dazu, vermutlich auch deshalb, weil das Angebot erstaunlich günstig ist. Die neuen Geräte bieten nicht nur ein gutes Gewissen, das sogar mit einer genauen Aufschlüsselung dessen beruhigt wird, wo genau das Geld hinfließt. Zudem sind sie mit einer modernisierten Android-Software und allen üblichen Modulen von der Satellitennavigation bis zur Kamera nicht schlechter als die Konkurrenz. Den günstigen Preis erklärt van Abel damit, dass keine Ausgaben für Marketing anfallen und sein „social enterprise“, mehrheitlich im Besitz der gemeinnützigen Waag-Stiftung, nicht auf Gewinn angelegt ist. Wenn die nun gelieferten 25 Prototypen die Tests überstehen und die Behörden sowie der Android-Lizenzgeber Google die nötigen Zertifikate erteilen, dann werden alle Käufer noch vor Weihnachten ihr Wunschtelefon in den Händen halten.

Womöglich bekommen van Abel und sein Team dann aber ein ganz anderes Problem. Nichts spricht sich bei Technik- Fans so schnell herum wie ein schickes neues „gadget“, das den Besitzer schmückt. Was also, wenn plötzlich eine halbe Million Kunden ein Fairphone wollen? „Bloß das nicht!“, seufzt van Abel. Müsste die Produktion schnell ausgeweitet werden, „dann würden wir es ja genauso machen wie die anderen und die Hersteller unter Druck setzen, auf Kosten der Beschäftigten zu wirtschaften“.

Diese Gefahr sieht sein chinesischer Partner allerdings nicht. „Wir können auch 500 000 Stück in ein paar Monaten herstellen“, versichert A’Hong-Manager He, „kein Problem“.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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