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Brasiliens Präsident Michel Temer lud Botschafter zum Steakessen, um zu unterstreichen, dass brasilianisches Fleisch unbesorgt genossen werden könne. Örtliche Medien melden, es sei gar kein brasilianisches Fleisch serviert worden.

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Update

Gammelfleisch-Skandal: Erste Länder verhängen Importstopp gegen brasilianisches Fleisch

Während Brasiliens Präsident den Gammelfleisch-Skandal herunterspielt, verspricht Europa, kein Fleisch mehr aus betroffenen Schlachthäusern zu beziehen.

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Nach Bekanntwerden des Gammelfleischskandals in Brasilien hat die EU angekündigt, keine Ware mehr aus verdächtigen Schlachthäusern zu beziehen. Dafür werde die EU garantieren, sagte Enrico Brivio, Sprecher der Kommission für Gesundheitsfragen, am Montagnachmittag. Gleichzeitig appellierte Brivio an die Mitgliedsstaaten, erhöhte Vorsicht beim Import von Fleischprodukten aus Brasilien walten zu lassen und die Zollkontrollen zu verschärfen.

Brasilianische Produzenten sollen über Jahre verdorbenes Rindfleisch verkauft und zum Teil mit krebserregenden Mitteln präpariert haben, um Gestank und Verfall zu kaschieren. Außerdem sollen Fleischprodukte mit Kartoffeln, Wasser und sogar Pappe gestreckt worden sein. Im Verdacht stehen auch der größte Rindfleischexporteur JBS und der führende Geflügelexporteur BRF.

Steakessen mit Diplomaten

Noch am Sonntagabend hatte sich Brasiliens Präsident Michel Temer um Schadensbegrenzung bemüht und 33 Botschafter wichtiger Importländer zum Steakessen eingeladen. 19 folgten der Einladung. Dabei lobte er die hohe Qualität der brasilianischen Fleischerzeugnisse und betonte, dass die aktuellen Vorwürfe „nur sehr wenige Betriebe“ beträfen. Verbraucher könnten unbesorgt brasilianisches Fleisch konsumieren. Von 4837 Kühlhäusern sind offiziellen Angaben nach bisher 21 im Visier der Ermittler – lediglich vier davon sollen auch in die EU geliefert haben.

Ob verdorbenes oder gepanschtes Fleisch nach Europa gelangt sein könnte, ist derzeit unklar. „Zum jetzigen Zeitpunkt liegen keine Warnungen zum brasilianischen Gammelfleisch im Europäischen Schnellwarnsystem für Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit vor“, teilte das Bundesernährungsministerium auf Anfrage mit. Tauche in einem europäischen Staat gesundheitsschädliches Fleisch auf, werde das sofort gemeldet, erklärte eine Sprecherin.

Korrupte Politiker sahen weg

Wie brasilianische Medien berichten, handelt es sich bei dem verdorbenen Fleisch in erster Linie um Wurst und Aufschnitt. Zwei Jahre schon sollen die Behörden ermittelt haben, ehe sie Ende vergangener Woche Razzien in diversen Betrieben, Gesundheitsbehörden und Politikerbüros durchführten. Kontrolleure des Agrarministeriums sollen Schmiergelder kassiert und dafür Fleisch ohne die erforderlichen Zertifikate für den Verkauf zugelassen haben. Ein Teil der Gelder sei an Politiker weitergeflossen. Bei Kontrollen in Europa war in einem Fall auch Fleisch aus Brasilien aufgefallen, das mit einem Salmonellentyp belastet war.

Brasilien ist der größte Fleischexporteur der Welt. Europa gehört zu seinen bedeutendsten Abnehmern. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums gut 114 282 Tonnen Fleisch aus Brasilien eingeführt, vor allem Geflügel. China, an sich größter Importeur, hat Fleischimporte aus Brasilien vorläufig komplett ausgesetzt, der zweitgrößte Importeur Hongkong ebenfalls. Auch die Schweiz und Chile kaufen kein Fleisch aus Brasilien mehr an. Südkorea hat einen Importstopp für Geflügel des Konzerns BRF dagegen wieder aufgehoben.

Regierung und Wirtschaft kritisieren die Polizei

Das Unternehmen, das zu den wichtigsten Geflügelexporteuren der Welt gehört, schlachtete 2015 allein 1,5 Milliarden Vögel. BRF betont, keine Pappe verarbeitet zu haben. Die Polizei habe Telefonate falsch interpretiert. Die Informationen der brasilianischen Bundespolizei beruhen offenbar zum größten Teil auf Abhöraktionen von Kontrolleuren und Firmen. Aber lediglich eine Firma sei während der zweijährigen Recherche inspiziert worden.

Verschiedene Politiker und Wirtschaftsvertreter kritisierten am Montag die Polizei für ihr Vorgehen, die die Operation „Schwaches Fleisch“ als „die größte ihrer Geschichte“ bezeichnet hatte. Der Vizepräsident der Brasilianischen Landwirtschaftsvereinigung, Pedro de Camargo Neto, sagte, die Polizei habe das Problem aufgeblasen. Er und andere nannten das Handeln unverantwortlich. Präsident Temer sagte, er werde nicht zulassen, dass das brasilianische Fleisch schlecht gemacht werde.

Für Häme sorgte derweil diese Nachricht: Ein Manager des Steakhauses, in dem der Präsident am Sonntagabend die Diplomaten empfing, erklärte Journalisten, bei ihm gebe es nur importiertes Fleisch, etwa aus Uruguay. Die Regierung behauptete daraufhin, an dem Abend sei ausnahmsweise brasilianisches Fleisch serviert worden.

Die Branche ist ohnehin in Verruf

Die brasilianische Fleischindustrie liefert immer wieder Stoff für Schlagzeilen. Dabei ging es bisher nicht um die Qualität, sondern vielmehr um umweltschädliche Produktionsmethoden, illegale Abholzung, Landraub sowie Vertreibung von Kleinbauern und indigenen Gemeinden zur Ausweitung von Weideflächen und den Anbau von Futtermitteln. Kritik gibt es zudem an den Arbeitsbedingungen in den Schlachthäusern, in denen viele Unfälle passieren.

Beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hieß es am Montag, grundsätzlich seien Konsumenten in Deutschland durch Gesetze ausreichend vor Lebensmittelbetrug geschützt. Gleichwohl würden bei amtlichen Kontrollen zur Lebensmittelüberwachung Jahr für Jahr in rund 25 Prozent der Fälle Verstöße festgestellt. Immer wieder erschüttern Skandale die Branche: 2006 gelangte Gammelfleisch in Berliner Döner, 2013 wurde bekannt, dass anstelle von Rindfleisch Pferdefleisch in Tiefkühlprodukten verarbeitet wurde – in Brüssel fand sich gar Affenfleisch.

Neue Arbeitsgruppe soll Betrug eindämmen

Bund und Länder haben deshalb die Arbeitsgruppe „Lebensmittelkriminalität“ ins Leben gerufen, die Anfang dieses Jahres zum ersten Mal zusammengekommen ist. Ein Mitglied des Gremiums sagte dem Tagesspiegel, die Zahl der Betrugsfälle im Bereich Lebensmittel nehme zu, die Dunkelziffer sei „enorm hoch“. Grund sei, dass sich damit immense Gewinne erzielen ließen. Vermeintliches Luxus-Olivenöl für 30 Euro pro Liter sei in Wahrheit oft billigste Ware, mancher Edelfisch bloß Seelachs. Aber auch das Spritzen von Fleisch und Fisch, um alte Ware frisch aussehen zu lassen, ist bekannte Praxis. Das Risiko, entdeckt zu werden, sei sehr gering: Mit gefälschten Papieren komme man schnell durch den Zoll. Und weil Lebensmittelkontrollen in der Verantwortung der Länder liegen, seien die Stellen nicht genügend vernetzt. Die Arbeitsgruppe will das ändern.

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