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Wirtschaft: Gutes Geschäft

Soziale Unternehmer setzen auf Nachhaltigkeit statt auf hohe Gewinne. Zwei Berliner Beispiele zeigen, wie man mit wenige Geld viel Nutzen schaffen kann.

Im Hotel Grenzfall in Mitte kommt die Kellnerin nun schon zum zweiten Mal und fragt nach, ob ein Latte Macchiato oder ein Cappuccino bestellt wurde. „Dann merken die Leute, dass irgendwas anders ist bei uns“, sagt Reinhardt Burkhardt, Geschäftsführer des Hotels. „Unsere Mitarbeiter bieten vielleicht einen etwas langsameren, aber umso herzlicheren Service.“ Warum es hier etwas länger dauert? Im Grenzfall arbeiten zu 70 Prozent Menschen mit Behinderung.

Burkhardt ist sozialer Unternehmer und spiegelt damit einen gesellschaftlichen Trend wider: Immer mehr Sozialprojekte gehen auf privatwirtschaftliche Initiativen zurück, die teils auch staatlich gefördert werden. Das kann ein Start-up-Projekt sein, das Sprachunterricht für Migranten anbietet, oder die kleine Nichtregierungsorganisation (NGO), die Obdachlosen Arbeit vermittelt. Die meisten dieser Organisationen sind gemeinnützige GmbHs (gGmbHs), arbeiten nicht gewinnorientiert und profitieren dadurch von einem gesonderten Steuerrecht. Durch Förderanträge können Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds oder vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beantragt werden (siehe Kasten).

Der große Unterschied zu „normalen“ Unternehmen liegt im Grundgedanken und in der Motivation: Der soziale Unternehmer versucht, ein gesellschaftliches Problem durch eine innovative Geschäftsidee zu lösen. Dabei wirken zwei Kräfte besonders: „Zum einen sind die Sozialstaaten überlastet und in der bürgerlichen Gesellschaft wird nach Lösungen gesucht“, sagt Ann-Kristin Achleitner, Professorin für Entrepreneurial Finance an der Technischen Universität (TU) München. „Zum anderen gibt es das Phänomen, dass Unternehmertum und Gutes tun sich nicht länger ausschließen müssen.“ So brächten viele Bürger soziales Engagement noch mit Wohlfahrtsorganisationen in Verbindung, nicht aber mit aufstrebenden Unternehmern.

Das Grenzfall ist eine gGmbH unter dem Dach der Schrippenkirche. Die Menschen mit Behinderung, die hier arbeiten, bedienen im Café oder leisten den Zimmerservice, sie arbeiten in der Küche oder im geräumigen Garten des Hotels. Und sie betreuen Gäste vom Daimler-Vorstand bis zum Bundestagsabgeordneten. Gleichzeitig verdienen sie nach Tarif des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes. So erhalten sie trotz ihrer Behinderungen die Möglichkeit, außerhalb von Behindertenwerkstätten zu arbeiten.

Der Service ist angenehm anders: „Unsere Angestellten sind einfach von ihrem Naturell her freundlich – und das merken die Leute.“ Knapp zwei Jahre nach der Eröffnung ist das Hotel bei einer schwarzen Null angelangt, die Auslastung liegt bei 50 Prozent. „Wir sind ein ganz normales 3-Sterne-Hotel, das mit anderen Wettbewerbern auf dem Markt konkurriert“, sagt Burkhardt. „Nur dass wir eben etwas für behinderte Menschen tun wollen.“

Integrationshotels sind ein idealtypisches Beispiel für soziales Unternehmertum: In Deutschland gibt es seit 2007 den Verbund Embrace Hotels, in dem sich inzwischen über 30 Häuser mit integrativem Ansatz zusammengeschlossen haben. Burkhardt war vorher in einer Alten- und Behinderteneinrichtung der Schrippenkirche tätig. Als die Auslastungszahlen nach unten gingen, kam er über das bundesweite Vorbild, das Hamburger Stadthaushotel, er auf die Idee, so etwas in Berlin auf die Beine zu stellen.

„Man kann schon von einer Bewegung sprechen, die stetig wächst“, sagt Anica Zeyen, Expertin für Social Entrepreneurship an der Universität Lüneburg. Das bestätigt auch eine Studie der TU München, die 244 soziale Unternehmen untersucht hat. Sie zeigt, dass mehr als die Hälfte der Firmen jünger als zehn Jahre alt sind. Die Gründer selbst sind Menschen aller Altersstufen und haben meist ein höheres Bildungsniveau. Sie nähmen die sozialen Probleme wahr und erarbeiteten Geschäftskonzepte, um dagegen zu steuern, sagt Achleitner. Die TU-Studie zeigt auch, dass 72 Prozent der Gründer vorher keiner sozialen Organisation angehörten. Denn häufig steigen Leute aus ihrem Beruf aus, um neu anzufangen. Nicht selten sei es ein „einschneidendes persönliches Erlebnis“, sagt Achleitner, das die Menschen zum Umdenken bewege.

Eine Organisation, die beispielhaft dafür steht, ist Ashoka, die die Social Entrepreneurs weltweit vernetzt. Sie fördert etwa 2000 Projekte – zum Großteil sind es soziale Unternehmen, aber auch solche, die in benachbarten Feldern wie nachhaltigem Wirtschaften aktiv sind. Ashoka zeichnet die Unternehmen aus, diese erhalten dann über drei Jahre eine monatliche Fördersumme des Netzwerks.

Auch die Streetfootballworld gGmbH, deren deutscher Firmensitz in Berlin ist, wurde von Ashoka gefördert. Das Straßenfußballprojekt kooperiert mit der Weltfußballorganisation Fifa, bekam Auszeichnungen von der UEFA. „Wir sehen Fußball als ein Mittel, um Konfliktpotenziale aufzulösen“, erklärt Unternehmenssprecher Niko Wieland. So organisiert die Firma Turniere, Workshops und Fußballcamps weltweit, vernetzt Menschen aller Kontinente.

Das Unternehmen konnte durch Spenden und gut dotierte Auszeichnungen schnell wachsen. Aus sieben Organisationen, die dem Netzwerk bei der Gründung 2002 angehörten, sind 92 geworden. In Berlin beschäftigt die Firma 23 feste Mitarbeiter, weltweit arbeiten fast 2000 Personen für das Straßenfußball-Projekt. Gegründet wurde Streetfootballworld vom heutigen Vorstandschef Jürgen Griesbeck. Er lebte in den 90ern in Lateinamerika und erlebte dort, wie Straßenfußball die Menschen zusammenbringt und soziale und geschlechtsspezifische Unterschiede aufheben kann.

Dass die sozialen Unternehmen sich rentieren, ist kein leichtes Unterfangen „Es ist ein verdammt harter Weg“, sagt Achleitner, „und die finanziellen Risiken sind größer als bei normalen Unternehmern.“ Denn die „Social Enterpreneurs“ arbeiten nicht in erster Linie für einen möglichst hohen Gewinn, sondern dafür, gesellschaftliche Problem zu lösen.

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