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Ifo-Chef Clemens Fuest: "Italien könnte aus der Euro-Zone austreten"

Der Chef des Ifo-Instituts Clemens Fuest spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über die Folgen des Brexit, die Krise Italiens und die Zukunft Europas.

Von Carla Neuhaus

Herr Fuest, im vergangenen Jahr ist vieles nicht so gelaufen wie gehofft: der Brexit, Italien, Trump. Wie besorgt blicken Sie ins Neue Jahr?

Ich bin durchaus besorgt. Die Europäische Union driftet zunehmend auseinander. Das ist bereits mit der Brexit-Abstimmung deutlich geworden. Doch inzwischen distanzieren sich auch im Osten zunehmend Staaten von Europa. Das ist gefährlich, Europa braucht gerade jetzt Stabilität.

Sorgen Sie sich auch um die Euro-Zone?
Dass die Euro-Zone kurzfristig auseinanderbrechen wird, glaube ich nicht. Gleichzeitig ist aber die Entwicklung in Italien besorgniserregend. Dort kommt jetzt eine neue Regierung an die Macht, von der man nicht weiß, wie lange sie im Amt bleibt oder ob sie überhaupt etwas unternimmt. Doch mit Nichtstun wird sich Italien nicht in der Euro-Zone halten können. Das Wohlstandsniveau in Italien liegt auf dem Niveau von 2000. Wenn sich daran nichts ändert, werden die Italiener irgendwann sagen: Wir wollen diese Euro-Zone nicht mehr.

Welche Folgen hätte ein Austritt Italiens?
Das wäre eine große Erschütterung. Es bestünde die Gefahr, dass andere Staaten folgen. Auch Griechenland, Portugal und Spanien sind schließlich noch lange nicht über den Berg.

Was muss passieren, damit die Euro-Zone die Krise hinter sich lassen kann?
Die Mitgliedstaaten müssen ihre Hausaufgaben machen. Solange die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft schlecht ist, die Staatsschulden steigen und die Banken viele faule Kredite in den Büchern stehen haben, bleibt das mangelnde Vertrauen in die Zukunft, und die Wirtschaft stagniert.

Wie kann man die Schulden denn überhaupt noch in den Griff bekommen?
Derzeit verlassen sich viele Staaten in der Euro-Zone darauf, dass im Zweifel andere für sie einspringen, notfalls die Europäische Zentralbank, die EZB. Durch diese Solidarhaftung haben sie keinen Anreiz, ihre Verschuldung zurückzuführen. Ändern könnte man das, indem man die Staaten klassische Staatsanleihen nur noch ausgeben lässt, wenn sie sich an die Schuldengrenzen der EU halten. Überschreiten sie die, müssten sie sogenannte Accountability Bonds ausgeben: Das sind nachrangige Anleihen, bei denen die Gläubiger ihr Geld verlieren, wenn das Land Pleite geht und Hilfen aus dem Rettungsfonds beantragt. Das könnte die Staaten disziplinieren.

Gäbe es denn Käufer für solche Anleihen? Wer würde etwa Italien Geld leihen, wenn er im Zweifel alles verliert?
Investoren sind angesichts der niedrigen Zinsen durchaus bereit, höhere Risiken einzugehen, wenn sie dafür eine höhere Rendite bekommen. Daher denke ich schon, dass sich Käufer für diese Anleihen finden würden. Wäre das nicht der Fall, würde das bedeuten, die Investoren rechnen damit, dass der Staat seine Schulden nicht zurückzahlen kann. Dann muss das Land einen Antrag beim Rettungsschirm stellen.

Könnte der Rettungsschirm ESM denn Italien überhaupt helfen? Ist er dafür ausreichend ausgestattet?
Theoretisch ist eine Finanzierung Italiens über ein ESM-Programm machbar. Schließlich hat die EZB angekündigt, italienische Staatsanleihen aufzukaufen, sollte das Land einen Antrag beim ESM stellen. Dadurch stehen quasi unbegrenzt Mittel zur Verfügung. Das Problem ist nur: Wollen die anderen Staaten die Schulden Italiens übernehmen? Unter diesen Voraussetzungen dürfte der Bundestag dem ESM-Programm eigentlich gar nicht zustimmen.

Warum nicht?
Die EZB könnte dann unbegrenzt italienische Anleihen kaufen. Hinter der EZB stehen über die nationalen Notenbanken aber die Euro-Staaten und damit deren Steuerzahler. Mit seiner Zustimmung zu einem Rettungsprogramm für Italien würde der Bundestag den Steuerzahlern Risiken aufbürden, deren Höhe er nicht kennt und nicht kontrollieren kann. Man würde also der EZB die Entscheidung darüber überlassen, wie viel Kredit Deutschland Italien gewährt.

Schon jetzt stützt die EZB die Euro-Zone mit Anleihekäufen. Die setzt sie nun bis Ende 2017 fort. Halten Sie das für richtig?
Nein. Die EZB hätte aus meiner Sicht beschließen müssen, die Käufe jeden Monat weiter zu reduzieren. Durch den Anstieg der Energiepreise werden wir 2017 eine Inflationsrate von 1,5 bis 1,6 Prozent sehen – das ist knapp unter dem Ziel der EZB von zwei Prozent. Damit entfällt der Grund für Anleihekäufe.

Auch die Zinsen bleiben in der Euro-Zone niedrig, während sie in den USA steigen. Wie lange geht das gut?
Die EZB kann sich nur begrenzt von der Entwicklung in den USA abkoppeln. Langfristig wird sie ebenfalls die Zinsen anheben müssen. Tut sie das nicht, wird der Dollar im Vergleich zum Euro weiter steigen, was man nicht ewig verkraften kann. Zwar können europäische Firmen dadurch ihre Waren günstiger in die USA verkaufen, Verbraucher zahlen aber für US-Produkte drauf, was die Kaufkraft und damit den Wohlstand der Europäer verringern würde.

Könnte die EZB also schon 2017 die Zinsen anheben?
Vorstellbar ist das frühestens gegen Jahresende. Dann könnte es Sinn machen, in Europa die Zinsen anzuheben – vor allem, wenn Donald Trump sein Versprechen einlöst und die Steuern in den USA senkt. Denn das würde die US-Konjunktur zumindest kurzfristig befeuern und den Dollar im Vergleich zum Euro weiter verteuern. Nach den bisherigen Ankündigungen der EZB sind steigende Zinsen in Europa 2017 allerdings unwahrscheinlich.

Wie stark belastet die EZB-Politik die deutschen Banken?
Für die Banken ist es schwierig geworden. Sie leben davon, dass sie kurzfristig Geld entgegen nehmen und es langfristig verleihen. Damit verdienen sie durch die Niedrigzinsen kaum noch Geld. Allerdings kann man nicht alle Schwierigkeiten der Banken auf die EZB abwälzen. Es gibt auch strukturelle Probleme im Bankensystem, die nichts mit der Geldpolitik zu tun haben.

Welche sind das?
]Die deutschen Banken haben zu hohe Kosten, was die Erträge drückt. Deshalb bräuchten wir eine stärkere Konsolidierung im Bankensystem. Geldinstitute müssen sich zusammenschließen, effizienter werden. Das gilt für alle Bankengruppen, die großen Häuser wie die Regionalinstitute.

Für wie stabil halten Sie das europäische Bankensystem?
Ich halte es nicht für stabil genug. Und zwar nicht nur, weil Banken, etwa in Italien, zu viele faule Kredite in den Büchern stehen haben. Die Politik hat in Europa nach der Finanzkrise auch nicht genug getan hat, um die Banken zu stabilisieren.

Aber es ist doch viel passiert: Es gibt eine einheitliche Aufsicht, strengere Regeln.
Das stimmt, aber es sind zu viele Details geregelt worden, statt die Banken entschlossen zu sanieren. Die Aufsicht greift mit ihren Vorgaben inzwischen stark in das Geschäftsmodell der Banken ein – wobei man sich schon fragen muss, ob sie das überhaupt richtig beurteilen kann. Stattdessen wäre es besser, wenn sie mehr Eigenkapital von den Banken verlangen würde. Weil die Aufsicht das aber nicht getan hat, sind die europäischen Banken schlechter kapitalisiert als die amerikanischen Institute.

Die deutsche Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit sinkt. Wird das 2017 so weiter gehen?
Wenn jetzt nicht Italien auf einmal den Euro-Austritt einleitet und eine neue Krise entsteht, sind die Aussichten für die deutsche Wirtschaft sehr gut. Daher rechne ich damit, dass der Aufschwung weitergeht.

Welche Auswirkungen hat dabei der Machtwechsel in den USA?
Es könnte sein, dass sich Donald Trump kurzfristig zu einem positiven Konjunkturfaktor für Deutschland entwickelt. Das wäre dann der Fall, wenn er die geplante Politik der fiskalischen Expansion umsetzt und die Steuern senkt. Den USA wird das sicherlich einen Konjunkturimpuls bringen, weil die Firmen mehr investieren. Davon profitieren dann auch die deutschen Konzerne, weil sie mehr in die USA verkaufen können. Allerdings wird das wohl höchstens ein Strohfeuer werden.

Warum nur ein Strohfeuer?
Irgendwann werden die USA feststellen, dass ihre Staatsschulden zu hoch sind. Dann muss die Regierung gegensteuern und Ausgaben kürzen, was sich negativ auf die Konjunktur auswirkt. Dazu kommt noch der Effekt des stärkeren Protektionismus. Ich glaube zwar nicht, dass Trump bestehende Handelsabkommen aufkündigt, aber er wird sicherlich auch keine neuen abschließen. Das behindert die Entwicklung des internationalen Handels.

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