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Detlef Wetzel. „Kein demokratisches System hält aus, wenn Altersarmut ein Massenphänomen wird.“

© Mike Wolff

IG-Metall-Vize Wetzel im Interview: „Deutschland hat keine Krise“

Detlef Wetzel, zweiter Vorsitzender der IG Metall, spricht im Tagesspiegel-Interview über den laufenden Tarifkonflikt, Niedriglöhne und Altersarmut.

Herr Wetzel, gibt es eigentlich einen Tarifkonflikt in diesem Jahr?

Natürlich.

Die Truppen der IG Metall machen eher einen lustlosen Eindruck.

Wir sind überhaupt nicht lustlos, sondern hatten eine intensive Diskussion über die Forderungshöhe. Das nun von den Arbeitgebern vorgelegte Angebot ist für uns indiskutabel. Verantwortungsvolle Tarifpolitik sieht anders aus. Das Angebot stellt gerade mal 1,9 Prozent effektive Erhöhung bei einer Laufzeit von 13 Monaten dar. Das ist kein Lösungsvorschlag, sondern fordert den Konflikt heraus. Wir sind bereit für diesen Konflikt.

Eine rasche Einigung sollte möglich sein, es geht diesmal nur um Geld.

Ja, aber das ist das Beste, was wir haben. Und da ’ranzukommen, ist bekanntlich nicht so einfach. Wir haben in dieser Tarifrunde nicht nur die Frage der Höhe des Abschlusses zu klären, sondern auch die Laufzeit des neuen Vertrags. Das bietet alles genügend Konfliktstoff. Das ständig im Vorfeld der Tarifrunde von den Arbeitgebern eingebrachte Thema der weiteren Flexibilisierung hat sich mit dem Angebot hoffentlich erledigt.

Den Metall- und Elektrofirmen geht es in der gesamten Breite nicht gut, das wird die IG Metall berücksichtigen müssen.

Die wirtschaftliche Lage ist sehr unterschiedlich, aber das kommt ja auch bei unserer Forderung von 5,5 Prozent zum Ausdruck. Die 5,5 Prozent sind der Mittelwert zwischen den gut und den weniger gut verdienenden Firmen.

Nach der gewerkschaftlichen Rechenlogik sollten am Ende drei Prozent stehen: Die Inflationsrate wird 2013 deutlich unter zwei Prozent liegen, die gesamtwirtschaftliche Produktivität steigt um rund ein Prozent. Macht in der Summe drei Prozent.

Ein Lohnplus zwischen 3,0 und 3,5 Prozent ist allein durch den Verteilungsspielraum begründet. Das schließt nicht aus, dass das Plus höher ausfällt.

Was ist mit den Krisenbranchen und Unternehmen wie Opel, die solche Erhöhungen nicht zahlen können?

Wir haben für diese Fälle über das Pforzheimer Abkommen vielfältige Abweichungsmöglichkeiten, die auch genutzt werden. Andere Abweichungsmöglichkeiten vom Tarif, zum Beispiel eine spätere Erhöhung oder eine geringere Sonderzahlung, wurden in der Vergangenheit kaum genutzt: 85 Prozent der Unternehmen hat das nicht interessiert, gut sieben Prozent sind nach oben und weitere sieben Prozent nach unten abgewichen. Das Instrument wird überschätzt und in der Propaganda von Gesamtmetall überhöht.

Trotzdem hat sich die IG Metall in der Vergangenheit darauf eingelassen.

Durch diese Art der Flexibilisierung steigt der Druck auf die Betriebsräte enorm. Abweichungen auf der betrieblichen Ebene dürfen deshalb künftig nicht ohne die Beteiligung der IG Metall erfolgen. Wenn Gesamtmetall über Flexibilisierung nachdenkt, dann müssen sie gleichzeitig darüber nachdenken, wie die Tarifparteien einbezogen werden. Für uns ist das ein zentraler Punkt.

Wie ist die Stimmung an der Basis? Haben die Belegschaften Angst, dass die Wirtschaftskrise in ihrem Betrieb ankommt?

Deutschland hat keine Krise. Die Stimmung ist sogar noch ein Stück besser als die Lage. Auch deshalb, weil die Jahresabschlüsse 2012, zum Beispiel bei BMW, VW oder Audi, auf Rekordniveau lagen.

2013 wird gerade auch für die Autoindustrie schwieriger.

Das wissen wir und haben dementsprechend unsere Forderung aufgestellt.

Wirkt sich der beginnende Bundestagswahlkampf auf die Tarifszene aus?

Nein. Wir wollen Pfingsten fertig sein. Von Juni an werden wir uns dann auf den Bundestagswahlkampf konzentrieren.

Mit der Kampagne gegen Altersarmut?

Wir treten nicht ausschließlich gegen Altersarmut an. Unsere Leute haben nicht nur Angst arm zu werden, sondern wir wollen die Absicherung des Lebensstandards und die Anerkennung von Lebensleistungen. Da ist Altersarmut nur eine Facette. Alles in allem ist dieses Rentenversicherungssystem so nicht zu halten.

Es funktioniert doch ganz gut.

Die Prognosen vom Anfang des Jahrtausends haben sich nicht bestätigt, deshalb sind auch die Weichenstellungen, die auf Grundlage dieser Prognose erfolgten, zu überdenken. Zum Beispiel haben die Experten für 2013 Beitragssatzsteigerungen prophezeit – tatsächlich sind die Beiträge gesunken. 2012 haben wir einen Bevölkerungszuwachs gehabt und die Sozialversicherungen kamen auf einen Überschuss von 16 Milliarden Euro, allein die Rentenversicherung auf fünf Milliarden.

Und was folgt daraus?

Wenn 45 oder 40 Jahre Arbeit nicht reichen für eine Rente oberhalb der Grundsicherung, dann verliert die Rentenpolitik und das Rentensystem die Legitimation. Es hält doch kein demokratisches System aus, wenn Altersarmut ein Massenphänomen wird.

Also hoch mit den Löhnen?

Wir brauchen gleichzeitig eine Rentenreform, um Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre zu korrigieren. Die SPD hat sich dem Thema sehr geöffnet, und auch die CDU erkennt zunehmend die Probleme. Da kann ich mir schlecht vorstellen, dass in der nächsten Legislaturperiode nichts passiert. Ich halte es für eine der zentralen Demokratiefragen, dass die Menschen von ihrer Arbeit und später von ihrer Rente anständig leben können.

Und wenn es wieder eine schwarz-gelbe Regierung gibt?

Mit der FDP geht natürlich nichts, was vernünftig wäre.

Für eine große Reform spricht eine große Koalition.

Rot-grün ginge auch.

Ist die Rente das vorrangige Wahlkampfthema der IG Metall?

Nein. Es geht auch um gute Arbeit und anständige Bezahlung. In einem System mit einem Viertel der abhängig Beschäftigten im Niedriglohnsektor ist Altersarmut programmiert. In unserer Industrie geht es noch um die Einschränkung von Werkverträgen und altersgerechte Arbeitsplätze, damit die Menschen überhaupt bis 67 durchhalten können.

Sie haben sich abgefunden mit der Rente mit 67?

Wir halten die Rente mit 67 für falsch, aber die Situation ist, wie sie ist. Also müssen alle dazu beitragen, dass die Menschen bis 67 arbeiten können. Und wenn bestimmte Berufsgruppen wegen bestimmter Belastungen nicht bis 67 arbeiten können, dann ist die Politik gefordert.

Was schlagen Sie vor?

Die Beitragssätze der Berufsgenossenschaften und Rentenversicherten könnten schwanken: Betriebe mit einer geringen Quote an Erwerbsminderungsfällen zahlen dann weniger in die Versicherung. Wer viel tut für altersgerechte Arbeitsplätze, der wird belohnt. Oder wer besonders viele ältere Arbeitnehmer beschäftigt, der bekommt einen Bonus. Die Politik kann hier Anreize setzen.

Löst sich das Problem nicht von selbst, weil die Firmen die Alten brauchen und sie deshalb hegen und pflegen?

Nein. Alle strukturellen Trends laufen in die andere Richtung: Ausgliederung, Werkverträge, Leistungsverdichtung, psychischer Stress am Arbeitsplatz, Olympiamannschaften statt gemischte Teams mit älteren Arbeitnehmern. Dabei ist ganz klar: Rücksichtnahme auf Ältere, zum Beispiel durch kürzere Arbeitszeit und weniger Schichtarbeit, kostet Geld. Und das geben die Unternehmen nicht unbedingt freiwillig aus. Auch an dieser Stelle muss die Politik nachhelfen.

Das Gespräch führte Alfons Frese.

KARRIERE

Detlef Wetzel (60) ist seit 2007 zweiter Vorsitzender der IG Metall. Der Siegerländer hat gemeinsam mit Berthold Huber die Gewerkschaft auf Mitgliederzuwachs, Betriebspolitik und Partizipation getrimmt. Im kommenden Herbst soll Wetzel Huber an der Spitze der größten deutschen Gewerkschaft ablösen.

KONFLIKT
Für die 3,7 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie fordert die IG Metall 5,5 Prozent mehr Geld, die Arbeitgeber bieten bislang 2,3 Prozent nach zwei Nullmonaten. Ende April endet die Friedenspflicht, dann wird es Warnstreiks geben. Bis Pfingsten wollen beide Seiten einen Abschluss erreichen.

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