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Jürgen Abraham fordert höhere Lebensmittelpreise in diesem Jahr.

© picture-alliance / Sven Simon

Jürgen Abraham, Sprecher Ernährungsindustrie: "Viele Verbraucher wollen es nicht anders"

Am Freitag beginnt in Berlin die Grüne Woche. Der Schinkenfabrikant Jürgen Abraham spricht mit dem Tagesspiegel über die Qualität deutscher Lebensmittel und das Misstrauen der Verbraucher.

Herr Abraham, wie gut sind deutsche Lebensmittel?

Deutsche Lebensmittel sind hervorragend und erfreuen sich großer Beliebtheit. Das zeigt auch unser Exporterfolg. Wir produzieren im Jahr Waren im Wert von 150 Milliarden Euro, davon geht fast ein Drittel ins Ausland. Das ist ein Zeichen für die hohe Qualität und Wertschätzung, die Lebensmittel „made in Germany“ haben.

In Deutschland ist die Wertschätzung nicht ganz so hoch. Viele Verbraucher trauen der Lebensmittelindustrie nicht über den Weg.

Die kritische Berichterstattung in den Medien und die manchmal dramatisierten Darstellungen von Lebensmittelskandalen haben im Bewusstsein der Konsumenten Spuren hinterlassen. Die Fakten sprechen jedoch eine andere Sprache: Lebensmittel waren in Deutschland noch nie so sicher, so hochwertig und günstig wie heute. Allerdings hat die Lebensmittelindustrie keine hohe Vertrauensstellung in Umfragen bei Verbrauchern, diese orientieren sich eher an der Stiftung Warentest und den Verbraucherschutzorganisationen. Daher muss die Branche stärker über ihre tägliche Arbeit und die Qualität ihrer Produkte informieren und sollte die Kommunikation nicht allein den Kritikern überlassen.

Wie sollen Verbraucher der Industrie vertrauen, wenn diese mit ihrer Werbung und ihren hübsch aufgemachten Verpackungen ständig falsche Erwartungen schürt?

Die Ernährungsindustrie arbeitet auf der Basis der geltenden Gesetze. Im Marketing muss mit Emotionen und Bildern gearbeitet werden, um die Produkte im Wettbewerb zu profilieren. Das verstehen aufgeklärte Konsumenten auch. Der Lebensmitteleinkauf befriedigt mehr als Hungergefühle, es geht um sozialen Status, Nachhaltigkeit und vieles mehr. Das heißt nicht, dass jede Marketingaussage akzeptiert werden muss, natürlich darf keine Irreführung des Verbrauchers stattfinden. Dazu gibt es Gesetze, mit denen entsprechende Auswüchse auch bekämpft werden. Nicht akzeptabel ist es jedoch, wenn das subjektive Meinungsbild einzelner Verbraucherschützer zum neuen Standard erhoben wird, für den es keine rechtliche Grundlage gibt.

Nicht nur Verbraucherschützer, auch immer mehr Verbraucher verstehen nicht, warum eine Kalbswiener nur 15 Prozent Kalbfleisch enthalten muss.

Die im Lebensmittelbuch niedergelegte allgemeine Verkehrsauffassung hat sich über Jahre und Jahrzehnte gebildet; sie kann selbstverständlich Wandlungen unterworfen sein. Diese werden dann von der Lebensmittelbuchkommission in Fortentwicklung der Leitsätze berücksichtigt. In der Lebensmittelbuchkommission sind zu gleichen Teilen Verbraucherorganisationen, die Wissenschaft, die Lebensmittelüberwachung und die Wirtschaft vertreten. Das was jetzt beklagt wird, haben alle vier Gruppen, also auch die Verbraucherschützer, als das, was man von einem Lebensmittel erwarten darf, gemeinsam beschlossen. Die Leitsätze werden derzeit einer Überarbeitung unterzogen, an der wir mitwirken.

Agrarministerin Ilse Aigner plant gesetzliche Regeln für die regionale Herkunft von Lebensmitteln. Zu Recht?

Die regionale Herkunft ist eine große Chance insbesondere für kleine und mittlere Lebensmittelhersteller. Sie können mit regionalen Spezialitäten und ihrer regionalen Herkunft erfolgreich sein. Ich bin aber dagegen, Regionalsiegel gesetzlich verpflichtend einzuführen. Damit würde man die Wettbewerbschance kleinerer Firmen wieder zunichtemachen.

Wissen Sie, woher die Schweine für Ihre Schinken kommen?

Ich weiß aus welcher Region. Ich kann jede Partie zurückverfolgen. Wir machen 120 000 Schinken in der Woche. Aber ich kann nicht sagen, von welchem Bauern das Fleisch für ein bestimmtes 100-Gramm-Päckchen kommt, das Sie im Laden kaufen. Das wird im Einzelnen die meisten Verbraucher auch gar nicht interessieren, auf die Qualität des Endproduktes kommt es an!

Die Geflügelwirtschaft steht unter Druck, weil in den Ställen massenweise Antibiotika eingesetzt werden. Ein Großteil des Fleisches wird weiterverarbeitet zu Chicken Nuggets, Wurst oder Fertiggerichten. Können Sie ausschließen, dass diese Produkte mit antibiotikaresistenten Keimen belastet sind?

Die Belastung mit Keimen bei diesen Produkten in der modernen industriellen Produktion kann man in der Tat ausschließen, weil diese gebraten, erhitzt und sterilisiert werden. Nicht auszuschließen sind jedoch Sekundärinfektionen, die über offene Theken, Haustiere und nicht ausreichende Hygiene im Haushalt ausgelöst werden können.

Die Rohstoffpreise steigen, Energie wird teurer – was ist mit den Lebensmitteln?

Die Lebensmittelpreise in Deutschland sind sehr niedrig. Die Deutschen geben im Schnitt elf Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus, 1950 waren es 50 Prozent. Der Preisanstieg lag in den letzten Jahren weit unter der allgemeinen Teuerungsrate. Grundsätzlich werden die Lebensmittelpreise in den nächsten Jahren aber weiter ansteigen, weil global gesehen die Nachfrage wächst und das Angebot nicht damit Schritt hält.

Wie hoch ist die Gewinnspanne in Ihrer Branche?

Das kann man nicht generell sagen. Im Schnitt in der Industrie zwei bis drei Prozent – maximal. Es gibt Betriebe, die nur 0,5 Prozent haben. Viele Unternehmen suchen verstärkt Märkte im Ausland, wo der Konkurrenzkampf nicht so hart ist und gleichen so ihre schwachen Erträge im Inland aus Das ist nötig, um die Arbeitsplätze hierzulande zu erhalten.

Werden die Hersteller in diesem Jahr höhere Preise durchsetzen können?

Es wird im Lebensmittelbereich moderate Preissteigerungen geben müssen, weil die Rohstoffpreise auf einem anhaltend hohen Niveau sind und wichtige weitere Kostenfaktoren wie Energie und Personal ebenfalls ansteigen. Gelingt die Weitergabe nicht, geraten die Unternehmen mit ihrer Leistungs- und Innovationsfähigkeit ans Ende, das Ende der Fahnenstange ist erreicht.

Was sind moderate Preissteigerungen?

Im Schnitt zwischen drei und vier Prozent. Das kann je nach Produkt mal mehr oder mal weniger sein. Allerdings muss man sehen, ob der Handel Preiserhöhungen zulässt. Der harte Wettbewerb im Handel sorgt für günstige Verbraucherpreise. Fünf Unternehmen erzielen 85 Prozent der Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel. Der Wettbewerb kommt dem Verbraucher zugute!

Das Kartellamt ermittelt in zahlreichen Verfahren gegen Lebensmittelhersteller wegen des Verdachts auf Preisabsprachen. Wie verträgt sich das mit Wettbewerb?

Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich zu laufenden Verfahren nicht äußern kann.

Die Kosten steigen, der Handel verhindert Preiserhöhungen – sparen Lebensmittelunternehmen bei den Zutaten, um doch noch ihren Schnitt zu machen?

Nein, auf gar keinen Fall. Der Hersteller hat eine Rezeptur, und er hat gesetzliche Auflagen. Er kann nicht einfach Zutaten streichen, um Kosten zu sparen. Wenn ich beim Schinken auf das Salz oder den Rauch verzichte, dann produziere ich keinen Schinken mehr.

Aber man kann beim Joghurt billiges Aroma statt der teuren Kirschen nehmen.

Ja, aber das ist erlaubt, und es wird so gekennzeichnet. Was ist daran schlimm? Es gibt Verbraucher, die wollen oder können nur einen Joghurt für 39 Cent kaufen. Andere kaufen Joghurt für 1,20 Euro. Der Verbraucher trifft die Wahl – je nach Geldbeutel und persönlicher Neigung. Aber eines ist klar: Wenn Sie Kirscharoma im Joghurt verbieten, dann gibt es den Joghurt für 39 Cent nicht mehr.

Sind die Verbraucher bereit, mehr zu bezahlen, wenn die Tiere besser gehalten werden oder die Ware aus der Region kommt?

Wenn Sie die Menschen befragen, sagen alle: „Selbstverständlich gebe ich mehr aus, wenn die Milch vom Bauern aus der Region kommt.“ Aber im Laden sieht das anders aus. Wenn der normale Liter Milch 70 Cent kostet und die Milch vom Hof aus der Region einen Euro, dann kauft der Verbraucher eher die Milch für 70 Cent. Die guten Absichten enden an der Kasse. Es ist doch kein Zufall, dass der Handel ganz überwiegend mit niedrigen Preisen wirbt. In Konferenzen wird erzählt, wie toll alles werden soll, und am Montag gibt es wieder Hauswerbung, und überall heißt es „billiger, billiger, billiger“. Viele Verbraucher wollen es auch gar nicht anders.

Das Interview führte Heike Jahberg

UNTERNEHMER

Jürgen Abraham (71) ist Gründer der Schinkenfabrik Abraham- Schinken. Der Industriekaufmann arbeitete zunächst im elterlichen Lebensmittelhandel, verkaufte dann aber zusammen mit seinem Bruder Rolf Wurst, Schinken und Käse auf Wochenmärkten. 1971 übernahmen die Brüder eine Schinkenräucherei und gründeten Abraham-Schinken. Seit 2009 gehört die Firma der Schweizer Bell AG. Seit 2005 ist Abraham Vorsitzender der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie.

VERBAND

Der BVE vertritt die Interessen der Lebensmittelhersteller in Berlin und Brüssel. Neben vielen Verbänden sind auch Hersteller wie Unilever, Kraft oder Nestlé Mitglied.

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