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Alle wollen Biomilch - die gibt es mittlerweile auch schon in Discountern.

© dpa / Jens Büttner

Lebensmittel: Alle wollen Biomilch

Berliner und Brandenburger kaufen verstärkt Biomilch, die Molkereien kommen kaum hinterher. Denn bislang gibt es noch viel zu wenige Biobauern in der Region - und das ist auch nicht so leicht zu ändern.

Von Carla Neuhaus

Morgens, kurz nach zehn im Havelland. Siegfried Schumacher brettert mit seinem Ford Kombi über die Weide. Der Landwirt ist unterwegs zu seinen Kühen. Die liegen um diese Uhrzeit faul im Gras, schlackern ab und an mit den Ohren die Fliegen weg. „Das heißt, dass es ihnen gut geht“, sagt Schumacher. „Sie sind satt und zufrieden.“ So soll es sein.

Schumacher ist Ökolandwirt. Vor elf Jahren hat er den Hof auf Bio umgestellt. Seitdem verbringen seine 270 Kühe den Sommer auf der Weide, nicht im Stall. Statt Industriefutter fressen sie, was auf den Feldern wächst: Gras, Heu, Mais, Luzerne, Klee. Auch ihre Hörner dürfen die Kühe behalten – sie werden ihnen nicht wie sonst üblich entfernt. „Ich möchte, dass es den Tieren gut geht“, sagt Schumacher. Der 64-Jährige ist Idealist. Er will beweisen, dass man von der Ökolandwirtschaft gut leben kann. „Die Bilanz stimmt. Unser Weg ist richtig“, steht auf einem Schild an der Hofeinfahrt. Und: Schumacher scheint damit nicht so falsch zu liegen. Denn Biomilch ist bei den Verbrauchern gefragt – und zwar so sehr, dass die Molkereien die Nachfrage mit Milch aus der Region nicht mehr decken können.

Es ist viel zu viel konventionelle Milch auf dem Markt

„Wir müssen bereits Biomilch aus Österreich zukaufen“, sagt Thomas Keller. Er ist Geschäftsführer von Lobetal Bio. Die Molkerei stellt im brandenburgischen Barnim Biojoghurt für den Berliner Markt her. 1,6 Millionen Kilogramm Milch verarbeitet der Betrieb derzeit im Jahr – gäbe es mehr Biomilch in der Region, könnten es gut 600 000 Kilogramm mehr sein, sagt Keller.

Doch die Verbraucher haben ihre Kaufgewohnheiten schneller geändert, als die Brandenburger Landwirte auf Bio umgestellt haben. Das liegt zum einen daran, dass es dort drei Jahre lang keine staatliche Förderung für die Umstellung gab. Zum anderen war der wirtschaftliche Druck nicht vorhanden. Das hat sich jedoch geändert: Biolandwirte bekommen für ihre Milch derzeit 17 Cent mehr als konventionelle. Während es nämlich an Biomilch mangelt, gibt es an konventioneller viel zu viel. Denn seit dem Auslaufen der Milchquote darf jeder Landwirt so viel Milch produzieren, wie er will. Gleichzeitig ist jedoch die Nachfrage aus China stark gesunken und durch das Russlandembargo ein wichtiger Absatzmarkt weggefallen. Das drückt auf die Preise und bringt manchen Bauern in Existenznot. Biomilch wird dagegen vor allem in der Region vertrieben. „Wir rechnen daher damit, dass die Anzahl der Ökomilchviehbetriebe demnächst steigt“, sagt Jürn Sanders vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft. Kurzfristig hilft das jedoch wenig – denn bis ein Betrieb auf Bio umgestellt hat, dauert das mindestens zwei Jahre.

Die Molkerei musste immer wieder Rohmilch aus dem Ausland zukaufen

Hubert Böhmann kennt das Problem. Er ist Gründer der Gläsernen Molkerei im brandenburgischen Münchehofe, die Biomilch sowohl für Handelsketten abfüllt als auch unter eigener Marke verkauft. Das Geschäft läuft gut, über 90 Millionen Euro Umsatz macht die Gläserne Molkerei im Jahr. Doch um weiter wachsen zu können, braucht Böhmann mehr Landwirte aus der Region, die ihm Biomilch liefern. Auch seine Molkerei musste immer wieder Rohmilch aus dem Ausland zukaufen: aus Dänemark, Österreich, Tschechien oder Polen. Gerade einmal 20 Millionen der 100 Millionen Liter Milch, die die Molkerei im Jahr verarbeitet, stammen aus Brandenburg. In anderen Regionen Deutschlands ist die Biomilch ebenfalls knapp – auch wenn dort die Lage nicht ganz so ernst ist wie im Berliner Umland. „Der Großteil der Biomilchverarbeiter könnte mehr Biomilch gebrauchen“, sagt Björn Börgermann vom Milchindustrieverband. Nur 70 bis 75 Prozent der Biomilch, die hierzulande im Supermarkt verkauft wird, stammt von deutschen Kühen.

Dabei wird das Problem nicht kleiner. War das Geschäft mit der Biomilch einst eine Nische für Ökoanhänger, ist es heute ein Wachstumsmarkt. Arla Foods, nach eigenen Angaben die weltweit größte Biomolkerei, braucht allein in den kommenden beiden Jahren zusätzlich 250 Millionen Kilogramm Biomilch, um die steigende Nachfrage zu decken. Erst im April hat das Unternehmen deshalb den Zuschlag angehoben, den es auf den konventionellen Milchpreis zahlt. Der Wettbewerb um die Biolandwirte ist groß. Auch der Chef der Gläsernen Molkerei lässt sich einiges einfallen, um mehr Milchlieferanten zu gewinnen. „Wir sind permanent auf der Suche nach Landwirten“, sagt Böhmann. Regelmäßig organisiert er Veranstaltungen, um Landwirten die Angst vor der Umstellung auf Bio zu nehmen. Auch verspricht er ihnen eine finanzielle Unterstützung, sollten sie tatsächlich umstellen. Vom ersten Tag an zahlt Böhmann den Landwirten einen Zuschlag – selbst dann, wenn sie zu dieser Zeit noch einen laufenden Vertrag mit einer anderen Molkerei erfüllen müssen. „Für uns ist das eine Investition in die Zukunft“, betont Böhmann.

Die Umstellung auf Bio dauert zwei Jahre

Schließlich können Landwirte nicht von heute auf morgen auf Bio umstellen. Viele müssen Land hinzukaufen oder sich von vorhandenen Tieren trennen, um die Biovorgaben zu erfüllen. Sie müssen beispielsweise ihre Ställe umbauen und dürfen den Acker, auf dem sie das Futter anbauen, nicht mehr künstlich düngen. Selbst wenn Landwirte all diese Voraussetzungen erfüllen, dauert die Umstellung auf Bio zwei Jahre. In dieser Zeit müssen sie die Milch bereits nach Biovorgaben produzieren – können sie aber nicht als Bio vermarkten. Um ihnen die Entscheidung zu erleichtern, hat Böhmann seine Produktion angepasst: Er nimmt den Landwirten die Milch nun auch schon in den beiden Jahren der Umstellung ab. Freitags, wenn seine Mitarbeiter mit dem Abfüllen der Biomilch durch sind, bereiten sie die Milch der Umsteller auf. Verkauft wird sie dann als „Frischmilch aus der Region“. Ein kleiner Hinweis auf dem Karton klärt den Käufer darüber auf, dass die Bauern gerade auf Bio umstellen.

Landwirt Siegfried Schumacher setzt derweil bereits auf den nächsten Trend. Sein Hof ist nicht nur ein Biobetrieb, sondern auch NOP-zertifiziert. Das heißt, dass seine Kühe keine Antibiotika bekommen. Werden sie krank, erhalten sie nur homöopathische Mittel. Das NOP-Zertifikat kommt aus den USA. Hierzulande dürfen nämlich auch Biobetriebe ihre Tiere mit Antibiotika behandeln, allerdings müssen sie anschließend doppelt so lange warten, bis sie ihre Milch wieder verkaufen können, als es der Gesetzgeber für konventionelle Betriebe vorschreibt. Regelmäßig führt Schumacher Kollegen über den Hof, um sie vom Ökolandbau zu überzeugen. Er bleibt dann gern vor zwei übergroßen Tanks stehen: der Biogasanlage. „Das ist unsere Wundermaschine“, sagt Schumacher. Vor zwei Jahren hat er sie errichtet. Seitdem füttert er sie mit dem Mist und Dung seiner Kühe. Weil er so mehr Strom produziert, als er verbraucht, verdient er an der Einspeisevergütung. Auch das macht ihm das Leben als Biobauer leichter.

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