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Wirtschaft: Milliarden für das Detroit Europas

In der Slowakei baut die Autoindustrie neue Fabriken – weil Wochenendarbeit, niedrige Steuern und Löhne locken

DRUCK AUF DEUTSCHE ARBEITSPLÄTZE – DIE NACHBARN IM OSTEN HOLEN AUF

Prag/Bratislava/Budapest. In Ungarn gibt es zu wenige Arbeitslose. Meint jedenfalls Istvan Csillag. Der Wirtschaftsminister erklärt mit der geringen Arbeitslosigkeit eine schwere Niederlage der ungarischen Wirtschaftspolitik: Die Autokonzerne Hyundai/Kia sowie PSA (Peugeot und Citroën) haben sich für die Slowakei und nicht für Ungarn entschieden. Dort entstehen für Milliarden Euro Fabriken, in denen einige tausend Leute arbeiten werden. Csillag zufolge hat der Erfolg der Ungarn die Autokonzerne abgeschreckt. Denn in Ungarn liegt die Arbeitslosenquote bei sechs Prozent, in der benachbarten Slowakei aber bei 16 Prozent. Also gibt es in der Slowakei mehr Arbeitskräfte zu einem niedrigen Preis als in Ungarn. Daraus zieht Csillag eine Konsequenz, die so auch von einem westeuropäischen Wirtschaftspolitiker stammen könnte. „Wir wollen mehr Unternehmen mit einer höheren Wertschöpfung ansiedeln, vor allem auch im Dienstleistungsbereich“, sagte der ungarische Minister kürzlich vor deutschen Journalisten.

Der Trend nach Osten hat die EU-Beitrittsländer aus Mitteleuropa längst erreicht. Textil- oder Schuhfabriken, die vor zehn Jahren aus dem Westen in die Slowakei oder nach Ungarn kamen, sind in die Ukraine oder nach Rumänien gezogen, weil die Arbeitskraft dort noch preiswerter ist. Deshalb hört man auch in der Slowakei inzwischen die aus dem Westen gewohnten Töne. „Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung einer Wissensgesellschaft, auf neue Produkte und Technologien“, sagt Peter Kollárik von der slowakischen Industrie- und Handelskammer. Doch das ist Zukunft. In der Gegenwart prägt die Autoindustrie das „Detroit Europas“, wie die Slowakei in der Branche genannt wird. VW mit den Modellen Touareg und Polo sowie Asiaten und Franzosen mit Kleinwagen werden die Kapazitäten bis 2006 auf 900000 Autos erhöhen. Das ist gigantisch, vor allem wenn man bedenkt, dass die Slowaken selbst nur 60000 Autos im Jahr kaufen. Es wird also zum ganz überwiegenden Teil für den Westen produziert.

Der Durchschnittslohn in der Slowakei liegt bei rund 400 Euro im Monat, in der Autoindustrie etwas darüber. Trotzdem wird es inzwischen schwieriger, Arbeitskräfte zu finden. Volkswagen Slovakia beschäftigt in der Nähe von Bratislava mehr als 9000 Mitarbeiter mit der Montage von Touareg und Polo. Täglich setzt das Unternehmen 35 Busse ein, um die Arbeiter auch aus größeren Entfernungen herbeizuschaffen. Die Löhne in der Gegend dürften in den kommenden zwei Jahren deutlich anziehen, denn ganz in der Nähe baut die französische PSA ihre Autofabrik. Für einen Standort weiter östlich in der Slowakei haben sich die Koreaner Hyundai und Kia entschieden. Dort sind die Arbeitskräfte billiger. Die slowakische Wirtschaftspolitik will mit ihrer Förderung den Osten an den Westen angleichen. „Künftig geben wir nur Stimuli für Unternehmen, die sich im Osten des Landes niederlassen“, sagt Jozsef Berenyi, Staatssekretär im Außenministerium.

Die wichtigste Stimulanz der Slowaken gilt allerdings landesweit, die so genannte Flat Tax: ein einheitlicher Steuersatz von 19 Prozent sowohl für die Unternehmen, als auch für die Arbeitnehmer und die Verbraucher. Die direkten Steuern (Einkommens- und Ertragssteuern) wurden gesenkt, die indirekten Steuern (Mehrwertsteuer) auf 19 Prozent erhöht. Deshalb gebe es durch die Flat Tax auch keine Einnahmeausfälle, sagt zumindest Staatssekretär Berenyi. Die Unternehmen sind begeistert. Einer Umfrage der deutsch-tschechischen Industrie- und Handelskammer zufolge finden 54 Prozent der befragten transnationalen Unternehmen den Standort Slowakei am besten, auf den Plätzen folgen Tschechien (31 Prozent) und Polen (sieben Prozent). Für Deutschland plädierten nur drei Prozent.

Es sind jedoch bei weitem nicht allein niedrige Steuern und Lohnkosten, die für die mitteleuropäischen Beitrittsländer sprechen. Vor allem die Autoindustrie, der wichtigste Industriebereich in der Slowakei, in Tschechien und Ungarn, legt größten Wert auf eine flexible Arbeitszeit. In dem zyklischen Geschäft – die Autonachfrage hängt stark vom Konjunkturverlauf ab - müssen die Fabriken je nach Bedarf ausgelastet werden. Rund um die Uhr, an sieben Tagen die Woche, kann in den mitteleuropäischen Staaten gearbeitet werden. Zum Beispiel Skoda, der tschechischen VW-Tochter, bringt das bares Geld: Die Kapazitäten sind um rund 15 Prozent unter Westniveau ausgelegt, entsprechend weniger muss für Hallen und Maschinen ausgegeben werden. Wenn die Nachfrage steigt, dann arbeiten die Tschechen eben auch am Wochenende. Die Ungarn in Györ auch. Die VW-Tochter Audi verdient dort seit vielen Jahren mit der Produktion von Motoren und Autos (Audi TT) viel Geld. Auch deshalb, weil Audi bis Ende des Jahrzehnts keine Körperschaftsteuern zahlen muss. Das gönnt der Staat dem Weltkonzern aus Bayern – schließlich arbeiten in Györ mehr als 5000 Personen bei Audi, die Arbeitslosenquote liegt bei 3,7 Prozent, der Gewinn von Audi Ungaria ein Vielfaches über dem des VW-Konzerns insgesamt. „Was gut für Audi ist, ist auch gut für Ungarn“, sagt Wirtschaftsminister Csillag. Die modernen Audi-Diesel aus Györ seien inzwischen ein „Symbol für Ungarn“.

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