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Die 8,50 Euro kommen – grundsätzlich 2015. Aber sofern es Tarifverträge gibt, ist eine Verschiebung bis 2017 möglich. Wenn sich Arbeitgeber und Gewerkschaften künftig nicht selbst auf Mindestlöhne verständigen, wird eine Kommission die Untergrenze festlegen. ]Foto: dpa/ ]

© dpa

Mindestlohn: Neuer Schwung im Tarifgeschäft

In der Fleischwirtschaft wird erneut über einen Mindestlohn verhandelt – andere Branchen könnten folgen.

Auf den 17. Dezember warten einige zehntausend Arbeitnehmer seit Monaten. An diesem Tag wollen die Vertreter der Fleischwirtschaft und der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) einen Mindestlohn vereinbaren. Bislang hat das nicht geklappt, die Arbeitgeber boten in ersten Verhandlungen zwar 8,50 Euro für die Schlachthöfe im Westen an. Doch die Kollegen im Osten sollten erst 2017 auf 8,50 Euro kommen – für die NGG ist das nicht akzeptabel, weil die ostdeutschen Betriebe inzwischen mindestens so produktiv seien wie die westdeutschen.

Das Verhandlungsumfeld hat sich seit Mittwoch für beide Seiten gravierend verändert. Denn Union und SPD wollen einen bundesweiten gesetzlichen Mindeststundenlohn von 8,50 Euro zum 1. Januar 2015 einführen – es sei denn, es gibt Tarifverträge, die etwas anderes vorsehen. Dann kommt der Mindestlohn erst zwei Jahre später, also zum 1. Januar 2017.

Die Schlachthofbetreiber, die jahrelang von Tarifen nichts wissen wollten und lieber osteuropäische Entbeiner zu Dumpinglöhnen einsetzten, stehen nun vor der Wahl: Entweder lassen sie sich erstmals auf einen Tarifvertrag ein, in dem Arbeitsbedingungen geregelt werden, und bekommen dafür etwas Aufschub bis zu den 8,50 Euro. Umgekehrt gilt für die NGG: Kann die Gewerkschaft ihren Leuten eine Verzögerung auf dem Weg zu 8,50 Euro mit einem Tarifvertrag inklusive Regeln zum Beispiel zu Arbeitszeit und Arbeitsschutz verkaufen?

Die Tarifautonomie ist den Deutschen heilig, Arbeitsbedingungen werden von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden ausgehandelt. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn begibt sich nun die Politik auf das Spielfeld, weil „sinkende Tarifbindung zunehmend zu weißen Flecken in der Tariflandschaft geführt hat“, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Zum Beispiel auch in der Call-Center-Branche. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wartet nach eigenen Angaben seit 2011 auf einen tariffähigen Arbeitgeberverband auf der anderen Seite. Schon möglich, dass es da jetzt Bewegung gibt, um für die rund 500 000 Beschäftigten einen Tarif abzuschließen: Weil die Call-Center-Betreiber sich nicht vom Staat oder demnächst von einer sechsköpfigen paritätischen Kommission aus Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern die Höhe des Mindestlohns diktieren lassen wollen. Bei Verdi frohlockt man schon über den „Druck zum Einziehen tariflicher Strukturen“, den der Koalitionsvertrag entfalte. Unter 8,50 Euro werde man wohl nicht mehr gehen. „Wir haben keinen Grund, einen Branchenmindestlohn unter 8,50 Euro abzuschließen“, sagt Verdi-Sprecher Jan Jurczyk mit Blick auf die Call-Center-Branche.

Die 8,50 Euro stehen also – mal früher, mal später. Denn Tarifverträge, die jetzt schon bestehen und einen Mindestlohn beinhalten, gelten weiter bis höchstens 2017. Die Tarifexperten der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung haben ermittelt, dass im vergangenen Jahr in elf Prozent von 4700 Vergütungsgruppen aus 41 Branchen mit insgesamt 16 Millionen Beschäftigten Stundenlöhne unter 8,50 Euro vereinbart sind. Überproportional vertreten ist der Osten. So gibt es für eine Floristin in Brandenburg nur 4,58 Euro, in der Gastronomie Mecklenburg-Vorpommerns liegt der Stundenlohn bei 6,62 Euro. Im Fleischerhandwerk in Ost-Berlin kommt die unterste Lohngruppe auf 6,09 Euro. Aber auch im Westen gibt es Eingruppierungen unterhalb von 8,50 Euro, etwa für Saisonarbeiter in der baden-württembergischen Landwirtschaft (6,40 Euro) oder für Beschäftigte im schleswig-holsteinischen Einzelhandel (7,50 Euro). Sie alle werden, je nach Laufzeit des Tarifvertrags, demnächst 8,50 Euro bekommen, spätestens im Jahr 2017.

Unstrittig ist, dass mehr Arbeitnehmer im Osten vom Mindestlohn profitieren – und Betriebe darunter leiden werden. Sachsens CDU-Wirtschaftsminister Sven Morlok sieht dahinter eine Strategie von West-Politikern, die „den Osten ausbremsen, indem man die Wettbewerbsfähigkeit (des Ostens) durch einen bundeseinheitlichen Mindestlohn verschlechtert“.

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